Читать книгу Die sieben Siegel der Dakyr - Band 3 - Attravals Grab - Christian Linberg - Страница 9

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1 - 6 Durchbruch -

„Hey? Schläfst Du?“, rüttelte Droin mich unsanft wach. „Das gibt’s doch nicht. Wie kannst Du hier denn schlafen?“, fragte er mich ungläubig.

„Hast Du wenigstens was Schönes geträumt?“, fragte Phyria neugierig.

„Er träumt nie schöne Dinge“, antwortete Anaya, bevor ich selbst etwas dazu sagen konnte.

„Ich bin schon froh, wenn ich nichts träume, an das ich mich am anderen Tag erinnern kann“, fügte ich hinzu: „Wenn das was ich gerade geträumt habe, ein Vorgeschmack ist, dann werden wir noch mehr Dämonen zu Gesicht bekommen. Viel mehr.“

„Gut. Ich habe noch eine Rechnung offen“, erwiderte Phyria.

Sie hatte miterlebt, wie Dämonen und Soldaten aus Morak über ihre Abtei hergefallen waren. Dabei war die Abtei zerstört und die meisten ihrer Ordensbrüder und -schwestern getötet worden.

„Falls sich die Gelegenheit ergibt. Aber wir sind nicht deshalb hier. Es wird schwer genug sein, die Reihen der Angreifer zu durchbrechen, da müssen wir uns nicht noch zusätzlich Ärger suchen“, erinnerte Droin sie ruhig.

„Den müssen wir gar nicht suchen. Wir haben Drakk. Da wird der Ärger uns finden“, witzelte Anaya aus sicherer Entfernung.

„Sehr lustig“, antwortete ich, obwohl ich das nicht wirklich so empfand: „Dann würde ich mal sagen, wir gehen uns den Ärger suchen.“

Damit deutete ich auf die anrückenden Wachen und Offiziere unter Major Atross. Die Sonne war untergegangen.

„Sieht so aus als wäre es an uns, aufzubrechen.“

Droin setzte seinen Helm wieder auf.

„Zeit für meinen Auftritt. Wir müssen uns in Bewegung setzen, sobald der Nebel sich bildet. Er wird nicht lange halten und außerdem wird er sehr kalt werden.“

„Gut. Wir sind soweit.“

Mit den Händen schob Anaya den Schnee zur Seite, bis sie an das darunterliegende Gras und die Erde gelangte. Sie hockte sich hin, ehe sie eines ihrer scharfen Knochenmesser zog und sich damit selbst einen Schnitt in den linken Unterarm zufügte. Das Blut ließ sie frei auf die Erde tropfen. Dabei malte sie mit einem kleinen Stöckchen Symbole auf den Boden, in die das Blut floss. Ein feiner, blutroter Nebel begann aus dem Boden aufzusteigen. Erst nur dort, wo sie die Runen mit ihrem Blut gestärkt hatte, dann auch um sie herum. Gleichzeitig kam eine kalte Brise auf, die den entstehenden Nebel von Anaya weg und auf die Soldaten aus Morak zu wehte. Anfangs war er noch rötlich, aber je mehr er sich ausbreitete, je heller wurde seine Farbe.

In wenigen Augenblicken hatte sich eine Nebelbank von einer Seillänge Tiefe gebildet. Sie rollte wie eine Meereswoge von den Linien Kalteons auf die Befestigungen von Moraks Armee zu. Ich blieb neben Anaya stehen, während Droin und Phyria sich langsam vorwärts auf den Weg machten.

Hinter uns hörte und sah ich, wie sich die Soldaten von Kalteon zu zwei Keilformationen aufreihten, die genau in unsere Richtung zeigten. Major Atross löste sich daraus und trat zu uns.

„Ihr wollt die Reihen des Gegners im Schutz des Nebels durchbrechen?“, fragte er uns: „Wir werden euch dabei ein Wenig Gesellschaft leisten.“

„Ihr haltet euch für fähig, euch leise an die Reihen von Morak heranzuschleichen? Mit zweihundert Mann?“, gab ich abfällig zurück: „Ich glaube, ihr überschätzt eure Fähigkeiten. Stattdessen gefährdet ihr unsere Aussicht auf Erfolg.“

„Das ist mir völlig gleichgültig. Der Nebel ist eine gute Gelegenheit. Wir sind ihnen zahlenmäßig überlegen. Wenn es mir gelingt, ihren Ring zu durchbrechen, kann ich mein Kommando hier in Richtung Arinna verlegen. Durch euch wissen wir, dass es keinen Sinn hat, den Haufen Steine hier weiter zu bewachen.“

„Euer Krieg interessiert mich nicht, aber wenn ihr für mich zur Bedrohung werdet, muss ich darauf reagieren“ Ich sah, wie sich die buschigen Augenbrauen des Soldaten zusammenzogen, und wusste, dass ihn meine Einwände kalt ließen. „Lasst uns zumindest ein paar Augenblicke Vorsprung. Danach werden eure Soldaten Mühe haben, mit uns Schritt zu halten.“

„Ihr habt Zeit, bis unsere Vorbereitungen abgeschlossen sind. Ich schlage vor, ihr nutzt sie.“

Damit wandte er sich um und marschierte zu seinen Soldaten zurück.

Während unserer kurzen Unterhaltung hatte sich die Nebelbank fast verdoppelt. Droin und Phyria waren bereits über die Mauer geklettert, die von Kalteons Armee verteidigt wurde. Der Nebel hüllte sie beinahe vollständig ein und verdeckte außerdem die Linien der feindlichen Armee.

Beinahe Zeit, sich auf den Weg zu machen.

Anaya war noch immer dabei, den Nebel dichter zu gestalten. Ein steter Strom von rötlichem Dampf stieg aus dem Boden auf, über dem Anaya hockte und immer und immer wieder mit dem Stock die Runen nachzeichnete.

Vorsichtig legte ich ihr eine Hand auf den Rücken: „Zeit aufzubrechen. Wir bekommen Gesellschaft“

Anaya hob ihren Kopf, aber statt ihrer normalen Augen sah ich nur milchiges Weiß. Es dauerte einen Moment, ehe sich ihr Blick klärte.

„Was ist los? Ich war noch nicht fertig.“

„Ich fürchte, dass ist denen egal“, erwiderte ich und deutete mit dem Daumen über meine Schulter.

„Was? Die wollten doch nicht etwa den Nebel für einen Angriff nutzen? Glauben die ihre Gegner sind taub?“

„Anscheinend hat ihrem Kommandanten noch niemand erklärt, dass man auch blind schießen kann.“

„Lass mich raten: ihnen ist egal, in welche Schwierigkeiten uns das bringt.“

„Exakt.“

„Dann sollten wir uns besser beeilen.“

Sagte ich doch gerade.“

Anaya schlang einen Streifen sauberes Leinen über die Schnittwunde. Sie hielt mir den Arm hin und ich knotete die Enden fest zusammen.

„Auf geht’s.“

Leichtfüßig sprang sie los und eilte ohne anzuhalten in einem riesigen Satz über die Mauer.

Ich versuchte erst gar nicht, mit ihr Schritt zu halten, sondern trabte langsam hinter ihr her. Schon nach wenigen Schritten spürte ich die beißende Kälte, die der Nebel mitbrachte. Er war bei weitem eisiger, als gedacht. In dieser Umgebung würde auch ich in kürzester Zeit Probleme bekommen. Als erstes band ich mir ein Tuch vor den Mund, um nicht zu viel von der kalten Luft einzuatmen. Dann beschleunigte ich meine Schritte und kletterte über die Mauer, indem ich daran empor sprang, mich auf die Krone zog und einfach auf der anderen Seite herunter rollte, ohne mich lange mit einem eleganten Abgang aufzuhalten.

Ich landete mit einem hörbaren Rumms, und kam beinahe flüssig wieder auf die Füße. Der Rucksack samt Sattel beeinträchtigte mein Gleichgewicht.

Ich konnte kaum weiter als drei Mannslängen sehen. Bevor ich mich in Bewegung setzte, lauschte ich daher intensiv. Dann konzentrierte ich mich auf das brodelnde Loch in meiner Seele, ein Erbe meines Vaters. Darin wartete arkane Energie auf mich, die mir die Kräfte eines Dämons verlieh.

Es hatte lange gedauert, diese Fähigkeiten beherrschen zu lernen, weil mein Vater ein Dämon gewesen war, der meine Mutter vergewaltigt hatte. Blutrausch, Aggression und der Drang zu töten waren schwer unter Kontrolle zu halten. Noch immer erlernte ich Neues. Das Buch, was ich versuchte zu öffnen beinhaltete angeblich weitere solche Geheimnisse.

Ich griff in mein dämonisches Inneres und sog daraus ein dünnes Rinnsal Kraft, dass mir Dunkelsicht verlieh, die es mir erlaubte Wärmequellen wahrzunehmen und selbst in schwachem Sternenlicht so gut zu sehen, wie an einem hellen Tag.

Aber es war praktisch nichts zu sehen. Ein paar kleine Nager unter dem Schnee und einige niedrige Dornenbüsche. Sonst nichts. Weiter vorne im Nebel glaubte ich zwei Gestalten zu erahnen, war mir aber nicht sicher.

Durch meine gesteigerte Wahrnehmung war es mir möglich, Hindernissen auszuweichen und mich leiser fortzubewegen, als man mir das bei meinen knapp acht Fuß zutrauen würde. Es half, dass ich mit der Jagd auf gefährliche Kreaturen mein Geld verdiente.

Ich eilte durch den dichten, eisigen Nebel, wobei ich meine Schritte zählte, da ich die Entfernung zwischen der Mauer und den Palisaden auf etwas über eine Bogenschussdistanz geschätzt hatte. Nirgendwo auf der Strecke gab es brauchbare Deckung. Ohne den Nebel hätten wir es niemals geschafft.

Anaya wartete zusammen mit Droin und Phyria an einem kleinen Busch auf mich. Sie hatten sich dicht zusammengedrängt und bedeuteten mir, sehr leise zu sein. Als ich sie erreicht hatte, bemerkte ich vor mir einen flachen Graben und darin und dahinter einen regelrechten Wald angespitzter Pfähle und Äste.

Wir befanden uns praktisch unmittelbar vor der Palisade der moranischen Armee.

Gut. Wenig Zeit. Die Soldaten aus Kalteon werden angreifen, signalisierte ich Droin.

Der nickte und deutete auf Anaya: Weiß ich schon. Wir müssen hier weg, sonst erfrieren Anya und Phyria.

Ich gehe nach links, ihr geht rechts rum. Wir treffen uns in dem Wald, in dem das Grabmal liegen müsste, erwiderte ich.

Wir nutzen den Ruf der Schneeeule als Signal, fügte Anaya hinzu.

Ich berührte Droin und Phyria kurz an der Schulter, dann gab ich Anaya einen Kuss und war schon unterwegs. Von unnützer Warterei hatte ich noch nie viel gehalten. Ich arbeitete mich kriechend Handbreit für Handbreit voran, bis ich den ersten der angespitzten Pfähle mit meiner rechten Hand berührte. Die Abstände zwischen den Pfählen waren höchstens zwei Fuß, und unregelmäßig. Durchzwängen war bei meiner Größe beinahe unmöglich. Und vor allem in der Zeit, die ich zur Verfügung hatte. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern, bis sich die Soldaten aus Kalteon in Bewegung setzten.

Durch meine verbesserte Sicht konnte ich erkennen, dass ich nur noch vier Mannslängen von einem Abschnitt der Palisade entfernt war. Ich hatte eine einfache Idee. Mauern von Befestigungen führten gewöhnlich dazu, dass man nur selten daran herunter blickte, wenn man nicht belagert wurde. Ich bezweifelte, dass die Soldaten aus Morak sich die Mühe machen würden.

Also konzentrierte ich mich auf meine Kraftquelle und stellte mir vor, wie eine teerartige Substanz aus dem Loch hervorquoll. Sie bildete einen Pool, kaum einen Schritt von mir entfernt. Langsam wuchs daraus ein Torbogen empor, der über und über mit Miniaturen von Dämonen bedeckt war. Dahinter lag, für mich nur einen Schritt entfernt, ein Abschnitt der Palisade. Kaum war der Torbogen fertig, machte ich in Gedanken einen Schritt hindurch.

Kälte, gewaltiger Druck und unendliche Leere umgaben mich einen Herzschlag lang, dann fand ich mich an der Palisade wieder.

Ich konnte die Schritte von mindestens drei Männern hören, die unmittelbar auf der anderen Seite auf und ab gingen. Sie unterhielten sich leise, aber ich konnte ihre Sprache nicht verstehen. Es klang wie ein alter Dialekt aus dem Imperium, aber mehr konnte ich nicht ausmachen.

Die Palisade war etwas über eine Seillänge breit und an beiden Enden führte sie im rechten Winkel nach innen noch ein Stück weiter. Dadurch entstand jeweils zwischen zwei Palisadenwänden eine Art drei Mannslängen breiter Korridor, den man von beiden Seiten beschießen konnte. Und genau dort musste ich hindurch.

Wenn ich die Chancen der anderen vergrößern wollte, musste ich mich beeilen und dann die Aufmerksamkeit auf mich ziehen.

Ich kroch ganz langsam die Palisade entlang, die rechte Hand auf den rauen Holzstämmen, einen Wurfstern in der Linken. An der Ecke verharrte ich einen langen Moment, dann blickte ich vorsichtig darum herum. In dem Korridor zwischen zwei Abschnitten der Palisade hatte jemand bewegliche Sperren aus gekreuzten Pfählen mit Spitzen an allen Enden platziert. Ein einfaches, aber wirksames Hindernis. Dahinter marschierten vier mit Speeren bewaffnete Soldaten mit großen, eckigen Schilden auf und ab. Hinter den Soldaten konnte ich gerade noch die Spitzen einer größeren Anzahl Zelte über eine niedrige, zweite Palisade erkennen. Auch dort befanden sich Soldaten, Bewaffnet mit Speeren oder Kurzbögen. Auf Anhieb zählte ich acht. Sie konnten mich nicht sehen, weil der Nebel noch zu dicht war. Und die Kälte hielt sie davon ab, stehen zu bleiben und zu lauschen. Ich musste also nicht unmittelbar Entdeckung fürchten. Deshalb nutzte ich meinen Vorteil, so lange er noch währte.

Behutsam duckte mich um die Ecke der ersten Palisade herum und schob mich vorsichtig an das Ende heran. Von dort waren es nur vier oder fünf Schritte bis zum nächsten Wachposten. Ich zielte sorgfältig und holte mit dem Wurfstern aus. Mit dem wurfbereiten Arm folgte ich den Bewegungen des Mannes, den ich mir ausgesucht hatte. Ich wartete, bis er sich herumdrehte. Mein Arm peitschte nach vorne und der Wurfstern verließ meine Hand. Er raste durch den Nebel und bohrte sich in den Hals des Soldaten. Röchelnd und gurgelnd ging er zu Boden. Seine Kameraden sahen sich irritiert um. Sie hatten etwas gehört, konnten es aber nicht einordnen.

Gerade wollte ich losstürmen, als aus dem Lager der Lärm eines Gongs zu mir nach vorne drang. Erst dachte ich, es wäre ein Alarm, aber an der Art wie die Soldaten reagierten, konnte es sich nur um etwas viel Wichtigeres handeln: Das Essen war fertig. Ein Teil der Soldaten verließ die Palisade und folgte der Einladung. Nur ein Einzelner blieb zurück. Doch dieser stand nun mir direkt gegenüber, auf der anderen Seite der Palisade, wie ich am Knirschen seiner Stiefel erkennen konnte. Nur eine Lage Holzstämme trennte uns jetzt noch. Als ich den Kopf in den Nacken legte, konnte ich sogar seine gepanzerten Hände sehen, mit denen er sich an der Kante der Palisade festhielt.

Wenn ich mich bewegte, würde er das sofort bemerken. Es sei denn – wieder einmal ließ ich mich von meinem Instinkt leiten, ohne zu wissen, ob die plötzliche Eingebung wirklich eine gute Idee war.

Mit äußerster Vorsicht hob ich mein Schwert an und richtete die Spitze der Klinge auf einen Punkt oberhalb der Hände des Soldaten, an dem ich den Hals des Mannes vermutete. Obwohl ich annahm, dass er einen Helm trug, wusste ich, dass die meisten schlecht oder überhaupt nicht gegen Stiche von unten geschützt waren – meiner war da keine Ausnahme. – Wozu auch, normalerweise war es praktisch unmöglich einen solchen Stoß auszuführen, wenn man einem Gegner stehend gegenüber trat. Doch hier war das etwas anderes.

Vorsichtig legte ich meine rechte Hand unter den Knauf und machte mich bereit. Zwar musste ich über Kopf und nach hinten stoßen, aber es brauchte erstaunlich wenig Kraft, um eine Klinge in Hals oder unter dem Kinn in den Schädel zu treiben.

Mit meinem rechten Fuß schabte ich vorsichtig über den schneebedeckten Boden.

Neugier war bei einem Soldaten zugleich gut und schlecht. Gut, weil er dadurch aufmerksam war. Schlecht, weil sein Verhalten vorhersehbar wurde. – Wie in diesem Fall.

Weil er die Quelle des Geräuschs nicht sehen konnte, beugte er sich über die Palisade.

In dem Moment, dem ich seine Kinnspitze sah, rammte ich mein Schwert mit aller Kraft, die ich trotz des schlechten Winkels aufbringen konnte, nach oben.

Fast von alleine glitt die Klinge durch den Kehlkopf nach oben in den Schädel.

Der Soldat gab ein nasses, gurgelndes Geräusch von sich und versuchte vergeblich mit den gepanzerten Händen die Klinge zu greifen.

Blut tropfte aus dem Helm und lief die Klinge herunter, während der Mann rasch schwächer wurde.

Als er schließlich in sich zusammensackte, hätte mir sein Gewicht beinahe die Waffe aus den Händen gerissen. Im letzten Augenblick gelang es mir, den Griff festzuhalten. Ich nutzte den toten Körper, als Hebel, um aufzusehen. Dabei sog ich den Geruch des Mannes ein, und musste überrascht feststellen, dass es sich um eine Frau handelte. Neugierig besah ich mir ihr Gesicht, wobei ich darauf achtete, mich nicht aufzurichten und hinter ihr soweit es ging verborgen zu bleiben. Es zeigte einen Ausdruck von Überraschung und Schmerz, als könnte sie nicht glauben, was ihr gerade passiert war. Zudem war sie auch noch jung gewesen. Mit etwas wie bedauern riss ich mich schließlich von ihrem Anblick los und spähte um ihren behelmten Kopf herum über die Palisade.

Ein Dutzend Soldaten beugte sich gerade über zwei große Kupferkessel und ließ sich daraus großzügig Suppe ausschenken.

Allein dieser Umstand verhinderte bisher, dass sie mich entdeckten und sich auf mich stürzten.

Ich fluchte innerlich, denn jeder der Soldaten besaß einen Kurzbogen und einen gut gefüllten Köcher mit Pfeilen. Sie mochten zwar nicht die Reichweite der Armbrüste aus Kalteon haben, aber dafür machten sie durch Masse leicht wett, was ihnen an Distanz fehlte.

Einen langen Augenblick stand ich nur da und sah zu, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Dann nahm mir einer der Soldaten die Entscheidung ab, als er sich herumdrehte, um seine Kameradin zu rufen, der noch immer mein Schwert im Schädel steckte.

Wie als hätte er es so geplant, blickte er mir direkt in die Augen.

Einen Herzschlag lang wirkte er wie erstarrt. Dann öffnete er den Mund: „Alarm!“

Seine Suppenschale fiel fast gleichzeitig aus seinen Händen und er riss sich den Bogen von der Schulter.

Während seine Kameraden sich noch irritiert umsahen, griff ich tief in meine Kraftquelle und ließ mich von der Energie durchströmen. In Gedanken wuchs ein Tor aus Eis vor mir empor, durch das ich einen Platz zwischen den Zelten der ersten Reihe sehen konnte. Kaum berührten sich die beiden Torhälften in der Mitte des Sturzes, machte ich in meiner Vorstellung einen Schritt hindurch. Eisige Kälte brannte sich in meinen Körper, als ich durch die unendliche, lichtlose Leere auf das andere Ende des Tores zu fiel.

Dann war das Gefühl auch schon vergangen und ich befand mich am Ziel, mit dem Rücken zu den Soldaten, mitten in ihrem Lager.

Hätten sie nicht gerade zur Palisade gestarrt, wäre ich ihnen kaum entgangen.

So aber sackte ihre tote Kameradin gerade scheppernd in sich zusammen.

Ich nutzte die Ablenkung, um hinter einem Zelt erstmal in Deckung zu gehen.

Leider stand ich nicht nur hinter einem Zelt, sondern damit auch gleichzeitig vor einem weiteren, da die Unterkünfte sorgfältig in Reihen und Linien angeordnet worden waren.

Natürlich streckte genau aus diesem Zelt ein Soldat soeben seinen Kopf heraus.

„Eindringling! Zu mir!“, brüllte er ohne zu zögern. Dabei versuchte er, mich mit seinem Kurzschwert an der Wade zu erwischen.

Hätte er nicht gerufen, hätte er mich vermutlich auch getroffen. So wischte ich seine kurze Klinge mit meiner zur Seite und rammte ihm meinen Schild ins Gesicht. Da er keinen Helm trug, hörte ich ein trockenes Knacken, mit dem seine Nase brach. Dann ging er leise stöhnend zu Boden und blieb bewusstlos liegen. Aber er hatte seine Aufgabe erfüllt. Die Soldaten, die eben noch zu ihrer Kameradin an der Palisade gerannt waren, hatten sich nach dem Ruf fast alle herumgedreht und starrten durch den Nebel in meine Richtung.

Einen Moment dachte ich, sie hätten mich übersehen.

„Da!“, rief einer der Männer: „Ich kann seine Augen sehen. Sie glühen rot.“

Ich fluchte innerlich über meine Unachtsamkeit, aber im Dunkeln und bei diesem Nebel war die Möglichkeit Lebenskraft wahrzunehmen ein unschätzbarer Vorteil.

„Tötet ihn!“

„Verfluchte Dämonen!“

„Arrbath hat doch behauptet, sie wären unter Kontrolle.“

„Ruhe!“, befahl eine autoritäre Gestalt, die sich gerade aus dem Nebel geschält hatte. – Ein Offizier auf Inspektionsrunde.

Wieder fluchte ich leise, während ich mich nach einem Fluchtweg umsah.

„Was ist hier los?“, wollte der Offizier wissen.

„Ein Dämon, Lanzenführer. Dort drüben zwischen den Zelten. Er hat Giri getötet.“

Giri war also der Name der Soldatin. Hübsch. Schade um sie.

Ich öffnete wieder ein Tor und warf mich in dem Augenblick hindurch, in dem ich das peitschende Geräusch von Bogensehnen hörte. Die Soldaten feuerten auf die Stelle, an der ich eben noch gewesen war.

Dieses Mal hatte ich mir als Ziel den Eingang eines sechseckigen Offizierszelts gesucht, das groß genug für vier Männer gewesen wäre. Aber nach den Geräuschen, die daraus hervordrangen, befand sich nur einer darin, der gerade hastig bemüht war, sich anzukleiden. Da würde er gleich eine Überraschung erleben. Mit dem Schwert voran stürmte ich hinein. – Allerdings war ich es, der eine Überraschung erlebte.

Prompt stürzte ich über einen Tisch, der mitten im Zelt stand.

Polternd und scheppernd ging ich in einem Knäuel aus Möbeln, Unterlagen und den Resten einer Mahlzeit zu Boden.

Ich rollte mich so gut ich konnte herum, um den Besitzer des Zeltes ausfindig zu machen. Zu meiner Verblüffung lag der Mann genau neben mir.

Das fand ich dadurch heraus, dass meine Nase mit seiner Wange kollidierte als ich mich von meinem Rucksack herunterwälzte.

Vorsichtig tastete ich nach seinem Hals. Noch bewegte sich das Blut unter der Haut, also war er wohl noch am Leben. Ich untersuchte ihn kurz, stellte aber zunächst nur fest, dass er dabei gewesen sein musste, seine Stiefel anzuziehen, denn einer davon lag noch neben ihm.

Eine Platzwunde am Hinterkopf offenbarte schließlich das Geheimnis. Scheinbar hatte ihn die Kante des umstürzenden Tisches getroffen, als er sich gerade vorgebeugt hatte, um den zweiten Stiefel anzuziehen.

Ich erhob mich wieder, um mit dem Schwert das Leben des Mannes zu beenden.

Kurz bevor ich den Schlag ausführte, hielt ich dann aber doch noch inne. An sich hatte ich kein Problem damit, einen Bewusstlosen zu töten, zumal ich mir sicher war, dass er mir umgekehrt den gleichen Gefallen erweisen würde. Trotzdem hielt mich etwas davon ab. Vielleicht, dass ich mich schuldig fühlte, weil ich die junge Soldatin an der Palisade auf so unfaire Weise getötet hatte.

Ich seufzte und beugte mich ganz nah an das Ohr des Offiziers: „Heute ist Dein Glückstag. Treffen wir uns wieder, werde ich Dich nicht verschonen“, flüsterte ich ihm ins Ohr.

Dann richtete ich mich wieder auf und sah mich um. Lange konnte ich auch hier nicht bleiben. Irgendwann würde ein Soldat nachsehen kommen, warum sein Offizier sich nicht blicken ließ.

Außerdem sollte ich die Soldaten ja ablenken, und das konnte nicht, solange ich mich hier verbarg.

Also steckte ich mein Schwert weg, damit ich eine Hand frei hatte, für das, was ich beabsichtigte. Ohne groß zu suchen, fand ich eine gut gefüllte Öllampe, die der Offizier oben auf den Speichen der Zeltspinne abgestellt hatte. Ich löschte sie zuerst, dann zerbrach sie so, dass das Öl die Bettdecke tränkte. Dann warf ich den Stuhl darauf und auch die Tischbeine. Ich musste nur den Docht entzünden, damit sich eine große Flamme bildete. Dann warf ich ihn auf das Bett. Das Öl fing sofort Feuer.

Erst wollte ich noch die Papiere und Briefe des Mannes hinzufügen, doch dann entschied ich mich anders und stopfte sie in eine meiner Gürteltaschen. Sie könnten sich noch als nützlich erweisen.

Während die Flammen immer höher schlugen, bohrte ich mit meinem Dolch an verschiedenen Stellen Löcher in die Zeltwand, um hinaus zu sehen. Zunächst sah ich nur Weiß. Selbst durch die kleinen Löcher floss mir eisige Luft entgegen. Wäre ich kein Kaltländer gewesen, wären mir vermutlich die Augäpfel dabei eingefroren.

Erst nach und nach schälten sich Gestalten aus dem Nebel heraus, die wirr umher zu torkeln schienen. Soldaten liefen in Unterwäsche frierend und zitternd durch die Gegend, während zwei vollständig gerüstete Gruppen gezielt das Lager durchsuchten. Sie scheuchten ihre Kameraden zurück in deren Zelte, damit sie sich zunächst vollständig ankleideten, ohne dabei die Umgebung aus den Augen zu lassen. Eine dritte Gruppe mit Bögen sicherte die Sucher ab. Ihre Arme zitterten und sie traten ständig von einem Bein auf das Andere. Die eisige Kälte musste deutlich intensiver an allen nagen, als an mir. Ein unbekleideter Mensch würde in wenigen Zehnteln einer Kerze erfrieren.

Überall war Bewegung. Meine einzige Chance war es, ebenfalls ständig in Bewegung zu bleiben, damit sie ihr Suchnetz nicht um mich herum schließen konnte. Der Nebel bot mir zum Glück weitgehend Deckung, weil er kaum Sicht über eine Distanz von mehr als einer Seillänge erlaubte.

Ich musste unbedingt verhindern, dass sich die Truppen ordnen konnten. Meiner Schätzung nach, gab es etwa acht Zeltreihen, mit ebenso vielen Zelten in jeder Reihe. Was dahinter lag, konnte ich nur vermuten. Hoffentlich hatten sie keine rückwärtigen Befestigungen errichtet.

Hinter mir näherten sich Schritte durch den knirschenden Schnee, die meine Gedankengänge abrupt beendeten, als sie direkt vor dem Zelt anhielten.

„Lanzenführer Gondar?“, erklang eine zögerliche Stimme.

„Hmm“, grunzte ich unverbindlich.

„Haufenführer Born erwartet unverzüglich Eure Anwesenheit.“

„Hmm“, gab ich zurück.

Gleichzeitig ballte ich arkane Energien in meiner linken Hand zusammen.

Ein unmerkliches Zittern durchlief meinen Arm und ich hatte kurzzeitig das Gefühl, als würde ich damit bis zur Schulter in einem Fass voll klebrigem, schmierigem Öl stecken, das nach fauligem Fisch roch.

Trotzdem behielt ich meine Konzentration bei und wartete.

Da ich keine Befehlsbestätigung gegeben hatte, war ich sicher, dass der Soldat nicht gehen würde, ehe er eine solche erhalten hatte.

Und tatsächlich wurde die Zeltplane am Eingang angehoben und ein behelmter Kopf schob sich vorsichtig zu mir hinein. Der Soldat sah seinen Vorgesetzten bewusstlos am Boden, das brennende Bett dahinter, und mich direkt daneben.

Er öffnete den Mund, um laut zu rufen, aber darauf war ich vorbereitet. Während er noch Luft holte, grinste ich den Mann böse an und feuerte ihm meinen Blitz direkt ins Gesicht. Krachend entlud sich die Energie und warf ihn rückwärts wieder hinaus.

Der Geruch nach verbranntem Fleisch und Haaren ging im Qualm des Feuers beinahe unter.

Ohne auf weitere Reaktionen von draußen zu warten, wandte ich mich wieder einem der Gucklöcher zu.

Schon beim ersten Blick über die Palisade hatte ich erkannt, dass ich mich geduckt bewegen musste, um nicht über die niedrigen Zelte hinweg entdeckt zu werden.

Ich wählte zufällig einen Punkt zwischen zwei Zelten drei Reihen weiter hinten aus. Dieses Mal hatte ich das Gefühl, das Tor welches ich öffnete, würde aus brennenden Leinenbahnen bestehen, die sich umeinander wanden.

In letzter Zeit formte sich das Tor mehr und mehr nach der Umgebung und entzog sich in der Gestalt meiner Kontrolle. Das fand ich etwas beunruhigend, aber so lange es funktionierte, konnte ich damit leben. Bei nächster Gelegenheit würde ich Jiang dazu befragen.

Während ich mich konzentrierte hörte ich am Rande hinter mir mehrere Paar schwerer Stiefel, näherkommen. Überraschte Rufe zeigten mir, dass sie die Leiche ihres Kameraden entdeckt hatten, die direkt vor dem Zelteingang liegen musste. Zusätzlich musste ich die Luft anhalten, damit ich nicht den Rauch des Feuers einatmete, dessen Flammen bereits nach der Zeltwand leckten. Diese war zum Schutz vor Regen mit Öl oder Wachs imprägniert und würde hervorragend brennen. Ehe das geschah, war ich bereits verschwunden. Dieses Mal hatte ich den Geruch von Feuer in der Nase während ich durch die große Leere fiel, die zwischen den Welten lag. Sobald ich den Schnee unter meinen Stiefeln spürte, ließ ich mich auf ein Knie fallen.

Ich zog mein Schwert, dann lief ich los. Geduckt hetzte ich zwischen den Zelten hin und her.

Ohne den Nebel hätte ich es keine zwei Schritte weit geschafft. Und auch so hörte ich beinahe sofort hinter mir aufgeregte Rufe.

Ein Pfeil zischte von links an mir vorbei. Obwohl ich sofort den Kopf wandte, konnte ich den Schützen im Nebel nicht ausmachen. Der Schuss war mir wohl nur zufällig nahegekommen.

Ich hielt kurz an, wählte zufällig einen Punkt ganz in der Nähe eines Zeltes aus, dem sich gerade eine Gruppe von mehreren Soldaten näherte.

Ich sog arkane Kräfte aus meinem Inneren und stellte mir vor, wie sich aus einer kleinen Pfütze einer öligen Flüssigkeit zwischen den Männern ein armdicker Tentakel empor schlängelte. Es kostete mich einiges an Mühe, ihn unter Kontrolle zu halten. Er wirkte fast wie ein lebendiges Wesen. Mit einem mentalen Befehl sandte ich ihn auf die Jagd.

Einer der Soldaten war ohne es zu merken in seine Reichweite geraten. Wie eine Peitschenschnur wickelte er sich um die Hüfte des Mannes und riss ihn von den Füßen. Seine Kameraden schrien und schlugen sofort auf den Tentakel ein, doch da hatte ich meine Kontrolle bereits aufgegeben und den Energiestrom dorthin gekappt. Mit einem letzten Zucken schleuderte er den Soldaten quer durch das Lager, wo er schreiend im Nebel verschwand.

Während der Mann durch die Luft flog, war ich bereits wieder in Bewegung.

Weitere Pfeile zischten an mir vorbei, aber die Schützen konnte ich nie ausmachen. Trotzdem reagierte ich darauf, indem ich Energie in meiner rechten Hand sammelte. Dazu musste ich den Griff des Schildes loslassen, aber da er über zwei Armschlaufen verfügte, blieb er an Ort und Stelle.

Kaum hatte ich genügend Energie gesammelt, feuerte ich blindlings in die Richtung, aus der der letzte Pfeil gekommen war. Ich rannte nach rechts, die Zeltreihe entlang auf den Rand des Lagers zu. Unterwegs nutzte ich die Gelegenheit, einem Soldaten, der soeben sein Zelt verlassen wollte, meinen Schild ins Gesicht zu rammen. Ich hörte Knochen splittern und spürte die Erschütterung, als er wie ein Sack Kartoffeln zu Boden fiel.

Sobald ich an ihm vorbei war bog ich scharf nach links ab, wo ich beinahe über ein paar besonders schräg gespannte Zeltleinen gestolpert wäre. Einige taumelnde Schritte weiter bekam ich die Spitze eines Zeltpfostens zu fassen, der meinen Sturz verhinderte. Doch als ich mich daran herum schwang, riss ich das ganze Zelt um.

Durch die spontane Richtungsänderung verfehlte mich eine ganze Salve Pfeile. Die Schützen hielten sich im Nebel verborgen, aber die Tatsache, dass sie aus unterschiedlichen Richtungen schossen, zeigte mir, dass sie eine ungefähre Vorstellung davon hatten, wo ich mich befand.

Ich sog wieder Energie in mich auf. Sie floss nur widerwillig und bildete ein eisiges Tor, kaum größer als ich. Sobald es fertig war, warf ich mich auch schon hindurch. Ich hatte kein spezielles Ziel gewählt, einfach einen Punkt zwischen den Zelten, tiefer im Lager, in Richtung der hinteren Reihen.

Natürlich landete ich nach einem kurzen Gefühl von Druck und Leere mitten zwischen vier Soldaten, die gerade geduckt neue Pfeile auf die Sehnen ihrer Bögen legten.

Schnelligkeit war praktisch mein einziger Vorteil.

Mit dem Schild voran rammte ich den rechts vor mir knienden Soldaten, während ich gleichzeitig mit dem Schwert nach dem Bogen des Soldaten zu meiner Linken schlug.

Es gab einen dumpfen Knall und vor mir wurde der Mann unter der Wucht des Schildes zu Boden geschleudert. Er blieb benommen liegen.

Den Bogen seines Kameraden verfehlte ich knapp, dafür traf ich seinen Brustpanzer knapp unterhalb des Halses. Das Leder hielt dem Hieb stand, aber die Klinge hinterließ eine sichtbare Kerbe. Der Mann keuchte, griff sich an die Brust und sackte in sich zusammen.

Seine beiden verbliebenen Kameraden richteten ihre Bögen auf mich. Aus nur drei Schritten Entfernung konnten sie mich unmöglich verfehlen. Triumphierend feuerten sie ihre Pfeile ab.

- Doch da war noch mein Schild.

Wie von einem Magnetstein angezogen, änderten die Geschosse ihre Richtung und schlugen in meinem Schild ein.

Dafür verschwanden zwei Runen auf der Innenseite. Der Schild zog alle Geschosse magisch an und sorgte dafür, dass ich nicht getroffen wurde. Mit jedem Treffer löste sich eine Rune auf, die wie Verzierungen am Rand der Innenseite angebracht waren. Inzwischen waren nur noch etwas mehr als zwei Handvoll davon übrig.

Mit ungläubigen Blicken starrten die Schützen auf meinen Schild.

„Nett? Oder?“, bemerkte ich dazu.

Dann machte ich einen tiefen Ausfallschritt vorwärts und rammte dem ersten, der mir direkt gegenüber stand die Klinge durch die Rüstung mitten in die Brust. Der Sternenstahl glitt glatt wieder hinaus, als ich das Schwert zurück riss. Ich stürzte mich auf den nächsten Gegner, der mir aus Reflex seinen Bogen ins Gesicht schleuderte. Zwar richtete er keinen Schaden an, aber es ruinierte meinen Angriff, so dass er Zeit hatte, sein Kurzschwert zu ziehen.

Sofort verfiel er in eine defensive Haltung und macht keine Anstalten, anzugreifen. Das war auch gar nicht nötig, denn bereits mit den wenigen Schlägen hatte ich meine Position verraten. Genauso gut hätte ich mit einem Tempelgong umherlaufen können.

Wenn mich der Soldat noch ein paar Augenblicke länger festhalten konnte, war ich praktisch umzingelt. Also nahm ich mir eine Seite aus dem Buch meines Kontrahenten und verwandelte meine Waffe in ein Wurfgeschoss.

- Allerdings zielte ich auf seine Beine.

Kurzschwerter waren gut im Nahkampf, in einem Duell aber praktisch wertlos, weil der Gegner einen Reichweitenvorteil hatte. Weil seine Klinge nicht lang genug war, um seine Waden und Füße zu schützen tat er das, was ich an seiner Stelle vermutlich ebenfalls getan hätte: er sprang hoch und zog dabei die Beine an.

Dadurch katapultierte er sich geradewegs in die Flugbahn von zwei Wurfsternen, die ich aus ihren Halterungen im Gürtel gezogen hatte, kaum dass das Schwert unterwegs war. Er versuchte noch, die wirbelnden Klingen abzuwehren, war aber zu langsam. Einer streifte ihn an der Schulter und verschwand irgendwo im Nebel, doch der andere bohrte sich genau in seinen Hals.

Würgend brach er zusammen. Ich hatte die Würfe nicht abgewartet, sondern war ihnen direkt hinterher gestürmt. Zwei große Schritte brachten mich zu ihm und ein weiterer an ihm vorbei. Dahinter befreite ich mein Schwert aus der Wand eines Zeltes, in der es hängen geblieben war. Gerade als ich mich bückte, zischte ein Pfeil über meine Schulter hinweg.

Eine Gruppe Soldaten mit Schilden, Speeren oder Bögen schälte sich soeben schreiend und rufend aus dem Nebel.

Statt mich aufzurichten, rollte ich mich über den Schild ab, um in Deckung eines Zelts zu gelangen. Dabei riss ich mehrere Leinen ab, in denen ich mich fast verhedderte. Pfeile bohrten sich in den harten Boden hinter mir. Einer streifte sogar meine Schulter, allerdings ohne meine Rüstung zu durchdringen. Trotzdem hinterließ er eine schmerzhafte Schramme.

Noch ehe ich ganz ausgerollt war, öffnete ich mich wieder meiner Kraftquelle und sog Energie in mich auf. Ich formte daraus in Gedanken ein Tor, dieses Mal zu einer Stelle am Rand des Lagers.

Dort angekommen, öffnete ich ein weiteres, dieses Mal direkt hinter einem schemenhaften Umriss eines Soldaten.

Er hörte das Knirschen des Schnees unter meinen Stiefeln und drehte sich um.

Jedenfalls versuchte er es. Die Klinge meines Schwertes, die ich ihm links unter seinen Helm an den Hals hielt, ließ ihn in der Bewegung erstarren.

Der Statur nach, war es vermutlich eine Frau oder ein kleiner Mann. Das bedeutete, weniger Muskeln, aber dafür mehr Beweglichkeit und bessere Reflexe.

„Fallenlassen!“, kommandierte ich mit Blick auf ihre Waffe.

„Den Schild auch!“

Beides landete im Schnee.

„Hinknien!“

Mein Kontrahent zögerte.

„Wenn ich Dich töten wollte, würde ich nicht mit Dir reden.“

Langsam ließ sie sich auf den Boden sinken. Dabei erkannte ich auch, dass es sich wirklich um eine Frau handelte.

„Hände auf den Rücken.“

Wieder zögerte sie.

„Ich habe für so was keine Zeit. Du kannst machen was ich Dir sage, oder ich schneide Dir jetzt und hier die Kehle durch und suche mir jemand anderen“, fauchte ich sie mit gepresster Stimme an.

Sie zuckte sichtbar zusammen, folgte dann aber meinem Befehl.

Dann lehnte ich meinen Schild gegen mein Bein.

Ich löste eine Lederschlaufe vom Gürtel, die ich ihr mit einer Hand über die Handgelenke schob und zusammenzog.

Nachdem die Hände gefesselt waren, band ich das Ende um ihren Hals und führte es wieder zurück zu den Händen.

Als das erledigt war, riss ich sie daran wieder auf die Füße und steckte gleichzeitig mein Schwert weg.

So nah hinter ihr wurde mir klar, dass ich zwei Köpfe größer war als sie. Ich griff um sie herum und löste ihren Gürtel, weil daran ein Dolch und eine Reihe Taschen hingen, über deren Inhalt ich mir nicht auch noch Gedanken machen wollte. Sie war eiskalt und zitterte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob es wegen der Kälte war, oder ob sie Angst hatte.

„Was wiegst Du?“, schnauzte ich sie an, während ich sie zwischen zwei Zelte zerrte.

„D-d-dreiundfünfzig Stein“, gab sie mit überraschend tiefer, aber zittriger Stimme zurück. In Rüstung also noch unter siebzig Stein. Machbar.

„Stillhalten!“

Ich hörte nach wie vor überall Schritte und Stimmen, und sah die schemenhaften Umrisse von Soldaten, die überall im Lager herumliefen, beleuchtet vom hellen Schein des brennenden Zelts. Aber für den Moment war keiner davon nah genug, um mich zu entdecken. Vor mir lag nur noch eine Reihe Zelte, dahinter befand sich wieder offenes Gelände.

Eines der Zelte in der finalen Reihe war wiederum ein Offizierszelt. Natürlich war der Offizier nicht mehr darin, sondern würde irgendwo im Lager die Suche koordinieren.

Ich sammelte meine Kraft für ein neues Tor direkt dorthin. Dieses Mal war es deutlich schwieriger, weil ich die Gefangene mitnehmen wollte. Scheinbar besaß sie eine gewisse Sensibilität für arkane Ströme, denn sie begann plötzlich zu zappeln.

„Ruhe, sonst lasse ich Dich dort“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Ich riss an den Fesseln und grub gleichzeitig meine linke Hand in ihre Schulter, dann machte ich einen Schritt vorwärts durch das Tor. Es fühlte sich an, als würde ich gegen einen Strom eisigen Wassers ankämpfen, der mir allmählich die Kräfte raubte. Gleichzeitig zerrten unsichtbare Hände an der Soldatin, wollten sie mir entreißen. Wenn ich den Griff um sie verlor, würde sie in den unendlichen Tiefen des Zwischenraums verschwinden.

Schweiß lief mir in Strömen über den Rücken hinab, als wir einen Lidschlag später wieder auftauchten. Die Gefangene beugte sich krampfartig nach vorne und übergab sich. Die Krämpfe dauerten länger an und sie verlor dabei auch ihren Helm. Darunter kam ein brauner, kurz geschnittener Haarschopf zum Vorschein.

Weil ich nicht Gefahr laufen wollte, über die Soldaten zu stolpern, die noch immer nach mir suchten, zerrte ich sie mit mir in das Zelt. Wie erwartet war es leer und beinahe ebenso eingerichtet, wie das Erste.

„Hinlegen!“

Ohne auf ihre Reaktion zu warten, stieß ich sie groß zu Boden und stellte ihr meinen Stiefel in den Nacken. Sie zappelte ein wenig, wehrte sich aber nicht ernsthaft.

Dann ergriff ich die Felldecke, die auf dem Bett lag und einen Umhang, der scheinbar als Kopfkissen gedient hatte. In die Mitte der Felldecke schnitt ich ein Loch, während ich vom Umhang lediglich zwei Streifen Stoff abtrennte. Einen verknotete ich mehrfach zu einem einzelnen, großen Ball.

Ich bückte mich damit in der Hand zu der Soldatin am Boden.

„Mund auf!“

Als sie versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, grub ich meine Finger brutal in ihre Wangen. Sie keuchte und wand sich, hatte aber wenig Möglichkeiten.

Schließlich gab sie auf. Mit der einen Hand hob ich ihr Kinn an, mit der anderen stopfte ich ihr den Knoten in den Mund, und band ihr anschließend den zweiten Stoffstreifen fest, damit sie den Knebel nicht verschieben oder ausspucken konnte.

Als nächstes zog ich sie wieder auf die Füße, um ihr die Decke des Offiziers als provisorische Kälteschutzkleidung anzuziehen. Ich manövrierte ihren Kopf durch das Loch und band ihr die Decke mit einem Lederband um die Hüfte fest.

Dadurch hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, ihr Gesicht zu betrachten. Sie war hager, fast schon dürr. Ihre Wangen waren leicht eingefallen, ihre Augen hatten dunkle Ränder von zu wenig Schlaf. Ihre schmalen Lippen waren leicht blau angelaufen und zitterten. Sie hatte drei lange Narben, die vom rechten Mundwinkel bis zum Ohr verliefen, von dem das untere Drittel fehlte. Ihre linke Augenbraue war mit drei eisernen Ringen verziert.

Ihre Augen funkelten mich wütend an, obwohl ich den Eindruck hatte, dass darunter Angst und Verwirrung lauerten.

Sie schien überrascht, mich zu sehen. Anscheinend hatte sie mit jemand anderem gerechnet.

„Was? Gefalle ich Dir nicht?“, fragte ich sie sarkastisch.

Statt einer Antwort, versuchte sie mich zu treten. Ich sprang zurück und sie nutzte die Gelegenheit, um sich zum Ausgang umzudrehen. Mit einer Hand erwischte ich sie an der Schulter und trat ihr gleichzeitig brutal in die Kniekehle.

Dabei verdrehte sie sich das Knie auf eine äußerst ungesunde Art. Sie schrie auf, was jedoch durch den Knebel zu einem erstickten Keuchen wurde.

Ich hatte überhaupt keine Zeit für einen solchen Unsinn: „Selbst schuld.“

Sie wand sich unter Tränen auf dem Boden herum, während sie erstickt keuchte und würgte.

Ohne sie weiter zu beachten, entfachte ich ein weiteres Feuer aus den Möbeln und den Inhalten gleich zweier Laternen.

Dann ließ ich etwas von meiner arkanen Energie in meine Muskeln fließen, Verletzungen, Muskelkater, Ermüdungen wurden für den Moment nebensächlich.

Ich beugte mich zu meiner Gefangenen herunter und packte sie mit einer Hand an der Kehle.

Ohne große Mühe hob ich sie in die Höhe, bis sie auf meiner Augenhöhe mit den Füßen in der Luft baumelte.

„Was genau habe ich Dir über Widerstand gesagt?“, herrschte ich sie an.

Sie strampelte verzweifelt, ihre Augen wurden riesig groß und Tränen liefen ihr in Strömen über die Wangen.

„Was?“, rumpelte ich in einer unnatürlich tiefen Stimme.

Ihr Verhalten weckte in mir ein gewisses Verlangen, es erregte mich sogar. Genüsslich leckte ich mir mit der Zunge über die Lippen, was bei ihr einen entsetzten Blick hervorrief. Sie trat mich mehrmals so fest sie konnte, doch das registrierte ich nur am Rande. Es amüsierte mich sogar.

Ganz leicht hatte ich den Anflug eines seltsamen Gefühls, das ich nicht so recht einordnen konnte. Es wurde etwas stärker, als ihre Tritte kraftloser wurden. Ihre Zappeleien wurden schwächer, ihre Lippen verfärbten sich immer blauer und ihre Augen waren so groß geworden, als würden sie gleich aus den Höhlen treten.

Amüsiert fragte ich mich, wie das wohl aussehen würde und erwog, es auszuprobieren.

Aber eigentlich wollte ich sie ja mitnehmen und befragen.

Die Standorte und Strategien der Angreifer zu kennen, war auf jeden Fall nützlich, wenn wir mit Attravals Kompass aus Kalteon entkommen wollten. Dazu sollte sie wohl besser am Leben bleiben.

Die sieben Siegel der Dakyr - Band 3 - Attravals Grab

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