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1.5.2 Forschungsüberblick zu Gal 3,28d

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Die dargestellten vielfältigen Beziehungen zum Kontext haben im Verlauf der Forschungsgeschichte sehr divergierende Interpretationen nach sich gezogen. Zusätzliche Erweiterung erfährt die Deutungslandschaft durch den Umstand, dass ja bereits für die Phrasen 3,27b und 28a–c, wie oben dargestellt, erheblich divergierende Auslegungen im Raum stehen. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ entweder als Gleichheit aller oder aber als Einheit aller interpretiert wird. Einzelne Kommentatoren meinen auch beide Aspekte erkennen zu können.

1) Die Gleichheit aller in Christus Jesus: Versteht man γάρ als kausale Konjunktion, welche 3,28d begründend an 3,28a–c anschließt, und interpretiert die Negation der drei Gegensatzpaare zugleich dahingehend, dass es keine Unterschiede mehr gibt, so ergibt sich für 3,28d sinngemäß: „denn ihr seid alle einer in Christus Jesus […] denn ihr seid alle gleich.“ Worin die Gleichheit besteht und inwieweit sie bereits realisiert ist, darin jedoch unterscheiden sich die Vertreter dieser Position: „not that all Christians form a corporate unity, but that in Christ each man stands on the same level as his neighbour“.1 Während diese Auffassung Duncans die Gleichheit auf die Position bezieht, also hierarchische Strukturen verneint, geht die Interpretation Kählers tiefer: „denn insgesamt haben sie ja ein einheitliches Wesen kraft ihres Verhältnisses zu Christo Jesu.“2 Burton wiederum versteht Gal 3,28d überhaupt nur für einen positiven Ausdruck des bereits in 3,28a–c Gesagten: „[A]ll these distinctions vanish (there is no respect of persons with God); it is as if it were always the same person reappearing before him.“3

Als Ursache dieser Gleichheit wird zumeist allgemein das Taufgeschehen angegeben, wenn die Frage überhaupt gestellt wird. In dieser Weise argumentiert auch Mußner, wobei er in gewissem Maße auf der bildlichen Ebene bleibt: „Das εἷς ἐστε resultiert für Paulus aus dem vorausgehenden Χριστὸν ἐνεδύσασθε: weil alle bei der Taufe denselben ‚Christum angezogen‘ haben, sind sie alle durch die Taufe εἷς geworden.“4 Darauf stützt er sodann seine bekannte Deutung des „eschatologischen Einheitsmenschen“.5

Zur Interpretation von Gal 3,28d als bloße Gleichheitsaussage ist kritisch anzumerken, dass wie bereits angeklungen 3,28d auf vielfältige Weise in den Kontext eingebunden ist. Seine Bedeutung allein von 3,28a–c herzuleiten, gestaltet sich daher als schwierig. Bezüglich des dazu angeführten γάρ ist anzumerken, dass es einerseits auf Grund des beinahe inflationären Vorkommens nicht überzubewerten ist und andererseits sich ebenso auf einen größeren vorangehenden Abschnitt kausal beziehen könnte, z.B. 3,26–28. Außerdem ist zu prüfen, ob sich die hier zitierte Form erstens textkritisch sicher als ursprüngliche Variante erweisen lässt und ob zweitens besagtes εἷς eine Gleichheitsaussage überhaupt ermöglicht. Wird das ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ-Sein als Ursache der Gleichheit (ggf. herbeigeführt durch die Taufe) identifiziert, so wird dabei selten untersucht, ob die sonstige, formelhafte Verwendung von ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ-Aussagen ebenfalls mit Gleichheitsaussagen in Verbindung gebracht wird oder ob an den entsprechenden Stellen nicht andere Wirkungen und Aspekte im Vordergrund stehen.

2) Die Einheit aller in Christus Jesus: Die absolute Mehrheit der Exegeten sieht in εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ eine Aussage über die Einheit aller, die etwa in 3,28a–c in ihren verschiedenen Gruppierungen benannt werden. Dabei lassen sich ganz unterschiedliche Auffassungen wahrnehmen, von welcher Art diese Einheit und wie ihr Verhältnis zu Christus Jesus zu verstehen ist. Viele Ausleger nehmen eine Art kollektive Einheit an, ohne diese weiter zu beschreiben.6 Witherington III qualifiziert sie immerhin als „theologically prior to and more primary than the obvious distinctions which do and should exist in the covenant community.“7 Damit bietet er zugleich eine der möglichen Verhältnisbestimmungen zu 3,28a–c an, welche ebenfalls sehr unterschiedlich ausfallen können. Für Hansen etwa laufen 3,28a–c und 3,28d auf die gleiche Aussage zu: „[t]he social unity“,8 welche sich aus zwei Wurzeln speist: „from the singularity of Christ and the believers‘ new corporate identity in him.“9 Die an Christus bindende Taufe hat für ihn „negated all other criteria for participation, including, most prominently, the law.“10 Der Einheitsaspekt gewinnt dabei eine derartige Zentralität, dass Hansen diese vorpaulinische Tradition als „the baptismal unity formula“ bezeichnen kann.11

Daneben treten Interpretationen, welche die Einheit mit Verweis auf die bewusst gewählte maskuline Form εἷς personal verstehen, wie etwa de Boer: „presumably the Greek word for human being, anthropōs, which is also grammatically masculine, is to be supplied (cf. Col 3:9): They are all ‚one [human being] in Christ Jesus‘ […] to what amounts to a new humanity, defined by Christ.“12 In eine ähnliche Richtung lässt sich auch Martyn lesen, wenn bei ihm auch bereits die klassische Interpretation durchscheint, welche ein personal verstandenes εἷς mit Christus identifiziert: „Members of the church are not a thing; but are one person, having been taken into the corpus of the One New Man.“13 Er sieht darin „the beachhead of God’s new creation“,14 schreibt aber gleichzeitig: „In Christ […] persons who were Jews and persons who were Gentiles have been made into a new unity that is fundamentally and irreducibly identified with Christ himself as to cause Paul to use the masculine form of the word ‚one.‘“15 Überhaupt ist wahrzunehmen, dass unterschiedlich intensiv darüber reflektiert wird, dass es nicht Χριστός, sondern ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ heißt. Hartman, welcher den Schwerpunkt in der Christusbindung ausmacht, schreibt etwa: „Die von den Christusbedingungen Betroffenen teilen ein überindividuelles Leben, das Jesus Christus genannt wird.“16

Wenn diese letzten beiden auch feststellen, dass 3,28d selbst keine dezidierte Leib-Christi-Metaphorik enthält, schlagen sie doch beide17 bereits den Bogen zu der wohl am breitesten rezipierten Interpretation des εἷς, nämlich als Bezeichnung für den Leib Christi (σῶμα Χριστοῦ). Stellvertretend sei dafür Dunn zitiert: „[…] he [Paul, CM] regularly spoke of many believers as ‚one‘, using the imagery of a single body consisting of many members […], and this is probably what he had in mind here, as the parallel between the trains of thought in 1 Cor. xii. 13–14 and verses 27–8 suggests“.18 Dabei betont er: „[…] not as a levelling and abolishing of all racial, social or gender differences, but as an integration of just such differences into a common participation ‚in Christ‘“.19 Ähnlich Cullmann, welcher die in 3,27a erwähnte Taufe dann als „Einordnung in Christi Leib“ durch Gott versteht.20

Einen Spezialfall innerhalb der Leib-Christi-Interpretation stellt Betz dar, womit er zum Abschluss dieses Überblicks noch einmal illustriert, wie erheblich sich die Deutungen der wenigen Vers(abschnitt)e Gal 3,27f wechselseitig beeinflussen können: „Da Christus androgyn ist, würde dies auch für seinen ‚Leib‘ gelten und ebenso für die Christen, die Glieder an diesem ‚Leib‘ sind.“21

Die durchaus divergierenden Interpretationen von Gal 3,28d als „Einheit aller in Christus Jesus“ provozieren zwei kritische Rückfragen: 1) Wenn εἷς tatsächlich das σῶμα Χριστοῦ meint,22 ist diese Vorstellung dann bereits der Tradition immanent gewesen oder paulinische Ausdeutung der knappen Formel? 2) Kann ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ tatsächlich als Identifikation mit Χριστός verstanden werden? Hierbei handelt es sich um eine Frage, die auch nichtpersonale Einheitsdeutungen kaum reflektieren.

3) Gleichheit und Einheit aller in Christus Jesus: Mit unterschiedlichen Begründungen sowie unterschiedlichen Ansätzen gelingt es einigen Exegeten, den Einheits- und den Gleichheitsaspekt zu verbinden: „There is little ground for a choice between the two ideas. Both are equally Pauline and equally suitable to the immediate context.“23 Nach Halter würde eine schwerpunktmäßige Betonung des einen oder anderen Aspektes sogar zu einem schiefen Verständnis des Gesamtzusammenhanges führen.24 Wie aber kann εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ gleichzeitig als Einheit und Gleichheit aller verstanden werden?

Laut Longenecker stehen die beiden Dimensionen des εἷς in einem kausalen Verhältnis zueinander: „[…] that ‚in Christ Jesus‘ there is a new ‚oneness‘ that breaks down all former divisions and heals injustices.“25 Eine ähnliche Argumentation findet sich auch bei Rohde, obwohl er die Gleichheit (bezogen auf 3,28a–c) ganz anders verstehen kann: „[…] daß alle in Christus eine Einheit bilden und auf diese Weise alle in derselben Beziehung zu Gott stehen.“26 Schlier gelingt es sodann – als Vertreter der Leib-Christi-Interpretation – beide Aspekte innerhalb des Bildes zu verorten: „[S]ie sind in Christus alle zusammen Einer, der Leib Christi; sie sind es freilich so, daß jeweils jeder Einzelne im Verhältnis zum Anderen Christus ist, also deutlicher: daß sie nur noch Glieder Christi sind.“27

Diese Beispiele verdeutlichen erneut, dass der unmittelbare Kontext unter bestimmten Voraussetzungen beide Interpretationsrichtungen hergibt. Sowohl γάρ als auch das folgende εἰ δέ fordern geradezu eine kontextimmanente Deutung. Der Bezugspunkt der beiden Proformen kann aber ganz unterschiedlich ausgemacht werden und selbst dann hängt die Auslegung von der Vorinterpretation entweder von 3,27a oder 3,27b oder 3,28a–c oder auch 3,29 ab. Auch „Kombinationsversuche“ lösen die Fragestellung m.E. nicht, sondern verquicken lediglich die Gemengelage. Die folgende Untersuchung hat als Minimalziel, einen Teil der Deutungsvarianten auszuschließen. Leitend dazu sollen die oben aufgeführten kritischen Anfragen sein.

Die Taufe auf den Tod Christi

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