Читать книгу Die Sanduhr - Claudia Gürtler - Страница 14

Zwölf

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Wachtmeister Meier sah ganz entgegen seiner Gewohnheit zum hundertsten Mal nach der Uhr. Ein unglaublicher, überdeutlicher Traum, den er in der vergangenen Nacht geträumt hatte, liess ihn einfach nicht los. Von Weihnachten hatte er geträumt, von lautlosem Schneetreiben in tiefer Dunkelheit. Er hatte Hans Christian glücklich auf ein Neugeborenes hinunterlächeln sehen, und er hatte geblendet und blinzelnd den hellen Stern wahrgenommen, der über der Villa stand.

Verrückt, was man so alles zusammenträumt! Wie konnte einer mitten im Sommer so real von Schneetreiben träumen, dass er frierend erwachte und nach der verrutschten Decke suchte?

Meier dachte auch nach dem fünften Espresso im Büro noch an seinen Traum. Er hätte Bewegung gebraucht, Luft. Die Uniform klebte am Gesäss, das Hemd am Rücken. Seine Gedanken begannen um die Villa zu kreisen. Dort oben wehte bestimmt auch an drückenden Tagen ein schwaches, wohltuendes Lüftchen, und genau danach sehnte er sich in diesem Moment unendlich.

Das düstere, beschwörende Horoskopgebrabbel von Kommissärin Moser ging Meier auf die Nerven, aber er wagte es nicht zu belächeln. Niemand auf der Polizeistation hätte das gewagt.

Meier sass und wartete und liess dumpf brütend die Zeit vorüberticken, und obwohl er inständig hoffte, dass es nicht kommen würde, wie es kommen musste, tat Moser genau das, was sie immer tat, wenn ungünstige Sternenkonstellationen sie beunruhigten; sie versuchte, ihren Dienst abzutauschen. Genau genommen drückte sie sich „in gefährlichen Nächten“ davor.

Meier hörte kopfschüttelnd zu, wie sie an ihrem mit Unerledigtem übersäten Schreibtisch vorlas, welche Tierkreiszeichen sich auf welche Unglücksfälle und Widrigkeiten gefasst zu machen hätten. Er war sich nicht sicher, ob sich ihre Äusserungen an ihn richteten, und so hörte er nur mit halbem Ohr zu, als sie den Jungfrauen böse Stürze voraussagte.

Moser hob plötzlich den Kopf und sah Meier direkt in die Augen, aber noch bevor sie ihr Anliegen anbringen und ihren Dienst Meier anhängen konnte, nahm das Unglück bereits seinen Lauf.

Alle drei Telefone klingelten gleichzeitig, ein Feuerwehrwagen raste vorbei, und selbst die stickige Büroluft geriet in Bewegung. Moser bellte Meier an, sie bleibe auf dem Posten, und er habe sich unverzüglich an den Einsatzort zu begeben. Meier sprang erstaunlich behände die wenigen Treppenstufen hinunter und folgte, einmal auf der Strasse, der Menschenmenge, welche mit dem untrüglichen Instinkt der Schaulustigen dem Ort des Geschehens zustrebte.

Der Ort des Geschehens war Basels Mittlere Brücke. Meier sah das beschädigte Geländer von weitem. Er begann zu schwitzen, als er sich fragte, wer oder was die Gewalt aufgebracht hatte, ein Jahrhunderte altes steinernes Geländer zu durchbrechen.

Im Wasser trieb eine weisse Masse, die Meier ungläubig als Pferd identifizierte. Die Bergung des mächtigen Schimmels gestaltete sich schwierig, aber zum Glück gab es für Meier wenig zu tun, denn die Rheinfeuerwehr leistete ganze Arbeit. Freundlich scheuchte Meier Schaulustige dort weg, wo sie die Arbeiten am meisten behinderten. Der Reiter, der sich nur mehr an seinen Vornamen Theodor erinnern konnte, wurde mit einem Schock ins Kantonsspital eingeliefert. Die Ambulanz brauste heran, ohne dass Meier zum Telefon griff. Jemand musste ihm zuvor gekommen sein.

Die Sanduhr

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