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1.4.4 Zusammenfassung Gal 3,28a–c

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Neben der Kürze und Formelhaftigkeit dreht sich die Problematik der Auslegungsgeschichte von Gal 3,28a–c im Wesentlichen um zwei Fragen:

1) Wie ist οὐκ ἔνι angemessen zu verstehen und zu übersetzen? Als Möglichkeiten bieten sich an: „ist nicht mehr“ / „gilt nicht mehr“ / „wird nicht mehr gelten“ / „hat keine Relevanz mehr“.1

2) Wird diese grundlegende Neuerung für das unterschiedliche Gottesverhältnis der Paare ausgesagt oder aber für ihr Verhältnis zueinander? Die meisten Exegeten sehen sich genötigt, sich für eins der beiden Verhältnisse zu entscheiden.

Die Beantwortung der beiden Fragen steht in einem engen wechselseitigen Zusammenhang. Viele Exegeten deuten das οὐκ ἔνι abhängig von der vorherigen Entscheidung darüber, ob die horizontale oder aber die vertikale Dimension angesprochen ist. Schwierigkeiten ergeben sich oft erst dann, wenn eine eingehendere Analyse aufdeckt, dass horizontale und vertikale Aspekte in diesem Zusammenhang nicht ohne Weiteres zu trennen sind. Es stellt sich dann aber schnell die Frage, ob οὐκ ἔνι coram deo und coram hominibus in gleicher Weise zu verstehen ist.

Die obige ausführliche Untersuchung hat nun mit Blick auf Situation und sonstige Diskussionslage in den frühchristlichen Gemeinden gezeigt, dass zudem Unterschiede zwischen den einzelnen Paaren wahrzunehmen sind. Für Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην etwa stellt sich die frühchristliche Situation ganz anders dar als für ἄρσεν καὶ θῆλυ. Spätestens hier zeigt sich, dass eine eschatologische Interpretation keineswegs die Problematik auflöst. Denn im gleichen Brief fordert Paulus aufs Heftigste, dass das οὐκ ἔνι bereits jetzt Auswirkungen haben muss bzw. hat. Die These, dass nur das erste Paar von eigentlicher Relevanz für Paulus in Gal wäre, funktioniert zwar insoweit, dass sich ähnliche Äußerungen auch an anderen Stellen des Briefes finden lassen (z.B. Gal 5,6; 6,15 u.ä.), wirft aber dennoch zwei Fragen auf: 1) Warum reduziert er dann die Tradition in Gal 3 nicht auch auf das erste Paar? Dass sie variiert werden kann, zeigen ja schließlich 1Kor 12,13 und Kol 3,11. 2) Was aber bedeutet es, dass die vorpaulinische – aus dem Taufzusammenhang stammende – Tradition alle drei Paare bietet?

Die ausführlichen Untersuchungen der drei Paare sowie die Gesamtschau der Tradition legen für die gerade dargestellte komplizierte Gesamtlage folgende Interpretation nahe: Das präsentisch zu verstehende οὐκ ἔνι bezieht sich sowohl auf die bisherige Unterschiedlichkeit im Gottesverhältnis, wie auch das bisherige Verhältnis der Genannten zueinander, wobei sich Zweiteres aus Ersterem ableitet. Wie es sich um kategorial sehr unterschiedliche Paarungen handelt, so gestalten sich auch die neuen Verhältnisse der drei Paare, v.a. auf der horizontalen Ebene, durchaus unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen aber, dass die neue Gleichheit coram deo sich auf die Verhältnisse coram hominibus auswirkt – und zwar bei allen drei Paaren.

οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην (3,28a): In der Taufe gehen Juden wie Griechen einerseits eine Bindung zu Christus und andererseits eine Bindung zueinander ein, welche beispielsweise in der gebotenen Tischgemeinschaft zum Ausdruck kommt. In dem Gegensatzpaar werden somit sowohl Religions- als auch Volkszugehörigkeit ausgedrückt, da beides aus jüdisch-theologischer Sicht nicht zu trennen ist. Kontextuelle Untersuchungen machen dennoch deutlich, dass nicht nationale Unterschiede im Blick sind, sondern die um sich aus der Berufung Abrahams und des jüd. Volkes ergebende Unterscheidung zwischen Juden und anderen Völkern im Allgemeinen. οὐκ ἔνι meint in diesem Zusammenhang, dass es auch nach der Taufe unterschiedliche Völker und letztlich auch Religionen bleiben, wie die Ablehnung der Beschneidung für Heidenchristen deutlich macht, auch wenn sämtliche soteriologische Relevanz der Unterscheidung wegfällt. Doch auch wenn dies durchaus aktuell und real zu verstehen ist, handelt es sich keineswegs um das einzig wesentliche oder auch nur zentrale Paar der Aufzählung.

οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος (3,28b): Während das Gottesverhältnis von Sklaven bisher durch die Ansprüche ihrer Herren eingeschränkt werden konnte, bedeutet die Taufe εἰς Χριστόν, welche keinerlei Gesetzesforderungen nach sich zieht, die Unerheblichkeit des Sklave- oder Freiseins im Gottesverhältnis. Auf der realen gesellschaftlichen Ebene meint dies keine Sozialrevolution – weder gesamtgesellschaftlich noch innerhalb der christlichen Gemeinde. Doch wenn ein Christ auch weiterhin einen Christen zum Sklaven haben kann, führt ihre Gleichwertigkeit vor Gott zu einer neuen Ebenbürtigkeit auf geistlicher Ebene: Sind sie beide υἱοὶ θεοῦ (3,26), so haben sie sich auch untereinander wie ἀδελφοί zu verhalten. Zugleich ist das Gegensatzpaar im Kontext der allgemeinen Befreiungs-Erbschafts-Thematik einzuordnen, welche vor jeder Art von freiwilliger Versklavung, v.a. unter das Gesetz warnt.

οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ (3,28c): In der für beide gleichen Taufe gehen Männer wie Frauen die alles entscheidende Gottesbindung ein. Ausgehend von sonstigen paulinischen Äußerungen und Berichten aus paulinischen Gemeinden zieht dies weder eine Aufhebung der Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau, noch der Zweigeschlechtlichkeit oder Gottebenbildlichkeit nach sich. Wie Paulus die Sklaverei nicht abschafft, so hat er auch keine Gleichberechtigung nach modernem bzw. postmodernem Vorbild im Sinn. Dennoch lassen sich zwei geradezu revolutionäre Aspekte festhalten: Dass die Taufe in gleicher Weise an beiden durchgeführt wird und damit auch beide auf gleichem Wege gerechtfertigt werden, stellt einen kategorialen Unterschied gegenüber jüdischer Kultpraxis dar, welche das (soteriologisch notwendige) Bundeszeichen lediglich an Männern durchführt. Angesichts der (teilweise phantasiereichen) Fülle an Deutungsversuchen zu οὐκ ἔνι scheint am plausibelsten, dass das direkte Zitat aus Gen 1,27 nach der oben dargelegten Argumentation darauf verweist, dass die Taufe nicht die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich negiert, sondern die Bezogenheit von Mann und Frau als engst mögliche Bindung ablöst und zugleich steigert: einerseits durch die Christusbindung des einzelnen und andererseits durch die Gemeinschaft der Christusgläubigen untereinander (siehe 3,28d).

Für alle drei Paarungen lässt sich demnach festhalten, dass die Gleichheit coram deo einerseits in der Taufe εἰς Χριστόν begründet wird und andererseits durch diese auch zum Ausdruck gebracht wird, indem sie bei wirklich allen Menschen in gleicher Weise durchgeführt wird. Diese Gleichheit wirkt sich sodann auf das Verhältnis der Christusgläubigen untereinander aus, indem die Taufe eine ganz neue Art von Gemeinschaft und Einheit zwischen den so unterschiedlichen Gruppierungen und – wie 3,28d zeigen wird – sämtlichen Getauften bewirkt. Sie hat ihre Ursache allein in der in der Taufe eingegangenen Christusbindung. Die Taufe εἰς Χριστόν ist damit nicht allein das rettende Initiationsritual des einzelnen, sondern wird auch zum Identitätsmarker der Gemeinschaft, wie Paulus im Folgenden pointiert festhält.

Die Taufe auf den Tod Christi

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