Читать книгу Die Taufe auf den Tod Christi - Claudia Matthes - Страница 80
1.5.4.4 Einheitsvorstellungen in paulinischen Taufstellen
ОглавлениеNicht zufällig finden sich an allen drei Stellen Bezugnahmen auf die Taufe. Dazu sei noch eine letzte Wahrnehmung festgehalten: Obwohl die Taufe als Initiationsritual zuerst ein Ritual für und am Individuum ist, ist 3,27f (eigentlich gesaMt 3,23–29) plural formuliert und zwar in der 2. Person Plural (3,27a.b.28d). Die einzigen singularen Bestimmungen (3,28a–c) sind, als vergangene Realität, negiert. Dass dies nicht allein der rhetorischen Situation der Ansprache einer Gemeinde im Brief geschuldet ist, sondern einen beachtenswerten Interpretationsfaktor darstellt, untermauern v.a. zwei Aspekte: 1) Paulus wechselt den Numerus, wenn es ihm rhetorisch-argumentativ sinnvoll erscheint, indem er bspw. in die Ich-Perspektive übergeht. 2) Sämtliche paulinische βαπτίζω-Aussagen sind im Plural formuliert. Grund dafür ist nicht, wie oft behauptet, der formelhafte Charakter der Aussagen. Denn es lassen sich Belege für alle drei Personen im Plural finden: ἐβαπτίσθημεν (Röm 6,3; 1Kor 12,13), ἐβαπτίσθητε (Gal 3,28d; 1Kor 1,13.15), ἐβαπτίσθησαν (1Kor 10,2).1 Teilweise lässt sich sogar der dezidierte Wechsel vom voranstehenden Singularduktus in den Plural beobachten.
Gibt es also eine inhaltliche Implikation, vom Getauftwerden stets im Plural zu sprechen? Dass die Erfahrung von Massen- oder zumindest Gruppentaufen einzige Ursache des pluralen Sprachgebrauchs sein soll, widersprechen Berichte, welche die Praxis von Einzeltaufen belegen (Apg 8), nicht zuletzt die eigene Taufe des Paulus (Apg 9).
3,28d steht, wie bereits dargelegt, in vielfältigen Beziehungen zu seinem Kontext und damit im besonderen Fokus der Perikope. Das dort postulierte Eins-Sein in Christus ist aber nun nicht irgendeine Wirkung der Taufe neben anderen, sondern muss als ihre Grundbestimmung verstanden werden: Getauft zu sein, bedeutet „eins zu sein“ – eine Erfahrung und Realität, die der Einzelne (allein) nicht machen kann. Dies unterstreichen auch die vorangehenden wie folgenden Qualifizierungen der Getauften: υἱοὶ θεοῦ ἐστε (3,26), τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστε […] κληρονόμοι (3,29). Gemeinsam sind sie Söhne Gottes, Nachkommen Abrahams und Erben der Verheißung und zwar durch und damit auch im Gegenüber zu dem einen Sohn Gottes, dem einen Nachkommen Abrahams (3,16.19) und dem einen wahren Erben der Verheißung (3,22).
Menschen, die zuvor nach unterschiedlichen Kategorien unterschieden und eingeteilt wurden (3,28a–c), bilden jetzt eine Einheit. Nur gemeinsam sind diejenigen, welche zuvor entweder der περιτομή oder der ἀκροβυστία zugeordnet werden konnten (6,15a), die καινὴ κτίσις (6,15b). Dabei handelt es sich weder bei der Einheitsvorstellung noch ihrer Bindung an die Taufe um spezifische Gal-Themen. Die verschiedenen, vielfältigen im 1Kor behandelten Themen und Probleme sind geradezu am roten Faden der Vielfalt-Einheits-Problematik aufgefädelt. Entsprechend lassen sich die Bezugnahmen auf die christliche Taufe in dem Paulusbrief mit den meisten Tauftexten an genau den Stellen finden, wo Paulus auf die grundlegende Einheit der Gemeinde abzielt.
Aus der Wahrnehmung, dass sämtliche paulinischen Taufstellen im Plural formuliert sind, ergibt sich noch ein weiterer Aspekt: Greift Paulus an diesen unterschiedlichen Stellen eine geprägte Taufformel auf. So liegt es nahe, ihren Sitz im Leben in der frühchristlichen Taufliturgie zu vermuten.2 Wird sie dort auch in pluraler Form verwendet wie bei Paulus? Gibt es also gar kein individuelles „Ich taufe dich auf …“, sondern stets nur das „Ich taufe euch …“? Es schließt sich die Frage an, ob der Plural im Vollzug der Taufe eine Pragmatik hat und wenn ja welche. Zwei Erklärungen kommen dafür in Betracht: 1) Die Taufe wird stets an mehreren Täuflingen zugleich vollzogen, welche dann gemeinsam im Plural angeredet werden. 2) Der Plural bezieht sich vielmehr auf die gesamte Gemeinde der bereits Getauften, deren Anwesenheit dann für den symbolhaft sinnvollen Vollzug der Taufe konstitutiv wäre.
Die gerade angestellten Überlegungen zur Pragmatik der Taufformel im Rahmen der frühchristlichen Taufliturgie sind keine reine Gedankenspielerei und stellen auch keinen Versuch der Rekonstruktion der christlichen Taufe in den ersten Jahrzehnten dar. Die neutestamentlichen Texte bieten keine Beschreibung des Taufablaufs. Dadurch gerät jedoch schnell aus dem Blick, dass die dem Taufritual eigene Symbolik (und ggf. deren Deutung), wie z.B. die Taufe als „Gruppenerlebnis“, von den Briefadressaten selbst erlebt wird.
Dass Paulus aber durchaus die Symbolik, welche das Taufritual bietet, aufgreift und davon ausgehend seine Interpretationen und Argumentationen entfaltet, konnte bereits für 3,27 aufgezeigt werden. Läge es dann nicht nahe, dass auch die Einheitsaussagen, welche sich stets bei den paulinischen Taufstellen finden lassen, und welchen mindestens ebensolches Gewicht zugestanden wird wie den Auswirkungen der Taufe auf den Einzelnen, ebenfalls an einen Aspekt des Taufrituals anknüpfen, nämlich den Vollzug der Taufe mit Blick auf eine Gruppe, erkennbar anhand der plural formulierten Taufformel?3