Читать книгу 1000/24: Christoph Strasser und die Jagd nach dem perfekten Tag - Christoph Strasser - Страница 31
Mehr als ein verlorenes Rennen
ОглавлениеNur wenn etwas aus dem Ruder läuft, wird Christoph Strasser verwundbar. Dann brodelt es in ihm und manchmal, wenn auch selten, greift das auf sein Team über. 2015 war so ein Seuchenjahr, 2012 so ähnlich. Beide Male konnte er beim RAAM nicht sein Maximum abrufen, wegen Kleinigkeiten, die sich einmal zur Katastrophe und einmal zur schmerzhaften Niederlage auswuchsen. Beim RAAM 2015 war es die Flüssigkeitszufuhr. Zu viel in zu geringer Zeit, und seine Achillesferse, die Wassereinlagerungen, machte sich schnell bemerkbar. Er konnte kaum mehr etwas bei sich behalten, kaum mehr die Fassade wahren.
Läuft alles gleichmäßig, verschwendet Christoph im Wettkampf keine unnötige Sekunde und kein Körnchen Energie, und er hütet sich, irgendein Risiko einzugehen – sowohl körperlich, als auch was den Rennverlauf angeht. Alles fließt in den maximalen Output. Kein unsicherer Zug, nur souveräne Manöver, und immer zur wohldurchdachten Zeit. Das RAAM 2015 war anders. Ungewohnt planlos wirkten die Rettungsaktionen, gänzlich ungewohnt das Brandlöschen schon im ersten Viertel des ewigen Klassikers; mehr Reaktion als Aktion war in jedem Versuch zu spüren, doch noch alles in die Spur zu bringen. Selbst die Stimmung im Team kippte, die gewohnte Souveränität wich einer unterschwelligen Überheblichkeit, gepaart mit internen Vorwürfen, als das Chaos seinen Lauf nahm. Das alte Leittier Rainer Hochgatterer fehlte und war noch nicht ersetzt durch ein neues.
Die vorzeitige Aufgabe bedeutete seinerzeit nicht nur ein verlorenes Rennen. Kein Mensch hatte das RAAM zuvor dreimal in Folge gewonnen. Christoph Strasser waren 2013 und 2014 zwei Siege in Serie gelungen – beide Male unter acht Tagen, was ebenfalls noch niemand außer ihm geschafft hatte. Das RAAM 2015 hätte die Perfektion in Radform werden können, stattdessen wurde es der perfekte Albtraum: der Unschlagbare entthront durch den Sieg eines Rookies, noch dazu eines Freundes.
Es dauerte nicht lange, bis Christoph der nächsten Sieg in einem Ultracycling-Rennen gelang, doch die Gleichmut stellte sich eine Weile lang nicht ein. Es sollte noch ein durchwachsenes Jahr folgen, mit einem Sturz, der ihm die Chance zur direkten Wiedergutmachung nahm. Der Sieger in diesem verpassten RAAM 2016: zwei Tage hinter Christoph Strassers Bestzeit aus dem Jahr 2014. Dann aber gewann der Express beständig an Fahrt. Die Chemie stimmte wieder, und das sollte so bleiben, drei Jahre lang, bis zum vielleicht epischsten seiner Zieleinläufe, 2019, als er nicht nur die Rekordzahl an Siegen, sondern schließlich auch den bis dahin unerreichten Hattrick zu feiern hatte.
Zurückgeblieben davon ist eine nicht zufällig sechsteilige, von seinem Vater nach Vorbild der alljährlichen Siegertrophäe selbstgefertigte Garnitur Jausenbretter in Form der Vereinigten Staaten (für den Aufschnitt wären die Originale dann doch zu schade!) und eine Vielzahl kleiner und großer Pokale, Plaketten und Medaillen im Keller. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn das auf seine ganz großen Taten zutrifft, dürfte von diesem Rennen – der kleinen, siebzehnstündigen Herbstrunde um Niederösterreich –, erst recht nicht viel bleiben. Dennoch macht Christoph jetzt, nachdem der Anstieg vorbei ist, keinen Unterschied zwischen RAAM oder RAN: Er könnte sich genauso gut in den Rocky Mountains befinden, was seine Einstellung zum kompromisslosen, schnellstmöglichen Fertigfahren ohne taktisches Dosieren angeht. Er muss sich zu nichts zwingen, denn er liebt die Situation, in der er sich befindet: alles unter Kontrolle und auf nichts reagieren müssen, außer auf die Anforderungen einer immer schwieriger werdenden Strecke.