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Anita: Endlich die Nabelschnur durchtrennen
ОглавлениеAls Anitas und Ralphs frisch verheiratete (und schwangere) Tochter und ihr Mann ein Apartment in ihrem Komplex mieteten, war Anita begeistert. Doch im Laufe der folgenden Monate bekam sie mehr und mehr das Gefühl, irgendetwas stimme nicht.
» Zuerst dachte ich, ich wäre im Himmel. Jenny war ständig bei mir, manchmal, um die Wäsche zu waschen (sie behauptete, ihre Waschmaschine funktioniere nicht richtig und Jim habe keine Zeit, sie zu reparieren), manchmal, um eine Tasse Zucker zu borgen, manchmal auch nur, um ›herumzuhängen‹. Ich fand das toll – es war, als hätte ich meine Tochter nie verloren. Statt eines leeren Nestes sah es so aus, als könne ich sie behalten und dazu noch ein neues kleines Baby um mich herum haben. Aber allmählich kamen mir mehr und mehr Zweifel. Ich dachte an die Zeit zurück, als ich eine frisch verheiratete junge Frau gewesen war, und obwohl ich meine Familie heiß und innig liebte, verbrachte ich damals nicht annähernd so viel Zeit mit ihr wie Jenny mit mir. Ich begann, nach Zeichen für Schwierigkeiten in ihrer Ehe Ausschau zu halten, ohne wahrzunehmen, dass ich bereits ein großes Alarmzeichen erkannt hatte – Jenny hatte ihr Zuhause noch gar nicht wirklich verlassen. Einen Monat später wurde Jim befördert, was einen Umzug an die Westküste bedeutete. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Tritt in den Magen bekommen. Jenny war unser einziges Kind, und sie war mein ganzes Leben. Der Umzug musste rasch über die Bühne gehen – sie hatten nur sechs Wochen Zeit, um alles zu regeln und sich in Kalifornien einzurichten –, doch ich bemerkte, dass Jenny inmitten all der Vorbereitungen für den Umzug noch mehr Zeit als zuvor mit mir zu verbringen begann. Zwei Wochen später kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, und das Nächste, was ich sah, war Jenny, die auf unserer Türschwelle stand, bereit, ›nach Hause zurückzukehren‹; dabei lag ein Ausdruck auf ihrem Gesicht, der gequält, aber gleichzeitig auch ein wenig triumphierend war. Sie erzählte mir später, sie habe gedacht, ich würde mich freuen – sie wusste, wie sehr ich sie vermissen würde. Darum war sie von meiner Reaktion auch so überrascht. Es war herzzerreißend für mich. Ich hasste es, meine Tochter in ihrem Schmerz zu sehen, das Gesicht vom Weinen verquollen, der Bauch, dem man die ersten Zeichen ihrer Schwangerschaft anzusehen begann, gerundet. Doch glücklicherweise wachte ich auf, und das nicht zu früh. Ich sagte ihr, dass zurückzukommen keine Option sei. Ich sagte ihr, dass es an der Zeit sei, vorwärtszugehen. Ich erkannte, dass ich die Nabelschnur durchtrennen und beginnen musste, mein eigenes Leben zu erforschen, und dass sie dasselbe tun musste – sonst würden wir beide in einer Phase des Lebens stecken bleiben, aus der wir herausgewachsen waren.«
Wenn sich eine Frau der Aussicht auf ein leeres Nest gegenübersieht, so läuft dies, so schmerzlich diese Aussicht zunächst auch ist, letztlich auf Folgendes hinaus: Trennung ist eine notwendige und letztlich segensreiche Sache, die den Weg für die nächste Entwicklungsphase freimacht. Diesen Prozess zu blockieren kann ähnliche Folgen haben, wie eine Kübelpflanze in einem zu kleinen Behälter dahinvegetieren zu lassen. Eine Frau kann sich dafür entscheiden, ihr Wachstum zu erleichtern, was anfangs schmerzhaft sein mag, oder sie kann sich dafür entscheiden, dieses Wachstum zu blockieren, und damit einen Weg wählen, der zu einem beschleunigten Alterungsprozess und einem Verlust an Vitalität führt – genauso, wie es bei der Kübelpflanze der Fall wäre. Auf der Stelle zu treten ist mit anderen Worten keine lebensfähige Option. Wachse – oder stirb.