Читать книгу Die sieben Siegel der Dakyr - Band 3 - Attravals Grab - Christian Linberg - Страница 10
Оглавление1 - 7 Kriegsbeute -
Als wäre ich aus einem Alptraum erwacht, zerriss ein Schleier vor meinen Augen und ich starrte entsetzt auf die regungslose Gestalt, die ich noch immer mit einer Hand hoch hielt. Einen Moment wusste ich nicht, was gerade passiert war. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Dann verließ mich meine Kraft so schnell, wie das Licht einer Kerze verlosch, wenn ein Windstoß die Flamme auspustete.
Das volle Gewicht des bewusstlosen Körpers konnte ich daher natürlich nicht mit einer Hand halten. Scheppernd stürzte sie zu Boden. Mir gelang es soeben ihren Fall halbwegs aufzuhalten. Kaum lag sie ruhig, durchschnitt ich ihre Fesseln und entfernte den Knebel. Mit einem Ohr an ihrem Mund prüfte ich, ob sie noch atmete.
Gleichzeitig beobachtete ich ihren Oberkörper daraufhin, ob er sich hob und senkte.
Einen langen Augenblick hörte ich nur das Hämmern meines eigenen Herzens, doch dann entdeckte ich eine kaum merkliche Bewegung ihres Brustkorbes und spürte einen sehr sanften Lufthauch am Ohr.
Erleichtert atmete ich selbst einmal tief durch. Dann fesselte ich ihre Hände vor dem Körper, ließ aber den Knebel weg. So lange sie bewusstlos war, war er nicht nötig und sie hatte es leichter zu atmen. An ihrem Hals zeichneten sich bereits Blutergüsse in Form meiner Hand ab. Dort wo sich meine Fingernägel in ihre Haut gegraben hatten, blutete sie sogar leicht.
Mechanisch wuchtete ich sie hoch und legte mir ihren Körper wie den eines erlegten Hirsches über die Schulter, so dass ich sie mit einer Hand festhalten konnte. Ohne die Schildfessel wäre es nicht gegangen. So baumelte er lose an meinem Arm, aber ich konnte mein Schwert in der anderen Hand behalten.
Mit meinen Gedanken war ich an einer vollkommen anderen Stelle. Ich konnte mir einfach nicht erklären, wie mir derart die Kontrolle hatte entgleiten können. Als ich noch jünger und unbeherrschter gewesen war, hatte ich hin und wieder Wutausbrüche gekannt, doch seit ich einige Jahre unter Meister Adch Van’Terr studiert und gelebt hatte, war mir dies nur zu zwei Gelegenheiten passiert. – Bis heute. Und die beiden Vorfälle aus der Vergangenheit waren nicht mit der Situation von gerade eben zu vergleichen.
Mir fiel einfach keine plausible Erklärung dafür ein. Besonders nicht, wenn ich dabei meine dämonischen Kräfte benutzte. Ein dringendes Gespräch mit Jiang war angebracht, ihr Verständnis der arkanen Kräfte und Strömungen ging weit über meines hinaus. Außerdem waren ihre Kenntnisse und Erfahrungen mit mentaler Disziplin bei weitem besser als meine. – Was nicht weiter schwer war, weil ich davon keine Ahnung hatte.
Auch Meister Van’Terr hatte das nicht wirklich verändern können.
„Hoffentlich“, flüsterte ich leise.
- Aber nicht jetzt.
Ich schnitt einen Schlitz in die Zeltwand mit Blickrichtung aus dem Lager heraus, dorthin, wo ich unser eigentliches Ziel vermutete.
Außerdem musste ich schleunigst hier weg, denn inzwischen brannte auch dieses Zelt lichterloh. In wenigen Augenblicken würde es über mir zusammenstürzen. Bis dahin war ich besser möglichst weit weg. Ich suchte auf gut Glück etwas, das wie ein eingeschneiter Busch wirkte. Als ich durch den noch immer dichten Eisnebel einen schemenhaften Umriss ausgemacht hatte, der ungefähr meinen Vorstellungen entsprach, beschwor ich meine Kräfte. Doch dieses Mal tat ich es sehr sorgfältig und langsam während ich mich eines Mantras von Jiang bediente, dass mir dabei half, meine Gedanken auf die Aufgabe zu konzentrieren. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass das Tor vor meinem inneren Auge die Gestalt von zwei gefesselten Frauen annahm, die ihre Hände miteinander verschränkten und so über Kopf den Torbogen bildeten. Immerhin bereitete mir der Transport meiner Gefangenen dieses Mal keine Probleme.
Ich zwang mich, sie nicht näher zu betrachten, sondern einfach hindurch zu gehen. Und tatsächlich hatte ich gut gewählt, denn ich tauchte zwischen zwei dornigen Büschen auf, die zum größten Teil unter einer dicken Schneedecke verschwunden waren. Hinter mir stürzte das Zelt gerade krachend in sich zusammen. Die Flammen beleuchteten dabei eine ganze Lanze Soldaten, die sich aus verschiedenen Seiten dem Brandherd mit Eimern und Schaufeln näherten.
Ihre Gestalten waren im Nebel nicht deutlich zu erkennen, aber ich bemerkte, wie er langsam dünner zu werden schien. Noch bot er mir genügend Deckung. Allzu lange sollte ich hier dennoch nicht verweilen. Die eisige Kälte darin konnte mir zwar nur wenig anhaben, aber die Soldatin auf meiner Schulter würde darin nicht sehr lange überleben.
Das zusätzliche Gewicht durch sie behinderte mich nicht sonderlich, da ich durch den hohen Schnee und das unwegsame Gelände darunter ohnehin nicht schnell vorankam. Zusammen mit Rucksack und Sattel war sie dennoch nicht gerade angenehm zu tragen.
Spuren kreuzten meinen Weg, als ich mich zügig, ohne Hektik vom Lager entfernte. Ich war noch keine ganze Seillänge vom letzten Zelt entfernt, als plötzlich Hörner und Trommeln erklangen, unter die sich hektisches Geschrei und rennende Stiefel mischten. Befehle wurden gebrüllt, das Peitschen von Bogensehnen und Waffengeklirr gesellten sich hinzu.
Der Angriff der Truppen aus Kalteon hatte begonnen.
Hoffentlich hatten es die Anderen ebenfalls durch die Reihen aus Morak geschafft. Mitten zwischen die Fronten zu geraten, wäre ihr sicheres Todesurteil gewesen.
Doch auch hinter den Reihen, dort wo ich mich gerade befand, gab es keine Sicherheit. Eine Schlachtenlinie konnte sich in kürzester Zeit leicht um eine Bogenschusslänge in jede Richtung verschieben. Angespornt durch diese Überlegung, beschleunigte ich meinen Schritt bis hinter mir nur noch der Kampflärm erklang, aber nichts mehr vom Lager zu sehen war.
Vor mir lag ein unregelmäßiges Gelände voller Büsche, niedriger windschiefer Bäume und flacher Hügel. Durch den Nebel und die Dunkelheit konnte ich nicht erkennen, in welche Richtung ich mich genau wenden musste.
Also setzte ich meinen Weg ungefähr dorthin fort, wo ich den Wald vermutete. Den Schlachtlärm nutzte ich zur Orientierung. Schon nach wenigen Schritten hörte der Nebel plötzlich auf. Als hätte ihn jemand mit der Schere abgeschnitten. Überrascht sah ich mich um, und tatsächlich bildete der Nebel eine senkrechte Mauer soweit ich das in der Dunkelheit feststellen konnte.
Von Anaya wusste ich, dass das eigentlich nicht möglich war. Sie erschuf nichts künstlich, sondern überredete die Natur nur, ihr zur Verfügung zu stellen, was ohnehin da war.
Hier waren andere Kräfte am Werk. Da ich aber nichts sehen und durch den Kampflärm auch nichts hören konnte, schleppte ich die noch immer bewusstlose Soldatin einfach weiter.
Nachdem ich aus dem Nebel heraus war, fiel es mir auch deutlich leichter, die Richtung zu bestimmen. Zudem hatte ich den Eindruck, ein sanftes Leuchten in der Ferne erkennen zu können. Vermutlich ein zweites Lager. Ausgerechnet dort, wo der Eingang zum Versteck von Attravals Kompass lag. Natürlich.
Der Kommandant der Armee von Morak würde einen zweiten, vielleicht sogar einen dritten Ring an Soldaten um den Eingang gezogen haben. Und jetzt gab es keinen schützenden Nebel mehr. Dafür war es deutlich wärmer. Noch immer eisig kalt, aber nicht mehr so tödlich wie zuvor.
Ich setzte meinen Weg fort, bemühte mich aber immer in der Nähe von potentiellen Verstecken zu bleiben.
Natürlich nutzte mir das nichts.
Die Reiter, die im Galopp auf mich zu jagten, entdeckte ich erst, als ich mich genau in der Mitte einer freien Fläche befand, ohne Deckung weit und breit. Wie aus dem nichts kamen sie von meiner linken Seite auf mich zu geprescht. Jeder von ihnen hatte eine Wurflanze mit kurzem Schaft und langer, dünner Spitze dabei, die gen Himmel zeigte. In der anderen Hand hielten sie die Zügel und einem kleinen, runden Schild. Die Rüstungen wirkten irgendwie archaisch und sehr klobig. Außerdem bewegten sich die Pferde irgendwie seltsam. Die Kuvertüre, die die Tiere von Kopf bis Schweif bedeckte, ließ wenig erkennen.
Mehr Zeit blieb mir nicht, wollte ich nicht überrannt oder zertrampelt werden. Ich hechtete drei schnelle Schritte zur Seite, blieb dabei aber an irgendetwas unter dem Schnee hängen. Da ich die Soldatin noch auf den Schultern trug, war ich zu langsam, um mich abzufangen und schlug der Länge nach hin. Ich erwartete die scharfen Lanzenspitzen durch meine Rüstung in meinen Rücken eindringen zu spüren, doch es passierte nichts dergleichen. Verblüfft drehte ich mich herum und beobachtete aus dem Liegen heraus, wie die Reiter ohne mich zu beachten, an mir vorbei donnerten.
Vorsichtig rappelte ich mich auf, blieb aber sitzen.
Neben mir lag die Soldatin, die sich schwach zu regen begann. Bei meinem Sturz war sie mir von den Schultern gerutscht.
Ich kniete mich neben sie, um nach ihr zu sehen. In dem Augenblick, in dem ich mich über sie beugte, schlug sie die Augen auf und sah mich direkt an. Ihre Augen weiteten sich erschreckt, ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, aber es kam nur ein ersticktes Keuchen heraus, das in einen Hustenanfall überging. Reflexartig griff sie sich an den Hals und würgte.
Als ich ihr helfen wollte, stieß sie meine Hände grob zur Seite. Sie drehte sich zur Seite und wurde von einem Krampfanfall geschüttelt, der so heftig war, dass sie sich nicht wehren konnte, als ich erneut nach ihr griff. Mit meiner Hilfe richtete sie sich in eine sitzende Position auf, die ihr das Atmen erleichterte.
„Nicht sprechen. Dein Hals ist verletzt.“
Sie nickte, funkelte mich aber gleichzeitig mit einer Mischung aus Angst und Wut an.
„Immer noch nicht verstanden? Wenn ich Dich hätte töten wollen, wärest Du nicht mehr aufgewacht.“
Sie schüttelte den Kopf und streckte ihr Kinn vor.
„Gefällt Dir nicht? – Kann ich verstehen.“
Sie schüttelte energischer den Kopf und ruckte mit ihrem Kinn mehrfach vor. Außerdem deutete sie mit den gefesselten Händen an mir vorbei.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass es ihr gar nicht um mich ging.
Neugierig drehte ich mich um.
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