Читать книгу Die sieben Siegel der Dakyr - Band 3 - Attravals Grab - Christian Linberg - Страница 4
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Einen langen Moment sagte niemand etwas. Nur die Flügelschläge von Hordennarsalhakg rauschten im eisigen Wind.
Für den Schlachtenlärm waren wir zu weit entfernt. Stattdessen drang mir der Geruch von Rauch und Feuer in die Nase.
Dutzende von Rauchsäulen stiegen aus der brennenden Stadt unter uns auf. Arinna, Stadt der Handwerker, im nördlichen Teil Kalteons gelegen.
Bis vor einigen Augenblicken hatte ich geglaubt, dass die Streitkräfte Kalteons die Angreifer aus Morak einige Meilen nördlich der Stadt aufgehalten hatten – offensichtlich ein Irrtum.
Ich sah in die ratlosen Gesichter der anderen, während ich mich weiter an den Seilen festhielt, mit denen wir uns auf den Rücken von Hordennarsalhakg festgebunden hatten. Der Drache mit den beinahe schwarzen Schuppen war auf Geheiß von Enid, der Cousine der Königin gekommen, um uns zum Versteck von Attravals Kompass zu führen, ehe die beiden Armeen aufeinandertrafen. Doch wie es aussah, kamen wir zu spät.
„Was jetzt?“, bohrte sich die Stimme des Drachen in unsere Gedanken.
Fieberhaft überlegte ich, wohin wir ausweichen konnten, und ob wir überhaupt noch eine Chance hatten, unser Ziel rechtzeitig zu erreichen.
„Sind die Angreifer aus Morak bereits in der Stadt?“, brüllte ich zurück, um den tosenden Wind zu übertönen.
„Nicht zur Stadt“, widersprach Jiang: „Wir sind hier um den Kompass zu bergen. Das sollten wir auch tun“
„S-s-sie hat Recht“, stotterte Phyria mit klappernden Zähnen. Ihre sonst schwarze Hautfarbe hatte eine gräuliche Färbung angenommen. Als Magana war sie zur Hälfte ein Elementarwesen, das über das Feuer gebot. Eisige Gebirgswinde hoch in der Luft, waren nicht ihre gewohnte Umgebung.
„Zu Attravals Grab“, stimmte Anaya zu.
„Weißt Du wo...“, weiter kam ich nicht.
„Festhalten, ich lande dort“, unterbrach mich die schreckliche Stimme des Drachen.
Wenige Flügelschläge katapultierten ihn über die brennende Stadt hinweg nach Nordosten.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis wir bereits die ringförmige Mauer sehen konnten, die uns Saria beschrieben hatte. Auch hier tobte die Schlacht zwischen den Angreifern aus Morak und den Verteidigern aus Kalteon.
Hier zumindest wirkte es so, als ob die Verteidiger die Oberhand gewonnen hatten. Die Gegner standen sich mit deutlich sichtbarem Abstand gegenüber. Dazwischen lag ein ganzer Teppich von Leichen, deren Blut den Schnee rot gefärbt hatte. Die Angreifer aus Morak befanden sich gerade eine Bogenschussweite von den Verteidigern entfernt und kauerten sich hinter große Schilde.
Die Soldaten aus Kalteon beschränkten sich darauf, hin und wieder ein paar Pfeile abzufeuern, und ansonsten hinter der Mauer auszuharren.
Ich wollte gerade etwas sagen, als Hordennarsalhakg die Flügel anlegte, und sich fallen ließ. Wir sausten wie ein fallender Stein beinahe senkrecht in die Tiefe. Genau auf den Eingang des Grabmals zu. Ich konnte mich gerade noch beherrschen, nicht laut aufzuschreien. Dafür entwich Jiang ein quietschendes Geräusch und auch Anaya schrie, allerdings klang das eher wie Vergnügen. Phyria war noch blasser geworden, falls das überhaupt noch möglich war. Wie Droin sich fühlte, konnte ich unter dem Helm nicht erkennen, aber anhand der Art, wie er sich am Seil festklammerte, wusste ich, wie er sich fühlen musste. Nämlich so wie ich. Rasend schnell näherten wir uns dem Boden. Die Soldaten, die eben noch kaum größer als Ameisen gewirkt hatten, hatten noch nichts von uns bemerkt, wofür ich äußerst dankbar war. Ein Wald aus Speeren und ein Hagel Pfeile zu Begrüßung kamen mir spontan in den Sinn.
Aber irgendetwas musste sie doch alarmiert haben, denn plötzlich ertönten entsetzte und überraschte Schreie. Sie stoben auseinander ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ihre Waffen auf uns zu richten. Ein paar der weiter entfernten Männer schoss halbherzig Bolzen und Pfeile auf den Drachen ab, aber das zeigte keinerlei Wirkung. Die Geschosse kamen nichtmal in die Nähe von uns.
Ich hoffte, dass sie schnell genug rennen konnten, da ich mir sicher war, dass es dem Drachen völlig egal war, ob er ein paar von ihnen zerquetschte.
Im letzten Augenblick, ehe wir auf dem Boden zerschmettert wurden, breitete Hordennarsalhakg seine Flügel aus. Es gab einen gewaltigen Knall als sich die Schwingen mit Luft füllten. Die Soldaten unter ihm wurden von dem Windstoß bei Seite gefegt, der entstand als der Drache den Fall mit einem letzten Flügelschlag beinahe zum Stillstand brachte.
Fast sanft setzte er schließlich auf dem zertrampelten Schnee auf, wobei sich die riesigen Krallen tief in den Boden gruben. Sein Kopf zuckte hin und her wandte sich dann dank seines langen Halses zu uns herum.
„Der Pakt ist erfüllt. Runter.“
Die gewaltige Stimme riss mich aus meiner Benommenheit. Ich musste schlucken und würgen, als mein Magen mich endlich einholte. Ich schüttelte mich einmal, dann löste ich die Knoten der Seile und befreite mich, Droin und Jiang aus dem Geflecht. Anaya tat das Gleiche für sich und Phyria und half der stark geschwächten Magana sich zu erheben. Über eine der Schwingen gelangten sie vom Rücken des Drachen herunter. Wir folgten ihr mit weichen Knien und steif gefrorenen Händen, in denen wir nur mühsam unsere Ausrüstung und die Säcke mit Droins neuer Rüstung festhalten konnten.
Noch immer hatten sich die Soldaten nicht von ihrem Schock erholt. Sie krabbelten unter dem Drachen hervor und stürzten so schnell sie konnten vor ihm davon, um sich zu ihren Kameraden zu retten, die einen Ring aus Speeren und Bögen um den Landeplatz herum bildeten.
Ich konnte sehen, wie die Waffen und die Männer und Frauen, die sie hielten zitterten. Sie alle würden den Versuch machen, den Drachen anzugreifen, auch wenn ihnen klar war, dass sie kaum eine größere Chance haben würden, als eine Schneeflocke im Feuer.
Offiziere brüllten mit wackligen Stimmen Befehle, während ich mein Gesicht massierte, um wieder Gefühl in die Muskeln zu bekommen. Noch hatte es niemand ernsthaft gewagt, den Drachen anzugreifen. Aber ich vermutete, dass sich dies in wenigen Augenblicken ändern würde, wenn wir nicht handelten.
„Habt Dank für Eure Hilfe“, brachte Jiang da zwischen den klappernden Zähnen hervor. Ich wandte mich um und sah gerade noch, wie sie sich vor dem Drachen verbeugte, der uns mit seinen stechenden Augen anblickte. Er ignorierte die Umgebung völlig.
„Wir werden uns nicht wiedersehen. Falls doch, werde ich euch töten.“
„Wir sollten hier verschwinden“, flüsterte Anaya bibbernd: „Sobald Hordennarsalhakg wegfliegt, stehen wir ziemlich alleine da. Und es wird nicht lange dauern, bis sich die Soldaten von dem Schock erholt haben.“
„Zum Eingang des Mausoleums“, schlug Droin vor, während er dem Drachen kurz zu nickte.“
Unbeeindruckt duckte er sich unter dem Körper des Drachen hindurch und eilte auf das einzelne, kleine Gebäude auf der anderen Seite zu, dass nur den Eingang zum falschen Grab von Attraval darstellen konnte. Phyria kniete sich kurz vor dem Drachen nieder, und folgte Droin dann gestützt von Anaya, die es ihr gleich tat. Ehe ich es mich versah, stand ich alleine neben dem Drachen.
„Wünschst Du einen neuen Pakt mit mir?“, fragte Hordennarsalhakg mich, als ich mich gerade in Bewegung setzen wollte.
„Was? Warum solltest Du das wollen?“, entgegnete ich verwirrt.
„Im Namen von Assarth?“
„Kennt eigentlich jeder hier den Namen meines Vaters?“, schimpfte ich.
„Was willst Du anbieten?“
„Den Weg zum wahren Grab von Attraval. Frei von Feinden.“
Im Geiste verdrehte ich die Augen. Ein so großes Geheimnis war das Grab anscheinend nicht. Biraanogk der Gnom hatte davon gewusst und auch Hordennarsalhakg kannte es offensichtlich. Seine Hilfe wäre von unschätzbarem Wert dabei, unser Ziel schnell zu erreichen.
„Was soll die Gegenleistung sein?“
„Eine Schuld.“
Ich war mir ziemlich sicher, dass das eine ganz schlechte Idee war. Trotzdem, ein Drache, der uns den Weg frei räumte, würde unseren Erfolg praktisch garantieren. Aber…
Ich wollte gerade ablehnen, als mir etwas auffiel.
„Im Namen meines Vaters?“, fragte ich zurück.
„So habe ich es gesagt.“
„Einverstanden. Befreie das wahre Grabmal von Attraval von allen Feinden und halte es bis zu unserer Ankunft frei.“
„So soll es sein. Ich werde kommen und die Schuld einfordern, wenn es soweit ist. Wenn Du mich täuschst, werde ich Dich und Deine Freunde auslöschen.“
Mit diesen Worten breitete er seine Schwingen aus und stieß sich mit einem einzigen Satz zehn Mannslängen vom Boden ab. Mit nur drei Flügelschlägen katapultierte er sich eine Bogenschussweite in die Höhe. Jedes Auf und Ab der Flügel verursachte einen kleinen Sturm, der Dutzende von Soldaten von den Füßen fegte.
Ich hatte selbst Mühe, stehen zu bleiben. Ich stemmte mich dem Wind entgegen, indem ich den Oberkörper vorbeugte.
Wenige Augenblicke später war es vorbei. Und die Gestalt von Hordennarsalhakg wurde rasch kleiner, ehe sie in den Wolken verschwand.
Ich blieb alleine mitten in einem Ring überraschter, geschockter und waffenstarrender Soldaten zurück, die mich grimmig anblickten.
Ein Offizier trat vor und starrte mich feindselig an: „Eine Bewegung und Ihr seid tot. Wer seid Ihr und was wollt Ihr hier?“
Ich warf einen Blick zu den anderen hinüber, die dreißig Schritte von mir entfernt im Eingang des Grabmals standen und mich verwirrt ansahen. Dem konnte ich entnehmen, dass sie nichts von der Unterhaltung zwischen mir und dem Drachen gehört hatten. Ich würde es niemals lebendig zu ihnen schaffen.
Flucht nach vorne also.
Ganz langsam setzte ich den Leinensack mit dem neuen Sattel für Shadarr ab und beglückwünschte mich im Stillen dafür, dass er nicht hier war, sondern zusammen mit Kmarr irgendwo weiter im Süden auf dem Weg hierher. Es würde noch mindestens zwei Tage dauern, ehe sie eintreffen würden.
Ich trat langsam vor und hob meine leeren Hände: „Ich bin Drakkan Vael und dies sind meine Gefährten Droin Fenloth von den Naurim, Jiang zen Yao aus dem Palast des Jadekaisers von Shâo, Anaya’Saar vom Zirkel von Zar'gan'f und Phyria Pashar vom Tempel der ewigen Flamme von La'har. Wir wurden aus Kaltarra gesandt, um euch eine Warnung zu übermitteln und den Kompass von Attraval vor dem Feind in Sicherheit zu bringen. Denn er ist es, hinter dem die Angreifer aus Morak her sind. Ich kann beweisen, dass ich die Wahrheit sage. Ich habe hier ein Schreiben mit königlichem Siegel und ein weiteres Schreiben von Steinwächter Solon aus dem Osten, dass bestätigt, dass wir keine Feinde des Landes sind.“
Während ich das sagte, hatte ich ganz langsam die beiden Schriftstücke aus einer Tasche auf der Innenseite meines Mantels geholt. Ich hielt sie mit einer Hand hoch und wartete ruhig ab.
Der Offizier, der gefragt hatte, gab einen scharf klingenden Befehl und volle zwei Dutzend Soldaten mit langen Speeren rückten vor, um mich in einen engen Kreis einzuschließen.
Ein Speerwächter trat schließlich vor und streckte die Hand aus: „Die Schriftstücke.“
Ganz langsam reichte ich ihm die gesiegelten Dokumente. Dabei hielt ich meine Hand so, dass er den Ring mit dem königlichen Siegel sehen, konnte.
Überrascht hob er eine Augenbraue: „Ritter von Kaltarra? Ich wusste nicht, dass ein Ausländer jemals in den Orden von Kaltarra aufgenommen wurde.“
Ich musste ein ziemlich verdutztes Gesicht gemacht haben, denn sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich augenblicklich: „Ihr wisst nicht, wovon ich rede. Woher habt ihr den Ring?“, fragte er zornig.
„Von Majora Enid, der Cousine der Königin. Für geleistete Dienst an Kalteon“, erwiderte ich noch immer verblüfft.
Mitglied des Ritterordens? Na toll. Dann war ich jetzt offiziell ein Soldat des Landes und somit Teil der Befehlskette. Das war ein Gedanke, der mir gar nicht gefiel. Auf diese Art Geschenk hätte ich gut verzichten können.
„Nie von ihr gehört, Betrüger“, antwortete der Offizier: „Die Königin hat keine Cousine.“
„Dann fragt Euren Vorgesetzten“, gab ich einsilbig zurück.
Mir war gerade klargeworden, dass ich soeben ein Staatsgeheimnis verraten hatte. Enid war in der Tat die Cousine der Königin, aber dieser Umstand wurde vor den Einwohnern und Soldaten des Landes geheim gehalten. Sie arbeitete als Majora der teuersten Herberge von Kalteon, die oft Botschafter und wichtige Händler als Gäste hatte. Auf diese Weise sammelte sie Informationen über deren Absichten, und berichtete an die Königin.
„Wir werden sehen ob ihr lügt. Wenn es so ist, werden wir euch töten“, gab der Offizier zurück: „Legt eure Waffen ab und ergebt euch.“
„Durchsucht sie!“, fügt er an seine Männer gewandt hinzu.
Widerstandslos ließ ich mir sämtliche Waffen abnehmen. Allerdings übersahen auch diese Soldaten die Wurfsterne, die sich in den Ornamenten meines breiten Gürtels aus Silber verbargen. Das war nicht weiter verwunderlich, denn sie waren genau zu diesem Zweck in die Verzierungen eingearbeitet worden.
Es gestaltete sich etwas mühsam für die Männer, mich zu durchsuchen da ich sie um zwei Ellen oder mehr überragte. Als Kaltländer war ich nicht nur größer, sondern auch weitaus massiger. Als Folge waren meine Waffen auch erheblich größer als ihre. Sie beförderten mich daher kurzerhand auf die Knie, auch wenn ich das überhaupt nicht leiden konnte. Aber ein Dutzend Speerspitzen, die auf meinen Hals und mein Gesicht deuteten, zeigten mir, dass es keine gute Idee war, sich dagegen zu wehren.
Auch die Anderen folgten einer nach dem anderen meinem Beispiel, als sie sahen, dass ich mich ergeben hatte. Die Soldaten umringten jeden von ihnen ebenso wie mich und nahmen ihnen nicht gerade sanft die Waffen ab.
Nachdem alle entwaffnet und zudem noch mit Stricken gefesselt worden waren, wurden wir grob wieder auf die Beine gezogen und zu dem kommandierenden Offizier geschleift, der die ersten Befehle gegeben hatte. Dabei hörten wir die ungläubigen Unterhaltungen über unsere spektakuläre Ankunft auf dem Drachen und meine angebliche Zugehörigkeit zu den Rittern von Kaltarra.
Neben dem Kommandeur der Truppen befand sich eine ganze Anzahl weiterer Offiziere, die uns alle mit grimmigen Gesichtern anstarrten.
Der Kommandeur selbst entpuppte sich als grobschlächtiger Mann von mindestens fünfzig Wintern, der in einer schweren Plattenrüstung steckte auf dessen Brust zahlreiche Orden befestigt waren. Er hatte einen stechenden Blick aus grauen Augen, die fast gänzlich unter weißen, buschigen Brauen verschwunden waren. Er hatte einen langen wirr abstehenden Bart und hielt seinen Vollhelm mit grünem Federkamm in der linken Hand.
„Ich bin Major Atross. Ihr werdet mir alles sagen, was ihr wisst, oder auf der Stelle sterben. Wenn mir eure Geschichte nicht gefällt, werdet ihr das gleiche Schicksal erleiden. Ich habe wenig Zeit, redet.“
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