Читать книгу Sehnsuchtskarussell - Cleo Maria Kretschmer - Страница 7
Оглавление8. Januar
Es ist wunderschön zu sehen, wie die Schneeflocken, dick wie kleine Wattebäusche, vom Himmel schweben und die Welt in einen weißen Mantel hüllen. Der Januar im Schnee ist so, wie er sein soll, die Natur ist gedämpft, sie braucht jetzt Ruhe.
Auch ich habe diese Nacht gut und tief geschlafen, obwohl das bei Vollmond für mich eher eine Seltenheit ist. Vollmond im Krebs ist kuschelig, und wahrscheinlich hat es mich aus diesem Grund gestern schon um 8.00 Uhr abends ins Bett gezogen – und ich konnte vor Müdigkeit noch nicht einmal lesen.
Lesen ist meine Leidenschaft. Bücher riechen gut, fassen sich so schön an und jedes hat ein anderes Gewicht. Es gibt große und kleine, schwere und leichte, dicke und dünne Bücher. Jedes Buch ist eine Tür in eine andere Welt, in der man Abenteuer, Romanzen, und den unglaublichsten Menschen, Gefühlen und Gedanken begegnen kann. Ein idealer Weg für einsame Gedankenmacherinnen wie mich.
Im Moment sind es die Rauborganismen, die mich faszinieren.
Rauborganismen sind die mächtigen dämonischen Kräfte, die unter den einzelnen Völkern leben und diese über alle Epochen immer wieder zu grausamen Ausbrüchen wie Kriegen und anderen Formen der Gewalt verführen.
Frank Thiess beschreibt in Das Reich der Dämonen jedes Volk als einen Großkörper, der von einer gemeinsamen Seele belebt wird, die genau wie eine Einzelseele ihre Tiefen und Abgründe hat. Spannend bis zum Äußersten, erzählt dieser Roman von einer Geschichte, die über tausend Jahre währt. Der Autor kommt folgerichtig zu dem Ergebnis, dass die Menschheitsgeschichte eine riesige Folterkammer ist. Angst, Gier und der Wille zur Macht verwandeln die Menschen seit Äonen in blutrünstige Hyänen, die vor absolut nichts zurückschrecken. Ich glaube, es gibt auf der ganzen Erde kein einziges Fleckchen, das nicht irgendwann einmal mit Mensch- oder Tierblut getränkt wurde. Brrrrh – mich schüttelt es. Aber wo Thiess Recht hat, hat er Recht.
Vielleicht ist ja die Tierwelt geglückt und der Mensch das einzig misslungene und entartete Wesen innerhalb der Schöpfung, und das, wo wir Menschen doch so stolz darauf sind, dass uns der Geist von den Tieren unterscheidet.
Bei diesem Gedanken muss ich lachen, weil mir die gerade vergangene Silvesternacht einfällt. Nach dem Tod meines geliebten Katzentiers Knutschi im Oktober letzten Jahres sind zwei wilde Katzen bei mir eingezogen. Knutschi war mein erstes Katzenweibchen, mit dem ich zwanzig Jahre glücklich gelebt habe. Sie war so wunderschön anzusehen, mit ihrem getigerten Fell und den riesengroßen hellgrünen Augen. Eine echte Ägypterin, und ich habe sie über alles geliebt. Doch jetzt buhlen zwei andere um meine Gunst. Ein schwarzer Kater, den ich Mo-Lee getauft habe, weil er wie Bruce Lee aus dem Stand hochspringen kann, um mich in den Oberarm zu zwicken, und das vielfarbene Katzenweibchen Maui, lieblich und wunderschön wie die Südseeinsel gleichen Namens. Selbstverständlich sagte ich alle Silvestereinladungen ab, denn diese beiden armen Tiere hätten sich ja ohne mich zu Tode ängstigen können. Bei all dem Krach, Geblitze und Gescheppere, das in dieser Nacht immer zur Vertreibung der bösen Geister veranstaltet wird. Um es mal kurz zu machen: Maui hatte mich um 23.00 Uhr, Mo-Lee um 23.30 Uhr verlassen. Die zwei Miezen wurden erst am nächsten Tag um 8.00 Uhr morgens beziehungsweise gegen Nachmittag wieder gesehen. Glücklich, dick und voll gefressen. Von so viel Verstand können wir Menschen nur lernen.
Denn was macht denn der Mensch mit seiner angeblichen Vernunft? Er schafft Systeme, die über Millionen von Menschen unermessliches Leid bringen, und erfindet Dinge für einen Fortschritt, der in Wirklichkeit oft ein Rückschritt ist. Weg vom Schöpfer, weg von der Natur. Eigenartigerweise werden Menschen, die aus ihrer Macht egoistischen Nutzen ziehen, fast niemals glücklich, weil sie immerzu Angst haben müssen, ihre Stellung zu verlieren, um dann von den gequälten Völkern zerfleischt zu werden. Unsere ganze Welt ist durchsetzt von Angst. Angst vor Vergeltung, Angst vor Neid, Angst vor Rache, Angst vor Strafe, Angst vor dem Unsichtbaren, Angst vor Verlust, Angst vor Gewalt, Angst vor der Liebe, Angst vor dem Tod.
Von meinem Bett aus kann ich durch die hohen Fensterscheiben die kleinen Meisen beobachten, die sich die leckeren Sonnenblumenkerne schmecken lassen, die im Vogelrestaurant auf meiner kleinen Terrasse für sie bereitstehen. Die Vögel machen einen fröhlichen Eindruck, und die Kälte scheint sie nicht zu stören, denn sie sind immer sofort da, wenn der Schneefall eine kleine Pause macht. Auch ein türkisches Taubenpaar schaut gerne vorbei, und große schwarze Amseln mit ihren leuchtend gelben Schnäbeln.
Tierliebe ist manchmal so eine Sache in unserem Land. Über mir wohnt ein dominanter älterer Mann, jetzt pensioniert, einsam und sehr erbost darüber, kein Wirkungsfeld mehr zu haben. Doch was das Schlimmste ist, er hat den extrem deutschen Putzfimmel. Was tun, wenn diese schrecklichen Tauben auch im Sommer kommen und auf seine neue Markise scheißen? Ja, dann geht die Welt unter, guter Mann.
Ich schau mir lieber die schöne Liebesgeschichte zwischen den beiden Täubchen an, die ich Romeo und Julia getauft habe.