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Elf

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Die Arbeitstage des Doktors waren angefüllt mit allem, was er hasste, mit Zerfall und tödlichem Schrecken und Angst vor Krankheit und Schmerzen und Tod. Seine Patienten kamen zu ihm, wenn sie sich fürchteten vor diesem Leben, das nicht ewig währte, und sie brachten immer neue Beweise für unaufhaltsamen Zerfall mit.

Der Doktor hielt sich aus der Sache heraus, so gut es ging. Er hörte weg, wenn seine Patienten jammerten, und er freute sich, wenn sie sich schon vor ihrem Besuch eine Meinung gebildet und einen Lösungsweg ersonnen hatten. Dienstbeflissen verschrieb er ihnen die Medikamente, von denen sie sich Hilfe versprachen, und sein Ruf als guter und williger Arzt machte die Runde. Manche Tage waren sogar regelrechte Glückstage. Seine Patienten liessen ihre Termine platzen und er sah sie auf der anderen Strassenseite gesund und munter vorbei gehen. Ihre robusten Naturen hatten sie zurückgeschubst auf den Weg des Lebens, und das Schicksal hatte ihnen Aufschub gewährt.

Das persönliche Unbehagen des Doktors aber wuchs von Woche zu Woche, und eines Tages, als er in der Mittagszeit in seinem Wartezimmer sass und ins mitgebrachte Brot beissen wollte, glaubte er säuerlichen Gärungsgeruch wahrzunehmen. Die beiden Brotscheiben, der sorgfältig eingeklemmte Käse und die zwei Salatblätter hatten offenbar begonnen, sich zu zersetzen, noch bevor sie mit seinen Verdauungssäften in Berührung gekommen waren. Als des Doktors Gedanken an diesem Punkt angelangt waren, wurde ihm bewusst, dass sein eigenes Inneres darauf angelegt war, Dinge zerfallen und verschwinden zu lassen. Dinge sterben zu lassen.

Er beschloss, fortan zu lesen, während er ass, um seinen Gedanken Fesseln anzulegen. Sie sollten ihn nicht in Gefilde entführen, die er lieber mied. Er griff nach einer medizinischen Zeitschrift, freute sich eine Sekunde lang an seinem eigenen Pflichtbewusstsein, blätterte dann, ohne etwas aufzunehmen, durch teure Glanzpapierseiten mit ekligen Bildern, bis er auf eine Ausschreibung stiess, welche ihn fesselte, obwohl ihn das Forschungsthema – Vitaminversorgung in Gebieten der Arktis – kaum interessierte. Vielmehr war es das kurze und hübsche Wort Arktis, welches ihm zusagte, und er bewarb sich in blumigem Stil um die Stelle, ohne damit zu rechnen, angenommen zu werden.

Als er zwei Wochen später eine Zusage aus dem Briefkasten fischte, war er schockiert. Allerdings gab es kein Zurück mehr, denn die Flugtickets lagen ebenso bei wie ein Reiseplan und eine lange Liste mit Dingen, die er mitzubringen hatte. Selbst die Daten und Uhrzeiten der ersten Teamsitzungen standen schon fest. Und so packte der Doktor, der in seiner übergrossen Ängstlichkeit noch nie auch nur einen Zug bestiegen hatte, seinen Koffer, um um die halbe Welt zu reisen.

Die Sanduhr

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