Читать книгу Sehnsuchtskarussell - Cleo Maria Kretschmer - Страница 10
Оглавление11. Januar
Neulich muss mich der Teufel geritten haben. Wenn man wie ich auf dem Lande wohnt, findet man in seinem Briefkasten immer wieder neue Kataloge. Kataloge für Schmuck, Kataloge für Kleidung, Kataloge für Kosmetik und Kataloge für Bücher.
Ein Mensch, der auf Schusters Rappen seine Welt erobert, ist damit schnell verführt. All diese bunten Bilder, die verlockenden Preise, dreimonatige Zahlpausen, prompte Lieferung durch schmucke Jünglinge, wer kann da widerstehen?
Ich nicht!
Das Buch der Bücher wollte ich schon seit Jahren lesen.
9,99 Euro, Prachtausgabe mit Edelprägung und echtem Goldrand.
Sogar ein Bad nahm ich, aus Ehrfurcht, und salbte mich mit Hennaölen, bevor ich mit dem Heiligen Buch in mein von Weihrauchduft erfülltes Schlafzimmer ging und andächtig auf mein Bett sank.
Bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr war ich katholisch wie beinahe jeder Mensch, der im Bayerischen Wald geboren wird, und bis dahin habe ich alles geglaubt, was mir die Priester und Klosterschwestern erzählten. Alles – bis zu dem verhängnisvollen Tag, an dem ich im Religionsunterricht erfuhr, dass das, was in der Bibel steht, nur bildlich gemeint ist.
In dieser Stunde erhob sich mein Glaube wie ein Adler in die Lüfte und machte sich die nächsten Jahrzehnte mit seinen scharfen Augen auf die Suche nach der wirklichen Wahrheit – und landete dabei in vielen exotischen Ländern.
Mit einundzwanzig entfloh ich dem Schoß der katholischen Kirche, denn in anderen Religionen und Glaubensrichtungen, wie etwa dem tibetischen Buddhismus, dem Indianerglauben, Sufismus und vielem mehr, fand meine Seele eine bessere Nahrung.
Doch das Alte Testament wollte ich lesen, um zu sehen, was für ein geistiger Schatz für mich darin verborgen liegen mochte.
Doch bald ging es mir so wie Jesus auf dem Ölberg.
»Oh mein Gott, warum hast du mich verlassen?«
Jetzt bin ich beim dritten Buch Mose und voll auf dem Horrortrip.
Wer ist nur dieser schreckliche Gott Israels, auch der Eifersüchtige genannt?
Er ist blutrünstig, gierig nach Macht, Gold und Reichtum und verleitet sein Volk zu Betrug und Lügnereien. Oft benimmt er sich wie ein mächtiger Zauberer, siegelt seine Bündnisse nur mit frischem Blut, verspricht Honigflussländer – und fordert, fordert, fordert.
Er ist der Dämon der Materie, ein Martyrium für die Menschen, die sich unter seinem Schutz befinden und an ihn glauben. Liebe ist für ihn ein Fremdwort, denn absoluter Gehorsam ist das, was er erwartet.
Es ist kein lieber alter Mann mit langem, weißem Bart, den ich bei Moses finde, sondern ein monströses Ungeheuer mit stinkendem Atem und vor Gift triefenden Zähnen.
Ehrlich gesagt, ich bin geschockt.
Ein Ebenbild dieses Gottes will ich auf keinen Fall sein.
Auch die ganzen Konflikte im Nahen Osten zeigen sich mir plötzlich in einem ganz neuen Licht. In Wirklichkeit gehen diese gewalttätigen Streitereien bis zu Abraham, Isaak, Jakob und Moses zurück und sind von diesem Gott angezettelt.
Oder vielmehr von diesem mächtigen Dämon, der den Leuten vorgaukelt, Gott zu sein.
Die Heilige Bibel, vielmehr das Alte Testament, muss man gelesen haben, und zwar ganz von vorne, das rentiert sich. Sämtliche Horror- und Science-Fiction-Filme sind Ammenmärchen dagegen.
Hat unsere Welt gegen dieses regierende Monster von einem dämonischen Gott überhaupt eine Chance?
Woher sollen wir nur all das Blut nehmen, das es zu seiner Nahrung braucht, damit er sich groß und stark fühlen kann.
Das Bild, das unsere Welt von sich zeichnet, beweist täglich, wie mächtig und stark er ist. Nur die Liebe kann ihn bannen.