Читать книгу 1000/24: Christoph Strasser und die Jagd nach dem perfekten Tag - Christoph Strasser - Страница 24
Keine Nervosität, nur Zuversicht
ОглавлениеAls das nächste Aufeinandertreffen mit Robert Müller endlich näher rückt, das zweite, gleichzeitig das letzte, zumindest in diesem Jahr, verspürt Christoph keine Nervosität, nur Zuversicht und Vorfreude. Diese Geisteshaltung zieht sich durch das letzte Jahrzehnt seiner Karriere wie ein unmerklicher roter Faden, an dem er sich entlanghantelt und dabei alles Geschehene aussehen lässt, als sei es ihm vorbestimmt. Natürlich war sein Erfolg alles andere als das, und niemand weiß besser als er, welche negativen Wendungen möglich gewesen wären und wann. Er denkt nie an das lose Ende, sondern vertraut auf die nächste Verknüpfung, an der es – meistens besser – weitergeht. Als sein erster Mentor Rainer Hochgatterer ihm seinen Ausstieg eröffnete, dauerte es nicht lange, da folgte auf die Ernennung eines jungen Teamchefs mit dem neuen Trainer Markus »Max« Kinzlbauer gleich ein zweiter Glücksgriff. Das Resultat: drei Siege in Folge beim RAAM, Weltbestleistungen im 24-Stunden-Einzelzeitfahren, mehr und mehr Erfahrung, eine sich verfestigende Vertrauensbeziehung zwischen Trainer und Athlet, und – noch immer – langsam, aber stetig steigende Wattzahlen.
Was aussah, als sei es nicht zu überbieten, die Zusammenarbeit mit dem Langstreckenguru Rainer Hochgatterer, behielt in der Erinnerung einen Ehrenplatz, wurde aber dennoch, schneller als man erwarten konnte, ersetzt durch etwas Neues, in so mancher Hinsicht vielleicht sogar Besseres. Absurde Trainingsziele machten, als sich die Adaption einstellte, plötzlich Sinn und führten den Beweis, dass sich ein Weltklasseathlet Stagnation, selbst auf höchstem Niveau, nicht leisten kann. Kleine, neue Reize im Training schienen selbst vor ihm, dem Arrivierten, Wände aufzutürmen. Doch gerade diese zu durchbrechen, im Glauben, es würde sich letztendlich bezahlt machen, krönte ihn auf seiner Paradestrecke und – noch wichtiger – ließ ihn vielseitiger werden.
So pflanzte die erzwungene Veränderung neue Rituale neben die altgedienten und verbreiterte Christoph Strassers Leistungsspektrum. Plötzlich durfte er sich selbst das irrwitzigste aller denkbaren Unterfangen im Ultracycling zutrauen. Die große, ewige Schallmauer: 1.000 Kilometer in 24 Stunden. Seine Aufgabe: schneller als je zuvor anfangen und weniger als je zuvor abbauen. Sich sicher sein, dass der Plan aufgeht. Es würde einer erneuten Umstellung im Training bedürfen, ein Jahr des Experimentierens mit dem Vertrauten.
Dieses Jahr ist jetzt, und Christoph hat kein Problem damit, sich das Endergebnis vorzustellen. Das anstehende RAN ist dem, was er im nächsten September vollbringen möchte, viel ähnlicher als die Rennen über mehrere Tage. Die 600 Kilometer entsprechen in seiner Welt einem Sprint vom Start bis ins Ziel. Beim Gedanken daran, wie sich die ersten Stunden anfühlen werden, beschleunigt sich sein Puls kaum merklich. Er hat das, was ihm bevorsteht, abgespeichert als angestrengtes Wohlfühlen. Er kann sich keine größere Freiheit vorstellen als die auf einer ebenen Strecke, wenn er seine Stärke ausspielen kann, zwei Gänge größer gekettet als allen anderen – jedenfalls die meisten –, im Fahrtwind bei 40 km/h und mehr.
Nervös wird er bestenfalls in der unmittelbaren Vorbereitung, wenn es gilt, keinen wichtigen Gegenstand im Trainingskeller zurückzulassen. Am Start aber gibt es nur ihn, sein Rad und die Gewissheit des Seriensiegers. Er ist nicht überheblich, nur frei von Angst und Zweifel. Die kleinen Aussetzer, die es früher gab, hat er ausgemerzt; inzwischen gilt Christoph Strasser als die personifizierte Planbarkeit. Was andere bis zur Handlungsunfähigkeit blockieren würde, nimmt er kaum wahr, denn es geht nur um den Zweikampf mit dem jungen Herausforderer und um den Kampf gegen den kleinen, elektronischen Fingerzeig in Form einer dreistelligen Zahl auf dem Display, die es hochzuhalten gilt, solange es eben dauert. Der Tank soll leer sein, wenn er ankommt; das schreibt sich Christoph, seit er den Durchbruch endgültig geschafft hat, als wichtigste, vielleicht einzige Vorgabe in sein Fahrtenbuch. Bislang hat er sich nicht enttäuscht und die Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben.