Читать книгу Sehnsuchtskarussell - Cleo Maria Kretschmer - Страница 19
Оглавление4. Februar
Juchhe! Hurra! Es ist vollbracht! Heute habe ich den ersten Spaziergang in den Frühling gemacht, und ich fühle mich jetzt wie nach einem berauschenden Walzer. Alles scheint draußen zu jubeln, und die verschiedensten Vogelarten schlagen in den Lüften vor Übermut beinahe Purzelbäume.
Auch wenn es heute nur für den kleinen Spaziergang gereicht hat, bin ich froh, um halb vier einfach alles hingeschmissen und an der Huldigung dieses schönen Tages teilgenommen zu haben.
Ich war heute wirklich fleißig, habe eingekauft, geputzt, gewaschen, die Terrasse von den Winterspuren befreit, das Katzenhäuschen für die eventuell schwangere Maui aufgestellt und ein schönes Geburtshäuschen für sie daraus gebastelt, geschrieben und jede Menge telefoniert.
Frau von Ysenbach, eine adelige Dame aus der Nachbarschaft, bei der ich manchmal zum Fünf-Uhr-Tee eingeladen bin, macht sich große Sorgen um ihren lieben Gatten und viele seiner Freunde. Er ist jetzt sechzig, also praktisch ein Methusalem (hehe), und hat anscheinend die große Lebenskrise, so wie viele Männer in diesem Alter. Ich persönlich glaube, ehrlich gesagt, dass das Problem viel tiefer liegt und erst an zweiter Stelle etwas mit dem alternden Körper zu tun hat.
Obwohl, wenn ich an meinen fünfzigsten Geburtstag denke ...
Ich habe mich damals nackt vor einen großen Spiegel gestellt und konnte zwischen dem Bild, das ich sah, und der Zahl fünfzig, die ja ein halbes Jahrhundert bedeutet, einfach keine Beziehung herstellen. Es hat damals ein paar Tage gedauert, bis ich wieder im Gleichgewicht war. Aber alt werde ich ohnehin nicht werden, das sagt mir mein inneres Wissen, und Reifungsprozesse gefallen mir sehr.
Ich kann mir schon vorstellen, wie es diesen Männern geht, die mit all ihrem Elan, ihrer Kraft, ihrer Liebe, ihren Ideen und ihrer ganzen Kreativität mitgeholfen haben, Deutschland wieder aufzubauen. Einen Staat zu gründen, an den sie fest geglaubt haben. Und jetzt, wo der Ruhestand praktisch vor der Tür steht, wird ihnen plötzlich bewusst, dass sie einer Fata Morgana auf den Leim gegangen sind. Unser Sozialsystem gleicht einem Pyramidenspiel, das laut unserer Gesetzgebung verboten ist – Menschen, die diese Spiele inszenieren, drohen zwei Jahre Gefängnis.
Diese Pyramidenspiele oder Schneeballsysteme funktionieren ja nur, wenn alle Mitspieler neue Teilnehmer einbringen, denn nur so kann jeder Einzelne die Spitze erreichen, um seinen Gewinn in Empfang zu nehmen. Was noch einfacher ausgedrückt bedeutet: In einem Staat, in dem zu wenig Kinder geboren und zu mündigen Erwachsenen mit gesicherter Arbeit herangezogen werden, gibt es irgendwann keine Rente mehr. Das Potenzial ist ausgeschöpft, die Kassen sind leer, und was dann? Sollte man um den Bundestag einen elektrischen Zaun ziehen? Männer, die intelligent sind, tanzen den Depressionstango oder versuchen geschwind ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Nur darf man sich dabei nicht erwischen lassen, sonst geht’s ab in den Knast. Keiner von den Regierenden ist Manns genug, mal aufzustehen und zu sagen: »Hey Leute, wir haben aufs falsche Pferd gesetzt, im guten Glauben, das streitet keiner ab, aber jetzt müssen wir handeln.«
Wir brauchen ein völlig neues System, da das alte offensichtlich überholt ist. Wir müssen stehen bleiben, nachdenken, einen großen Rat einberufen und mit Partnern, die von außen kommen und dadurch die Problematik aus einem offeneren, neuen Blickwinkel betrachten können, eine Lösung finden, denn wir sind blind geworden.
Wir haben ein neues Jahrtausend, das fordert ein neues Denken. Der neue Zeitgeist schreibt seine eigenen Gesetze. Deutschland ist abgeerntet.
Warum werden wir nicht weise wie die Bauern? Sobald die Ernte eingefahren ist, pflügt ein Bauer das Feld, lässt es im Winter ruhen, bereitet es im Frühjahr für die Neusaat vor, bringt die Samen ins Feld, pflegt die Jungsaat, lässt die Pflanzen wachsen und gedeihen und erntet im Herbst wieder seine Früchte – und legt vor allem Vorräte an. Wie es aussieht, befinden wir uns jetzt in der Winterphase. Doch ich frage mich schon, ob die Bauern in Boss- und Baldessarini-Anzügen für die Feldarbeit richtig gekleidet sind.
Wo sind die Denker der Neuzeit?
Was für ein Tohuwabohu.
Vielleicht wird in diesem Winterschlaf das Selbstbewusstsein eines neuen Gemeinschaftsgefühls geboren. Wäre das nicht eine schöne Vision? Regieren erübrigt sich dann vielleicht, weil das Geben und Nehmen aus dem Überfluss so selbstverständlich wie das Atmen geworden ist. Das sind die Wassermann-Utopien. Wer weiß, wir werden sehen, was geschieht, wenn der Animale stirbt und der Mensch geboren wird. Genau dafür haben wir in dem zweitausendjährigen Wassermann-Zeitalter auf jeden Fall genügend Zeit. So lautet das Wunschprogramm.
Der über fünftausend Jahre alte Mayakalender endet ja am 21. Dezember 2012, weil die Mayas davon überzeugt sind, dass wir diesen auch heute noch bis auf sieben Minuten exakten Venuskalender danach nicht mehr brauchen werden, weil sich die Erde synchronisieren wird. Synchronisieren mit was? Wir werden es bald sehen. Es bedeutet, so glaube und hoffe ich, dass sich die dritte Dimension mit der fünften verbinden wird. Dieser Dimension, aus der die meisten von uns gekommen sind und in der wir wirklich zu Hause sind, der Dimension der Liebe.
Ich freue mich auf diesen Tag.