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2. Die Entscheidung des BVerfG und ihre Begründung

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§ 217 StGB wurde durch Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020 wegen Verfassungswidrigkeit für nichtig erklärt.[223] Nach seiner Aufhebung gilt nunmehr wieder die alte Rechtslage, wonach die Beihilfe zum Suizid auch dann straflos ist, wenn sie geschäftsmäßig geleistet wird. In der Klausur darf § 217 StGB wegen der Nichtigerklärung durch das BVerfG nicht mehr berücksichtigt werden. Allerdings sollte man die Gründe, die das BVerfG zu der Entscheidung bewogen haben, vor allem für das mündliche Staatsexamen kennen:

Danach bedeutete § 217 StGB nach Auffassung des BVerfG einen Verstoß gegen das aus Art. 2 I GG i. V. m. Art. 1 I GG abzuleitende Recht auf selbstbestimmtes Sterben.[224] Insoweit erkannte das höchste deutsche Gericht der Sache nach erstmals ein Grundrecht auf Suizid an und schuf gleichzeitig praktisch ein zweites Grundrecht auf Suizidhilfe, indem es feststellte, dass jedermann das Recht habe, bei der Durchführung des Suizids (auch professionelle) Hilfe in Anspruch zu nehmen. Folge dieser Entscheidung ist es, dass Selbsttötungen nicht mehr als unsittlich, unmoralisch und rechtswidrig bezeichnet werden können, sondern es entzieht sich die freiverantwortliche Entscheidung für den Suizid als forum internum auch der Beurteilung nach allgemeinen Wertvorstellungen, religiösen Geboten oder gesellschaftlichen Leitbildern für den Umgang mit Leben und Tod sowie letztlich auch objektiven Vernünftigkeitserwägungen.[225] Die Dimension, die das BVerfG dem Recht auf Suizidhilfe eingeräumt hat, war so nicht erwartet worden. Bislang hatte dieses Recht stets eine auf Krankheit und Leid bezogene Konnotation. Das BVerfG will jedoch das Grundrecht auf Suizid nicht auf derartige fremddefinierte Situationen beschränken (bspw. unheilbare Krankheitszustände). Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, wird überdies unter Berufung auf Suhr[226] erweitert zu einer Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe in Anspruch zu nehmen, da das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben nicht durch unverhältnismäßige Einschränkungen bestehender Hilfsmöglichkeiten unmöglich gemacht werden dürfe. Zwar wäre es gewiss möglich, auch ohne sachkundige Hilfe Suizid zu begehen. Jedoch könnte sich die suizidwillige Person zur Verwirklichung ihres Wunsches auf Wege verwiesen sehen, die Unsicherheit hinsichtlich des Erfolges und ein erhebliches Potential für Leid und Schmerz bergen und damit nicht zumutbar sind. Insoweit bestehe ein Recht auf schmerzfreie und sichere Selbsttötung. Freilich ist es abwegig davon auszugehen, dass künftig keine sog. „Brutalsuizide“ mehr durchgeführt werden, jedoch muss eine humane Alternative zumindest zur Verfügung stehen. Zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 217 StGB, die es zumindest Ärzten erlauben würde, Hilfe zum Suizid zu leisten, sah sich das BVerfG außerstande, da es nach der mündlichen Verhandlung davon ausgehen musste, dass sich auch künftig nicht genügend bereitwillige Ärzte finden lassen würden. Das mit § 217 StGB verfolgte Ziel des Schutzes insbesondere alter und kranker Menschen vor vorschnellen Suizidentscheidungen verfolge zwar, so das BVerfG, einen legitimen Zweck, und sei hierzu auch geeignet, da die Vorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt das Leben schützt. Unabhängig von der Erforderlichkeit, sei die dadurch bewirkte Einschränkung des Persönlichkeitsrechts jedenfalls aber nicht angemessen, da das Grundrecht auf Suizid ohne Hilfsmittel, die diesen zumutbar machen, anderenfalls entleert würde. Darüber hinaus stünde die Vorschrift im Widerspruch zum Selbstverständnis einer Gemeinschaft, die sich in ihrer Werteordnung der freien Persönlichkeitsentfaltung verpflichtet sieht. Und schließlich beziehe sich § 217 StGB zwar auf geschäftsmäßige Formen der Förderung der Selbsttötung. Dennoch bleibe ein Verlust der Autonomie bestehen, soweit sonstige Optionen nur die theoretische Aussicht auf Selbstbestimmung bieten. Ohne geschäftsmäßige Angebote sei der Suizident auf die Bereitschaft eines Arztes angewiesen. Jedoch sei dies auch angesichts der Berufsordnungen für Ärzte und aufgrund der betäubungsrechtlichen Verbote nur im Ausnahmefall erfolgversprechend. Die palliativmedizinische Patientenversorgung sei demgegenüber nicht geeignet, die Beschränkung der Selbstbestimmung auszugleichen.

Gleichwohl hält das BVerfG ausdrücklich restriktive Regelungen durch den Gesetzgeber für möglich, soweit dem Einzelnen das Selbsttötungsrecht und seine Wahrnehmung in zumutbarer Form erhalten bliebe. In Betracht käme etwa die Schaffung von Aufklärungs- und Wartepflichten, von Erlaubnisvorbehalten zur Sicherung der Zuverlässigkeit der Angebote, von Verboten gefahrträchtiger Formen der Suizidhilfe sowie von Nachweisen der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Selbsttötungswillens. Dabei seien auch Differenzierungen, etwa in der Weise möglich, dass man bei schwerstem Leid im Endstadium einer Krankheit keine erhöhten Anforderungen und insbesondere keine Wartepflichten verankere, dass man dagegen z.B. bei infauster Prognose mit noch länger entfernt liegendem Todeszeitpunkt eine Beratungspflicht/Untersuchungspflicht verlange oder dass man bei nicht krankheitsgebundenen Suizidabsichten eine Wiederholung des Suizidwunsches in bestimmten Abständen zur Bestätigung der Ernstlichkeit fordere.

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