Читать книгу Die sieben Siegel der Dakyr - Band 3 - Attravals Grab - Christian Linberg - Страница 15
Оглавление1 - 12 Im Labyrinth -
Statt sofort die Gänge zu betrachten, die aus dem Raum fortführten, besah ich mir die Leichen oder besser die Verletzungen der Leichen genauer.
Wie schon auf den ersten Blick vermutet, hatten sie überwiegend Stichwunden in den Beinen. Interessanterweise hauptsächlich an den Waden und den Oberschenkeln, nur wenige an den Füßen.
„Warum haben sie die Leichen eigentlich hierhergeschafft?“, wunderte sich Phyria.
„Vermutlich, damit wir nicht sehen, welchen Weg sie genommen haben“, gab ich zurück, ohne mich umzusehen.
„Dann wissen sie also, dass wir kommen.“
„Sieht so aus. Hätte mich aber auch gewundert, wenn nicht. Wir waren nicht gerade leise. Wenn sie wirklich schlau gewesen wären, hätten sie ihre Toten mitgenommen, dann hätten wir keine Anhaltspunkte gehabt.“
„Was ist mit den Toten?“, wollte Jiang wissen. Toten stand sie skeptisch gegenüber und unterließ es für gewöhnlich, sich damit zu befassen.
Mir machte es dagegen nichts aus, die Wunden von Nahem zu begutachten und sie prüfend zu betasten und zu vermessen.
„Die Falle verletzt die Beine, die Füße selber nicht. Also wird sie durch Druck ausgelöst, ist aber verzögert, sonst hätten sie Löcher in den Schuhen und Fußsohlen.“
„Und wie hilft uns das?“, erkundigte sich Phyria verwirrt.
„Wenn Du schnell genug läufst, werden die Spieße Dich verfehlen“, erklärte Jiang freundlich.
Ich blickte sie irritiert an.
„Was?“, fragte sie barsch.
„Nichts.“
„Lass uns die Gänge untersuchen.“
Jiang nickte. Wir schritten beide unabhängig voneinander die Eingänge ab. Sie hatte eine Fackel entzündet, mit der sie sie einen nach dem anderen beleuchtete.
Die Öffnungen lagen alle auf einer Seite des Raumes. Sie waren zwei Schritte hoch und einen Schritt breit.
An unterschiedlichen Stellen machten alle Gänge einen Knick so dass alle in die gleiche Richtung führten. Bei allen war der Boden an verschiedenen Stellen bis zum Knick mit einem bronzenen Metallgitter belegt. Das Gitter hatte ungefähr im Abstand von einer Handbreit Löcher von der Dicke meines Daumens. Dies war offensichtlich die Falle.
Jedes der Gitter war gut drei Schritte lang. Schwer zu überspringen also, höchstens mit Anlauf und auf keinen Fall in voller Rüstung.
Wir beschrieben den anderen unseren Fund.
Droin wollte sich die Sache selbst ansehen, aber Anaya hielt ihn fest: „Kommt nicht in Frage. Dein Atemsack ist noch nicht beschädigt, aber wenn der Bolzen sich bewegt, könnte sich das ändern.“
Gehorsam ließ er sich zurücksinken: „Es gibt vermutlich einen Weg um die Fallen herum. Fangt dort an, wo das Blech am weitesten im Gang liegt. Sucht an den Wänden.“
Wie er prognostiziert hatte, fanden wir einen einzigen Stein, der sich eindrücken ließ, einen Fingerbreit über dem Boden. Lautlos schwang ein Steinblock von einem Rechtschritt Größe zur Seite. Dahinter gab es einen niedrigen Tunnel.
Ohne zu zögern legte ich meinen Rucksack ab. Dann ließ ich mich auf alle Viere nieder und zwängte mich hinein.
Jiang betrachtete den Boden missmutig: „Ständig verschmutze ich meine Kleidung, weil ich durch schmale Tunnel oder dreckige Keller kriechen muss. Das gefällt mir nicht. Die Sachen sind neu.“
„Ich weiß, ich war dabei, als Du sie gekauft hast.“
Trotzdem folgte sie mir, kaum dass ich im Gang verschwunden war.
Der Weg wirkte unberührt, und war weder besonders lang, noch wirklich dreckig.
Nach etwa sechs oder sieben Schritt endete er vor einer Wand.
Ich musste eine Weile suchen, ehe ich den Öffnungsmechanismus fand. Dieses Mal schwang die Tür nicht auf, sondern ich musste selber schieben, begleitet wurden meine Bemühungen dabei von einem leisen Quietschen.
Zu meiner Verwunderung befand ich mich im Nachbargang und blickte in das verwirrte Gesicht von Phyria, die mich über eine der Bodenbleche hinweg beobachtete.
„Scheint so, als wären wir zwar ein Stück weiter, aber noch immer nicht hindurch.“
„Natürlich nicht“, erklang es von hinter mir, aus dem Tunnel: „Auf der anderen Seite geht es weiter. Such den Eingang.“
Ich war versucht, sie zu treten, aber ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Also suchte ich den Mechanismus.
Es ging erstaunlich schnell, obwohl ich dieses Mal auf Höhe meines Knies fündig wurde.
Das Ganze war äußerst unbequem, da ich zu wenig Platz hatte, aufrecht zu stehen oder mich richtig hinzusetzen.
Die Öffnung war identisch zur ersten, aber sie schwang nicht zurück, sondern sackte mit einem leisen Zischen nach unten. Der Gang dahinter war ähnlich einladend, wie der erste. Ich seufzte und kletterte hinein.
Dieses Mal war er nicht gerade und glatt behauen, sondern wand sich im Zickzack durch sehr grobes Gestein.
Als ich Jiang hinter mir fluchen hörte, musste ich ein Kichern unterdrücken.
Meine Rüstung polsterte mich gut gegen den rauen Untergrund. Einen Luxus, den Jiang in ihren teuren, parfümierten Seidenroben nicht hatte.
Als ich dieses Mal den Ausgang erreichte, klappte der Stein nach der Öffnung davor nach oben weg.
Wieder landete ich zwischen zwei Blechen, dieses Mal im dritten Gang.
Jetzt hatte auch ich das Prinzip verstanden.
Manchmal war ich vielleicht etwas langsamer, aber schließlich nicht völlig blöde. Also suchte ich an der gegenüberliegenden Wand den Öffner.
Überraschenderweise befand er sich an der Decke, und hinter der Steintür verbarg sich auch kein Kriechgang, sondern eine Treppe. Sie wand sich – offenbar einer Gesteinsader folgend – abwärts.
Der Gang, von dem die Treppe wegführte, wurde von der rechten Seite durch Fackelschein beleuchtet. Ich konnte die Lichtquelle nicht sehen, weil sie durch einen Knick vor meinen Blicken verborgen blieb.
„Wir sind in Gang drei gelandet“, sagte ich laut, so dass Phyria mich hören konnte.
„Gut. Wir kommen nach, sobald Droins Wunde versorgt ist“, gab sie zurück.
Während ich ihr beschrieb, wo die Öffnungsmechanismen verborgen waren, war Jiang an mir vorbei die Treppe hinunter gegangen.
Sie kehrte bereits nach wenigen Augenblicken zurück.
Als ich sie ansah, legte sie einen Finger auf ihre Lippen, dann deutete sie die Treppe hinunter.
„In der Nähe ist jemand. Ich habe ihre Schritte gehört“, signalisierte Sie mir in der Zeichensprache, die wir von den Dieben aus Rellinn erlernt hatten.
„Viele?“, antwortete ich ebenso.
„Mehr als fünf, weniger als fünfzig.“
Das war ziemlich ungenau. Und wenn wir Pech hatten, auch ziemlich viele. Da sie es nicht genauer wusste, nahm ich an, dass sie nicht direkt am Ende der Treppe warteten. Sonst hätte sie sie bestimmt gezählt.
„Ich seh‘ mal nach. Warte auf die anderen.“
Dann nickte ich ihr zu und bewegte mich so leise ich es in voller Rüstung vermochte, die Treppe hinunter.
Sie war eng und niedrig, mit unregelmäßigen Stufen. Ich musste mich ziemlich verbiegen, um nicht ständig irgendwo anzustoßen.
Zwar war ich mir sicher, dass die Anderen mich auch dann nicht gehört hätten, wenn ich irgendwo angestoßen wäre, aber Vorsicht hatte noch nie geschadet. – Oder wenigstens nicht sonderlich häufig.
Nach zwanzig Schritten öffnete sich der Gang. Das neue Stück verlief von links nach rechts auf einer Breite von zwei Mannslängen und einer Höhe von drei Schritt. Eine Unterstraße.
Davon hatte Jiang nichts gesagt. Sehr vorsichtig trat ich auf die Straße hinaus, die sogar gepflastert war.
Zu sehen war nichts. Die Straße war in beiden Richtungen leer. Angestrengt lauschte ich auf Geräusche, konnte zunächst aber nichts hören.
Erst als ich ein paar Schritte nach links machte, konnte ich sehr leise Stimmen hören, zudem hatte ich vage den Eindruck, dass es einen schwachen Lichtschein gab, war mir aber nicht sicher.
Lautlos schlich ich näher. Tatsächlich wurde der Schein minimal heller und die Stimmen kaum merklich lauter. Zudem endete die Straße zehn Schritte weiter in einem großen, runden Raum, der mindestens drei Stockwerke hoch war.
Handbreit für Handbreit näherte ich mich der Öffnung. Unmittelbar über mir gab es einen zweiten Durchgang, und auch unter mir musste es eine Gangmündung geben. Nachsehen konnte ich nicht, denn in dem Gang über mir befanden sich mindestens drei Personen. Ganz leise unterhielten sie sich, aber worüber konnte ich nicht verstehen.
Der Lichtschein rührte von einer Fackel, die schwach den Boden des Raumes beleuchtete. In der Mitte des Raumes befand sich eine Steinsäule, die sich über die gesamte Höhe bis zur Decke erstreckte. Sonst gab es daran keinerlei Besonderheiten.
Als ich mich gerade abwenden wollte, fiel mir auf, dass es oben fast direkt neben der ersten noch eine zweite Öffnung gab. Ich hätte sie nicht gesehen, wäre ich nicht die ganze Breite der Straße abgeschritten, um an der Säule in der Mitte vorbei sehen zu können.
Anhand von Größe und Lage schätzte ich den Durchgang als das Ende des vierten Ganges ein, der von dem Raum mit den vielen Leichen bis hierher führte.
Das erklärte den Weg, den die Soldaten aus Morak eingeschlagen hatten.
Irgendwie waren sie von einem Gang zum nächsten gelangt.
Und wie es aussah, verlief unser Gang in die gleiche Richtung, nur direkt darunter.
Mit diesen Erkenntnissen kehrte ich zur Treppe zurück.
Leise schlich ich wieder nach oben, wo die anderen bereits auf mich warteten. Jiang hatte sich zum Meditieren auf dem Fußboden niedergelassen, Droin hatte den rechten Arm in einer Schlinge fixiert, um ihn ruhig zu halten.
Phyria begutachtete im Licht ihrer brennenden Hände die Fallen, während Anaya sich erneut um die Verletzungen der Gefangenen kümmerte, die – wie mir zu meiner Überraschung auffiel – nicht mehr gefesselt war.
Anaya bemerkte meinen Blick und winkte ab: „Wo soll sie denn schon hin?“
„Lärm machen, kann sie auch ohne wegzulaufen“, gab ich zurück, ehe ich berichtete, was ich entdeckt hatte.
Droin nickte bei meinem Bericht mehrfach, unterbrach mich aber nicht, bis ich meine Ausführungen beendet hatte: „Wir haben einen der Hauptwege erreicht. Das sollte uns erlauben, etwas näher an unsere Gegner heran zu kommen.“
„Leise sein. Drakk und Anaya als erstes, dann die Gefangene und ich. Ihr geht nach hinten“, entschied Jiang energisch: „Und lösch das Licht, Phyria, sonst merken sie, dass wir da sind.“
Klang vernünftig, auch wenn mir der Tonfall nicht gefiel.
Zunächst musste ich jedoch meine Ausrüstung holen. Außer Droin wäre niemand in der Lage gewesen, meine Sachen zu tragen. Es war kein Vergnügen, sie durch den engen, niedrigen Gang zu transportieren.
Ich legte sie wieder ab, sobald ich die Straße erreicht hatte. Kaum war ich zurück, eilte Anaya leichtfüßig die Stufen hinunter, während ich mich vorsichtig bewegen musste, um keinen Lärm zu machen.
Hauptsache, es ging voran. Wir mussten unbedingt vor den Soldaten den Kompass erreichen. Ihnen das Ding hinterher wieder abzunehmen, würde ungleich schwerer sein.
Ich bemerkte, wie Anayas hübscher Hintern vor mir nach links abbog, um sich selbst ein Bild von meiner Entdeckung zu machen.
Das wertete meine Fähigkeiten nicht ab, sondern sollte dafür Sorge tragen, dass uns nichts entging.
Ich sah ihrer schlanken Rückseite einen Augenblick nach, dann schlich ich in entgegengesetzte Richtung davon.
Die Straße war tatsächlich gepflastert und wies auch Spuren regelmäßiger Benutzung auf. Jedenfalls war sie irgendwann einmal regelmäßig benutzt worden. Wozu man in einem steinernen Tunnel ein Pflaster brauchte, entzog sich meiner Vorstellung.
Vielleicht konnte Droin das erklären. – Später.
Mir gefiel die Straße nicht, denn trotz Dunkelsicht konnte ich nicht weiter als drei Seillängen sehen.
War ein Wesen mit besseren Augen im Dunkel verborgen, konnte es mich sehen, ehe ich eine Chance hatte, es zu entdecken. Daher war ich äußerst angespannt, während ich in der Mitte der Straße voran schlich.
Doch vor mir befand sich nichts als Schwärze. Kein Licht, keine Umrisse, keine Bewegungen und auch keine Geräusche.
Daher brauchte ich einen Moment, bis ich merkte, dass ich der Schwärze immer näher kam. Zehn Schritte von mir entfernt, war die Straße zu Ende: nicht, weil dort eine Wand oder ein Tor war, nein, sie fehlte schlicht und einfach. Wie am Rand einer eingestürzten Brücke. Ich blickte in einen bodenlosen Abgrund.
Die Straße war abgestürzt. Dort wo sie sich einst befunden hatte, war nur ein großes Loch zurückgeblieben.
Die Lücke war so groß, dass ich nur mit Mühe die andere Seite erkennen konnte.
Dabei fiel mir auf, dass auf der anderen Seite zwei Tunnel weiter führten. Unserer, und ein weiterer direkt darüber.
Vorsichtig beugte ich mich über den Abgrund und blickte nach oben. Tatsächlich befand sich dort ebenfalls eine Öffnung. Und noch etwas hatte ich dort entdeckt: Jemand hatte drei Seile über die Lücke gespannt. Zwei dienten als Handläufe, das Dritte zum darauf laufen. Für ein Provisorium eine sehr beeindruckende Leistung.
Zumal ich keine Ahnung hatte, wie sie den Abgrund überwunden hatten.
Vorsichtig kniete ich mich hin und blickte nach unten. Lange Zeit konnte ich wenig erkennen, doch dann wurde mir bewusst, dass sich ganz unten, am Grund tatsächlich Lichter befanden.
Je länger ich sie betrachtete, umso mehr wurde mir klar, dass es Muster bei den Lichtern gab, Linien und Kreise, und manche schienen sich sogar zu bewegen. Eine Siedlung.
„Was kannst Du backen?“, versuchte Droin der mich mittlerweile erreicht hatte mit einer Hand in Zeichensprache zu fragen.
Er meinte wohl „sehen“. Ich musste mich anstrengen, ihn zu verstehen, weil er nur eine Hand frei hatte und die auch noch in einem Panzerhandschuh steckte.
„Unten ist eine Siedlung. Oben eine Brücke aus Seilen über den Abgrund. Die könnten wir nutzen.“
„Finger?“
Ich schüttelte den Kopf. Keine Feinde.
Droin kniete sich vorsichtig neben mich, und sah lange in den Abgrund. Viel länger als ich es getan hatte. Die anderen hatten nichts von unserem Austausch mitbekommen, weil sie im Dunkeln nichts sehen konnten.
Das fehlende Licht war ein Problem, aber eine Fackel wäre zu auffällig gewesen. Zunächst musste ich wieder mein Gepäck holen. Langsam ging es mir auf die Nerven, dass ich neben dem Rucksack auch den Sattel schleppen musste.
Wieder am Abgrund angekommen, ergriff ich die Hände von Jiang und Anaya und führte sie ein paar Schritte zurück. Ich zog meine Decke aus meinem Rucksack, ebenso wie eine Kerze, einen Feuerstein und ein Schlageisen. Wir setzten uns im Kreis, mit der Decke über unseren Köpfen. In der freien Fläche zwischen uns entzündete ich die Kerze und berichtete dann im schwachen Lichtschein, was ich gesehen hatte.
„Gefährlich. Wenn sie Wachen zurückgelassen haben, müssen sie nur die Seile kappen, während wir darauf stehen“, flüsterte Anaya.
„Und wir können auf der anderen Seite wieder nach unten klettern. Und die untere Straße benutzen. Das ist der schnellste Weg.“
Jiang dachte einen Moment über unsere Argumente nach: „Wir seilen uns an, Du gibst uns Deckung, Drakk geht als Erster.“
Ich zuckte mit den Achseln: „Von mir aus. Aber macht das Seil an den Haken fest, die sie für die Seilbrücke benutzt haben, dann reiße ich euch nicht mit runter, falls ich fallen sollte.“
Beide nickten.
„Lass Dich nicht umbringen“, hauchte Anaya mir zum Abschied zu. Sie machte einen besorgten Gesichtsausdruck.
Auch Jiang wirkte nicht besonders glücklich, aber mir fiel auch keine bessere Lösung ein. Im Dunkeln über ein Seil zu gehen, an dessen anderem Ende möglicherweise jemand nur darauf wartete, es durchzuschneiden, oder mich mit Pfeilen zu beschießen, während ich wehrlos tausend Schritt über dem Abgrund hing, war ein ziemliches Risiko. Eines, dass ich auf jeden Fall vermieden hätte, wenn ich eine andere Lösung gewusst hätte.
Ich löschte die Kerze, bevor ich sie zusammen mit der Decke wieder im Rucksack verstaute. Jiang schlich unterdessen zu Phyria, und unserer Gefangenen. Da die beiden die Zeichensprache nicht verstanden, musste sie ihnen im Flüsterton erklären, was wir vorhatten.
Anaya blieb abwartend stehen, den Kopf leicht zur Seite geneigt.
Also tat ich ihr den Gefallen. Mit einer Hand ergriff ich ihren Nacken, um sie zu mir heran zu ziehen. Überrascht öffnete sie den Mund zu einem leisen Protestschrei, doch bevor sie dazu kam, verschloss ich ihn mit einem Kuss, den sie ohne zu zögern leidenschaftlich erwiderte.
Ich fuhr ihr mit der anderen Hand zwischen die Beine, woraufhin sie erst zusammenzuckte, doch dann ihre Beine weiter öffnete und ihr Becken vor und zurück bewegte, um sich daran zu reiben. Ohne mich von ihr zu lösen, schob ich sie rückwärts bis zur Wand. – Und daran empor. Sie schlang ihre Arme um mich und wir verharrten einen langen Augenblick auf diese Art, nur der keuchende Atem und die leisen Geräusche von Leder, ehe ich sie wieder losließ und mich abwandte, um mit ein paar schnellen Schritten bis zur Kante über den Abgrund zu gehen.
Ich blickte nicht zurück, sondern konzentrierte mich auf die Aufgabe vor mir. Dabei musste ich etwas verwundert feststellen, dass Droin einen Federkiel hervorgezogen hatte, und dabei war, eine Nachricht zu schreiben. Um ihn nicht zu stören, kroch ich vorsichtig an der Kante entlang, mit dem Blick nach oben gerichtet. Ich war auf der Suche nach einer Stelle, an der ich meine Fähigkeiten anwenden konnte.
An der rechten Wand fand ich schließlich die Möglichkeit, mich festzuhalten und rückwärts über den Abgrund zu lehnen, um einen besseren Blick auf den Tunnel über mir zu erhaschen.
Obwohl ich keine Angst vor Höhen hatte, war mir mulmig zu Mute. Aber so konnte ich schräg über mir einen Teil der linken Wand erkennen. Der Boden wäre besser geworden, aber noch hatte ich nicht herausgefunden, wie man um die Ecke sehen konnte.
Also musste das genügen, was ich tatsächlich erkennen konnte.
Sehr sorgfältig konzentrierte ich mich darauf, ein Tor dorthin zu öffnen. Zu meiner Erleichterung nahm er dieses Mal seine normale, schmucklose Gestalt an.
Ich schritt hindurch und landete wie erwartet im oberen Gang.
Ein Blick in beide Richtungen genügte, dann holte ich ein Seil aus meinem Rucksack. Ich knotete es an einem der Haken fest, die auch die Seilbrücke hielten. Kaum hatte ich es heruntergelassen, kletterte Anaya auch schon daran empor.
Ich begrüßte sie mit einem Kuss, dabei half ich ihr über die Kante.
„Davon will ich mehr“, flüsterte sie mit deutlicher Erregung in der Stimme.
Als nächste folgte Jiang, die leicht und sicher nach oben gelangte. Einem kurzen Impuls folgend, begrüßte ich auch sie mit einem Kuss, den sie zu meiner Überraschung erwiderte.
Phyria, die danach kam, tat sich mit dem Seil sichtlich schwerer, doch auch sie schaffte es, sogar halbwegs leise. Dann geschah einen Moment nicht, ehe das Seil einmal ruckte.
„Du musst die Gefangene hoch ziehen“, signalisierte Jiang mir in der Finsternis.
„Und Droin hinterher auch.“
„Toll. Ist er zu faul zum Klettern?“, flüsterte ich so leise, dass mich niemand hören konnte. Trotzdem zog Jiang eine Augenbraue hoch.
Natürlich war mir klar, dass er mit einem verletzten Arm nicht klettern konnte.
Ich setzte mich auf den Boden, mit den Füßen an den Haken abgestützt. Und ergriff das Seil. Anaya schob währenddessen ein Stück Leder über die Kante, damit es nicht durchscheuerte. Als ich damit begann, die Gefangene hoch zu ziehen, richteten sich Anaya und Jiang den Gang entlang aus, indem sie die Tunnelwände rechts und links zur Orientierung nutzen.
Anaya legte einen Pfeil auf die Sehne. Jiang hatte dagegen zwei Pinsel gezogen, die sie wie Dolche hielt.
Wenn jemand auf das schleifende Geräusch des Seiles reagierte, würde er ziemlich sicher eine unangenehme Überraschung erleben.
Sobald ich sah, dass sie bereit waren, packte ich fester und zu und zog. Es war anstrengend, aber nicht besonders schwierig. Schlimmer war die Anspannung. Die ganze Zeit über wartete ich auf einen Pfeil oder Bolzen, der sich in meine Brust bohrte. Die Vorstellung machte mich nervös und ließ mich schwitzen. Ich war froh über die Handschuhe, sonst wäre mir das Seil vermutlich durch die Hände gerutscht. So scheuerten die Handschuhe nur an den Knöcheln.
Doch egal wie lange ich wartete, es passierte nichts.
Unsere Gefangene erreichte wohlbehalten den oberen Tunnel. Phyria kniete neben dem Seil, um ihr nach oben zu helfen. Die Soldatin klammerte sich krampfhaft fest. Als Phyria sie packte, wäre sie vor Schreck beinahe heruntergefallen. Doch dann war sie ebenfalls oben, und lag einen Moment völlig erschöpft neben mir auf dem Boden, während Phyria die Knoten löste.
Droin nach oben zu ziehen, war ungleich schwerer, da er in voller Rüstung deutlich mehr wog, als ich. Ohne meine arkanen Fähigkeiten wäre es mir unmöglich gewesen.
So aber schöpfte ich zusätzliche Kräfte. Meine Rüstung ächzte, als meine Muskeln anschwollen. Es kostete mich mehr Mühe die Kräfte herbeizurufen, als Droin nach oben zu ziehen. Das sagte mir, dass nicht mehr viel von meiner Energie vorhanden war. Zeit für eine Auffrischung.
Während ich am Seil zog, wurde mir plötzlich bewusst, dass mein Vater zwar ein Dämon gewesen war, der meine Mutter getötet hatte, aber seine Fähigkeiten hatten mir bislang mehr genutzt, als geschadet.
Dankbar war ich ihm dafür nicht, aber ich konnte nicht länger bestreiten, dass sie mir halfen.
Da Droin im Dunkeln sehen konnte, hatte er keine Mühe, sich in den Tunnel zu wuchten, obwohl er nur eine Hand zur Verfügung hatte. Sein Griff war wie ein Schraubstock um das Seil. Allerdings ging es nicht geräuschlos von statten. Einen Augenblick hielten wir alle den Atem an, als er scheppernd über die Kante rollte.
Dabei fiel mir plötzlich auf, dass ja hinter uns, am anderen Ende des Tunnels mindestens drei Männer warten mussten, an denen wir eben erst vorbei geschlichen hatten. Aber sie hätten schon taub sein müssen, um das hier zu überhören.
Kaum war er oben, als ich das Seil losließ, um mich umzusehen. Doch auch dieses Mal wurde ich enttäuscht, denn es war alles ruhig.
„Was ist?“, signalisierte Droin, der zu mir getreten war.
Ich antwortete ihm und er nickte.
„Dann verschwinden wir, bevor sie mutig werden“, gab er zurück, wobei er seine rechte Hand nur sehr vorsichtig bewegte.
Ohne eine weitere Antwort wandte ich mich wieder dem Seil zu. Erst setzte ich mir der Rucksack wieder auf, dann band ich mir das lose Ende um die Hüfte, bevor ich sehr langsam auf die Seilbrücke hinaus trat.
Wie erwartet, gab das Seil unter meinem Gewicht nach, hielt aber. Also marschierte ich weiter.
Das Seil gab dabei einen leichten, singenden Ton von sich, der verriet, unter welcher Belastung es stand. Zudem ächzten und knirschten die Stellen, an denen kurze Seilstücke das Laufseil mit den Halteseilen verbanden, damit sie einen Teil des Gewichts übernahmen. Auf diese Weise sackte das Laufseil nicht so weit durch.
Das war so ungefähr alles, was ich davon verstand. Droin hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, mir etwas über Baukunst beizubringen, nachdem ich wiederholte Male unter Beweis gestellt hatte, dass ich dafür gänzlich unbegabt war.
In der Mitte des Überwegs hielt ich einen Moment inne und sah mich vorsichtig um: vor mir waren die Anfänge zweier Tunnel zu sehen – oder besser die Fortsetzungen. Unter mir war der unheimliche Abgrund mit den ganz schwachen Lichtern am Boden.
Alles wie erwartet.
Ich kam mir etwas verloren vor, in einer solchen Leere war ich noch nie zuvor gewesen, ohne durch ein arkanes Tor zu schreiten. Nur das Seil war meine Verbindung zur Welt.
Ein profaner Rettungsanker im Nichts.
Bei dem Gedanken von mir, hätte Jiang sicher angefangen zu lachen. Geisteskunst war einfach nicht mein Ding. Ich schüttelte mich einmal, dann musste ich das Seil lösen, mit dem ich mich um die Hüfte gesichert hatte, sonst konnte ich die andere Seite nicht erreichen.
Riskant, falls doch noch jemand auf mich wartete, aber die einzige Lösung.
Am Ende der Brücke lag ein Gang, der sich durch nichts von denen unterschied, durch die wir bereits gekommen waren. Wachen oder Anzeichen für einen Hinterhalt konnte ich nirgends erkennen. – Was nicht unbedingt heißen musste, dass keiner da war. Schließlich war das das Zeichen eines guten Hinterhalts.
Vorsichtig näherte ich mich dem Ende der Brücke. Dabei entdeckte ich weiter hinten im Tunnel ein paar Schuttberge. Außerdem war ein Teil der Decke eingestürzt, denn dort ragten ein paar Trümmer in den Gang hinein.
Jedenfalls wirkte es so in der Dunkelheit auf mich. Für Details musste ich erst näher heran.
Sobald ich sicheren Boden unter den Füßen hatte, legte ich Rucksack und Sattel ab, zog mein Schwert und schlug mit der Breitseite auf eines der Seile, wobei ich darauf achtete, es nicht zu beschädigen. Eine leichte Vibration rollte durch das Seil. Das sollte ausreichen, um den anderen zu signalisieren, dass ich heil angekommen war. – Nicht, dass sie es nicht bemerkt hätten, wenn ich schreiend in die Tiefe gestürzte wäre.
Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Verlauf der Unterstraße. Hinter mir hörte ich bereits, wie jemand auf dem Seil den Abgrund überquerte. Vor mir tat sich nichts. Fast wie auf einem Friedhof.
Damit war der beste Ort für einen Hinterhalt bereits unter meiner Kontrolle, nämlich das diesseitige Ende der Brücke. Mir war ohnehin nicht klar, warum die noch da war. Wäre ich an Stelle der Erbauer gewesen, hätte ich sie nach der Überquerung abgerissen. Wer einmal eine solche Leistung vollbringen konnte, war dazu sicher noch ein zweites Mal in der Lage.
Trotz der Abwesenheit einer Bedrohung, blieb meine Aufmerksamkeit auf den Schutt gerichtet. Ich fand ihn etwas zu rund und glatt für Steine, aber da er keine Wärme abgab, wie mir ein rascher Blick offenbart hatte, konnte es eigentlich nichts anderes sein. Und immerhin, es gab auch unterirdische Flüsse und Flusskiesel darin. Außerdem war es nicht so, als hätte es für uns einen anderen Weg als diesen gegeben. Egal, ob uns jetzt jemand angreifen sollte, oder nicht.
Anaya trat hinter mir vom Seil in den Tunnel. Ich nahm sie in Empfang, wobei ich ihr erneut einen intensiven Kuss gab. Dann flüsterte ich ihr zu, was ich entdeckt hatte. Sie nickte, dann gab sie mir einen Kuss zurück und ging ein paar Schritte weiter, richtete dort den Pfeil auf ihrem Bogen den Gang hinunter aus.
Jiang war die nächste, die das Seil entlang kam. Sie bewegte sich als wäre es ebener Boden, sie schien sich sogar darüber zu freuen, denn sie lächelte beinahe. Leichtfüßig sprang sie auf den Tunnelboden.
Ich flüsterte ihr ebenfalls die Informationen zu, die ich gesammelt hatte. Als sie nickte, gab ich er einen leichten Kuss auf den Rand ihres Ohres, dann sah ich mich nach dem nächsten um, der über die Seilbrücke kam.
Es war Phyria. Sie brauchte unendlich lange, bis sie neben mir stand. Ich bemerkte, wie sie zitterte, als ich zu ihr kam, um ihr zuzuflüstern, wer sich wo befand, und was vor uns lag. Sie entspannte sich langsam, als sie mir zuhörte.
Über ihre Schulter hinweg konnte ich die Soldatin langsam aber sicher über die Seilbrücke schreiten sehen. Sie war solche Brücken offensichtlich gewohnt. Nur ihr verletztes Knie behinderte sie. Sie blieb am Anfang des Tunnels ruhig stehen, hielt ihren Kopf schief, als warte sie auf irgendetwas.
Misstrauisch behielt ich sie im Auge, während ich auf Droin wartete. Er ging sehr langsam. Dabei setzte er seine Schritte sehr sorgfältig, denn er hielt sich nur mit der linken Hand fest. Der rechte Arm ruhte wieder in der Schlinge, die Anaya für ihn gemacht hatte.
Da er ohne sich umzudrehen ging, machte ich mich auf den Weg die Straße hinunter, weil ich aus seinem Verhalten schloss, dass uns von der anderen Seite der Brücke keine Gefahr drohte. Während ich weiter ging, gab ich Anaya und Jiang kurz Bescheid, damit sie wussten, was passierte.
Je näher ich dem Schutt kam, umso seltsamer wurde das Gebilde. Für Steine war es zu glatt, und zu unförmig, aber auf der Lauer liegende Soldaten konnten es auch nicht sein, denn ich konnte weder Waffen noch Gliedmaßen erkennen. Das Ganze wirkte mehr wie ein Haufen Kohlköpfe oder Kürbisse, die man unter einem dünnen Tuch verborgen hatte.
Als ich davor stand, streckte ich meine Hand aus, um das Gebilde zu berühren.
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