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Totale Kontrolle

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Christoph Strasser hat mittlerweile den Anstieg erreicht und die Wattzahl an das Soll für Bergauffahrten angeglichen. Hier kommt zum Tragen, was er sich in den Vorbereitungsmonaten zunächst in kurzen, später in längeren Intervallen und schließlich, zum Sommer hin, in zermürbenden Dauerbelastungen auf hohem, aber nicht maximalem Niveau erarbeitet hat. Er findet seine Mitte, den Flow, seinen »Steady State«: das, was jeder Sportler, der es einmal erlebt hat, am liebsten immer wieder heraufbeschwören möchte, im nüchternen Rausch der Endorphine.

Er fühlt sich nicht überschwänglich, sondern unter totaler Kontrolle. Das mit den Emotionen ist so eine Sache: Zu viel davon, im Positiven wie im Negativen, schadet seinem Plan. Eine gute Stimmung ja, doch seine Aufgabe ist zu langwierig, als dass Übermut ihm bei ihrer Erledigung dienlich wäre. Es ist kein Testosterongebolze; vielmehr muss er genau in sich hineinhören und das so realistisch wie möglich. Umgekehrt aber darf er nicht nachlässig werden, nicht zu lethargisch, muss darauf achten, den Fokus zu jeder Zeit auf seinem Ziel, genauer gesagt dem schnellstmöglichen Erreichen desselben, zu halten. Dabei hilft ihm das Wissen, wie es sich anfühlt, wenn der Körper langsam und unmerklich, dafür aber stetig seine Leistung zurückfährt, um sich vor Überlastung zu schützen. Wie dabei auch der Geist anfängt, unscharf zu werden, wie in Watte gepackt, dem Fahrer vorgaukelnd, es sei alles nicht so wichtig und eine kleine Pause mache keinen Unterschied.

Die meisten Athleten lassen sich über kurz oder lang vom inneren Schweinehund, getarnt als die Stimme der Vernunft, überreden. Sie glauben, sie würden das, ganz bestimmt, später auf der Strecke wieder aufholen und frisch ausgeruht und mit neuem Elan vielleicht sogar am Ende schneller sein als die, die sich blind gegen die Schwäche auflehnen und dabei doch nicht von der Stelle kommen. Tatsächlich ist aber selbst das geringste Vorankommen stets dem Stillstand vorzuziehen – logischerweise, denn nur um Vorankommen geht es in diesem Sport –, und selten geht die Taktik des schnellen Pausierers schlussendlich auf. Wenn sich, wie bei Christoph Strasser, Geschwindigkeit und Konstanz in einer Person vereinen, ist das Ergebnis ihr meist meilenweit überlegen.

Während Florian sich in den Anstieg hineinkämpft – sein Tretrhythmus wird nicht von Wattzahlen bestimmt, sondern vom momentan Möglichen –, erhöht Christoph das Tempo auf den letzten Metern den Pass hinauf und nimmt, sobald es etwas flacher wird, sogleich die aerodynamische Position auf dem Zeifahrlenker ein, um kein Watt zu viel unnötig aus seinen Beinen zu quetschen. Er hat sich diese Eigenart über Jahre angeeignet und damit viele Quereinsteiger aus den traditionellen Straßenrennen zur Verzweiflung gebracht: Auch auf der Passhöhe und den ersten Metern der Abfahrt leistet er sich nicht den geringsten Leerlauf, sondern bleibt bei sich und der Wattvorgabe, die es zu halten gilt.

Das passt zu seinem gelassenen Fahrstil, der nicht auf aggressive Antritte, sondern auf einen einzigen, langandauernden Zermürbungskampf abzielt. Je gleichmäßiger, desto erfolgreicher. Ebene gegen Steigung, linkes gegen rechtes Bein, Anfang gegen Ende, Hoch gegen Tief: Überall lässt sich die angestrebte Konstanz und Balance finden – von der Ernährung bis zum Ablauf der wenigen Pausen (wenn es solche denn überhaupt gibt, was hier, auf »nur« 600 Kilometern, nicht der Fall sein wird).

1000/24: Christoph Strasser und die Jagd nach dem perfekten Tag

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