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1.4.2 οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος (Gal 3,28b)

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Die Einteilung der Menschen in Sklaven und Freie ist ähnlich grundlegend gegensätzlich für die antike Gesellschaft wie die in Juden und Nicht-Juden aus Sicht ersterer und beinhaltet verschiedene soziale, rechtliche und auch kultische Komponenten, die sich in der griechischen und jüdischen Gesellschaft im Detail unterscheiden mögen, allerdings gleiche Grundzüge zeigen: „Der Grieche findet seine persönliche Würde darin, daß er frei ist.“1 ὁ δοῦλος ist dagegen der Unfreie, Abhängige, Eingeschränkte – derjenige, dem ein fremder Wille aufgezwungen wird und der anderen zu dienen hat. Er stellt den „Antitypus“ dar, abgelehnt und verachtet.2 „In the end, slavery is best understood as a combination of violence, social death, and dishonor in a dynamic process that begins with enslavement (from multiple sources) and ends either with biological death or manumission“.3

Auch im Judentum hebt δοῦλος, als Übersetzung von ‎‏עבד‏‎, im Wesentlichen auf das Abhängigkeits- und Dienstverhältnis des so Bezeichneten ab,4 wobei sowohl das zwischenmenschliche Verhältnis als auch die Gottesbeziehung davon beeinflusst wird. Konkret heißt dies, dass ein Sklave als Besitz angesehen wird.5 Im Kultus setzt sich die Fremdbestimmung fort: Geht ein Sklave in den Besitz eines Juden über, wird er zwangsweise beschnitten, „jedoch hört die Verbindlichkeit der Gebote für den Sklaven im Allgemeinen da auf, wo ihre Erfüllung das Recht des Herrn auf seine Arbeitskraft empfindlich geschmälert hätte.“6

Diese absolute Abhängigkeit vom Herrn ist auch die allgemeine Pointe der Äußerungen und Bilder, in denen Jesus Sklaven erwähnt, z.B. Οὐκ ἔστιν […] δοῦλος ὑπὲρ τὸν κύριον αὐτοῦ (Mt 10,24).7 In den (paulinischen) Gemeindebriefen jedoch erscheint das Thema Sklave bzw. Sklaverei an den wenigen Stellen,8 wo es erwähnt wird, unter einem anderen Vorzeichen: ἕκαστος ἐν ᾧ ἐκλήθη, ἀδελφοί, ἐν τούτῳ μενέτω παρὰ θεῷ (1Kor 7,21). Diese und andere Passagen, nicht zuletzt Phlm, machen deutlich: Die Sklaverei als gesellschaftliche Institution wird grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen, auch wenn eine spätere Notiz des Ignatius – zumindest was die Hoffnung christlicher Sklaven betrifft – dahingehend gedeutet werden kann.9 Umso dringender bedarf es aber einer Regelung des Verhältnisses und des Umgangs zwischen Herren und Sklaven innerhalb der christlichen Gemeinschaft, wo beide gleich als ἀδελφοί angesprochen werden und gelten. Entsprechende Bestimmungen finden sich dezidiert in den sogenannten Haustafeln.10

Daneben verwendet Paulus ὁ δοῦλος in metaphorischer Weise, um sein eigenes Verhältnis gegenüber Christus zu beschreiben,11 aber auch für Menschen, die unter einer bestimmten Macht stehen, etwa unter der Macht der Sünde.12 Auch hier liegt der Fokus deutlich auf dem „tun-müssen,-was-ein-anderer-sagt,-auch-wenn-man-anders-möchte“ – dem völligen Ausgeliefertsein dem Herrn gegenüber.

Sieht man sich derartige Texte an, in denen die Situation und das entsprechende Verhalten des Sklaven (unter christlichen Vorzeichen) genauer beleuchtet werden, so wird deutlich, dass es stets um die Verhältnisbestimmung zum jeweiligen Herrn, κύριος, geht.13 Im Blick ist demnach der Sklave als Besitztum seines Herrn, nicht aber im allgemeinen Vergleich zu einem Freien – anders allerdings in Gal 3,28b: οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος. Eine Sonderstellung nimMt 1Kor 7,21–24 ein. Auf die Frage, ob ein Sklave versuchen soll freizukommen, möglicherweise mit dem Unterton formuliert, ob es nötig ist, ein Freier zu sein,14 antwortet Paulus: δοῦλος ἐκλήθης, μή σοι μελέτω. ἀλλ‘ εἰ καὶ δύνασαι ἐλεύθερος γενέσθαι, μᾶλλον χρῆσαι (1Kor 7,21).15 Er setzt die Ebene des profanen Sprachgebrauchs in ein Verhältnis zu ihrer religiösen Bedeutung und transzendiert darin die irdischen Lebensverhältnisse auf die Christusbeziehung hin: ὁ γὰρ ἐν κυρίῳ κληθεὶς δοῦλος ἀπελεύθερος κυρίου ἐστίν, ὁμοίως ὁ ἐλεύθερος κληθεὶς δοῦλος ἐστὶν Χριστοῦ (1Kor 7,22). Erstaunlicherweise schließt Paulus den Abschnitt aber nicht nur mit der (für die Sklaven wohl beruhigenden) Bemerkung: ἔκαστος ἐν ᾧ ἐκλήθη, ἀδελφοί, ἐν τούτῳ μενέτω παρὰ θεῷ (1Kor 7,24), sondern ermahnt auch nachdrücklich (vermutlich an beide gewandt): τιμῆς ἠγοράσθητε· μὴ γίνεσθε δοῦλοι ἀνθρώπων (1Kor 7,23).

Das Phänomen, dass Paulus das zunächst profane Gegenüber Sklave – Freier als bildgebenden Bereich für eine metaphorisch-religiöse Argumentation verwendet, findet sich nun auch in Gal 3f wieder: Zunächst handelt er ausführlich über die Befreiung vom Gesetz durch Christus.16 Noch konkreter baut er das Motiv direkt im Anschluss an unseren Text in Kapitel 4 aus, wo er den unmündigen Sohn, also den Freien, mit dem Sklaven vergleicht (Gal 4,1–7): […] οὐδὲν διαφέρει δούλου (Gal 4,1). Zielpunkt des Vergleiches ist der Zugang zu dem zuvor genannten Erbe: εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ᾽ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι (Gal 3,29). Dass ein Sklave keinen Anspruch auf das Erbe erheben kann, ist unbestritten, dass sich der unmündige Sohn jedoch in der gleichen Situation befindet, ist überspitzt formuliert, wohl aber um die Radikalität der Situation herauszustreichen: Zwar sind die Erwählten unbestritten Kinder Abrahams, dennoch gleicht ihre Lage der des fremdbestimmten Sklaven, solange sie unmündig sind – kontrolliert und „bevormundet“ durch das Gesetz. Befreit Christus nun aus dieser Abhängigkeit, bedeutet dies für diejenigen, welche „des Christus sind“ (εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ [3,29]), das tatsächliche Mündigwerden. Diese Aussage findet sich so bereits im Bild des παιδαγωγός (3,24f). Was der Vergleich Sohn – Sklave darüber hinaus leistet, ist die Vorstellung, dass ein bloßes Warten auf das Mündigwerden nicht ausreicht, sondern es der Befreiungstat Christi zwangsläufig bedurfte, um die volle Kindschaft und damit das Erbe zu erlangen.

Auch in der folgenden ausführlichen Allegorie zu den Müttern der beiden Söhne Abrahams (Gal 4,21–31): ἡ παιδίσκη (= Ἁγάρ) und ἡ ἐλευθέρα wird der grundlegende Gegensatz frei/unfrei erneut unterstrichen.17 Ihre Erben gehören zwei unterschiedlichen Bundesschlüssen (Gal 4,24: δύο διαθῆκαι) an: Einerseits gibt es die „Geknechteten“ vom Berg Sinai, also diejenigen, welche dem Gesetz unterworfen sind, und andererseits die nach dem Geist Gezeugten, die eigentlichen Erbberechtigten. Und wie der Abschnitt ein weiteres Mal mit der rhetorischen Frage eingeleitet wurde, wie man sich als Befreite freiwillig wieder einer Macht zum Dienst unterwerfen könne (Gal 4,8f),18 so endet auch diese Argumentation erneut mit der Feststellung: διό, ἀδελφοί, οὐκ ἐσμὲν παιδίσκης τέκνα ἀλλὰ τῆς ἐλευθέρας (Gal 4,31). Das sich anschließende leidenschaftliche Plädoyer verfolgt weiter auf metaphorischer Ebene die Freiheit-Unfreiheit-Thematik mit zwei Spitzenaussagen: 1) Mit der Beschneidung unterwirft man sich dem Gesetz und hat diesem dann auch zu dienen. 2) Die im Gesetz erhoffte Gerechtigkeit hat keinerlei Relevanz für jemanden „in Christus Jesus“, denn ἐν γὰρ Χριστῷ Ἰησοῦ οὔτε περιτομή τι ἰσχύει οὔτε ἀκροβυστία ἀλλὰ πίστις δι’ ἀγάπης ἐνεργουμένη (5,6).

Sämtliche Stellen in Gal, an denen ein δοῦλος erwähnt wird, zeichnen ihn als Fremdbestimmten, Eingeschränkten, Nicht-Erbberechtigten – das Gegenüber zum mündigen, freien, erbberechtigten Sohn. Dies stützt die anfängliche These, dass auch οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος (Gal 3,28b) das Gegenüber Nicht-Freier – Freier fokussiert und verneint, nicht also das Verhältnis Sklave – Herr. Wie ist οὐκ ἔνι aber nun zu deuten? Die paulinische Argumentation verwendet das (Un-)Freiheitsmotiv in Gal in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen und auf verschiedenen metaphorischen Ebenen19 – auf welcher dieser Ebenen existiert der Gegensatz Unfreier – Freier nun seit der Taufe nicht mehr? Wie bereits bei οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην (Gal 3,28a) sind zwei mögliche Verhältnisbestimmungen in den Blick zu nehmen: das Verhältnis zu Gott oder das untereinander.

1. Negierung des unterschiedlichen Status im Gottesverhältnis: Christi Befreiungstat erweist sich als notwendig und ausreichend für jeden, gleich welcher rechtlichen und sozialen Stellung – Freie wie Sklaven befreit er vom Gesetz und schenkt er die gleiche Kindschaft (Gal 4,4f). Dennoch wirkt sie sich unterschiedlich aus: Ein freier Jude ist dem Gesetz komplett unterworfen gewesen. Nun ist er vom Zwang, den das Gesetz ihm auferlegt, befreit. Der jüdische, ggf. zwangsproselytische Sklave war zwar nicht dem gesamten Gesetz verpflichtet, in seiner Glaubensausübung aber ggf. durch gegenteilige Entscheidungen seines Herrn beschränkt. Wird das Gottesverhältnis nun grundlegend und ganz neu allein über (das Verhältnis zu) Christus definiert, erleben beide, je nach vorheriger Beschränkung, Befreiung und werden beide – in gleicher Weise – als Söhne und Erben eingesetzt: εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ᾽ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι (Gal 3,29, vgl. auch Gal 4,5–7). 1Kor 7 bringt die neue Unerheblichkeit des Frei- oder Sklaveseins für das Gottesverhältnis besonders pointiert zum Ausdruck: Ist man Sklave, so verstehe man sich als ἀπελεύθερος κυρίου (1Kor 7,22), und ist man Freier, so erinnere man sich stets daran, δοῦλος ἐστιν Χριστοῦ (1Kor 7,24). Im Verhältnis zu Gott gibt es keinen Unterschied mehr.

2. Negierung des bisherigen Verhältnisses zueinander: Gal enthält keine Haustafel und thematisiert auch sonst nicht auf profaner Ebene das Verhältnis von Herren und Sklaven. Dass sich das unterschiedslose Gottesverhältnis von christlichen Sklaven und Herren auf das Miteinander auswirken soll, kennen wir aus späteren deutero- und nichtpaulinischen Briefen.20 Hat Paulus den zwischenmenschlichen, Herrschaftsverhältnisse betreffenden Bereich und die Auswirkungen Christi auf diesen hier demnach nicht im Blick? Ein Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Institution der Sklaverei und dem christlichen Glauben wird m.E. nicht aufgezeigt, wohl aber die Unmöglichkeit einer erneuten freiwilligen Versklavung: Wenn auch der Befreiungsdiskurs auf metaphorischer Ebene geführt wird (Beschneidung führt zur Versklavung unter das Gesetz), so stehen doch auch konkrete zwischenmenschliche Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse dahinter, welchen die Galater in Gefahr sind, sich neu zu unterwerfen. Τῇ ἐλευθερίᾳ ἡμᾶς Χριστὸς ἠλευθέρωσεν (Gal 5,1). Dies ist nicht vereinbar mit einer freiwilligen Unterwerfung unter das Gesetz, mit zusätzlichen Forderungen und damit letztlich mit denjenigen, welche diese erheben. ὥστε οὐκέτι εἰ δοῦλος (Gal 4,7) – also solle man sich nicht selbst dazu machen. Im Verhältnis untereinander kann und darf es keinen Unterschied, kein Gefälle geben.

Die Taufe auf den Tod Christi

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