Читать книгу Internationales Franchise-Recht - Dagmar Gesmann-Nuissl - Страница 43
aa) Analyse der Rechtsstreitigkeiten (1) Umfang der Aufklärung bei Vorkenntnissen des Franchise-Nehmers
Оглавление62
Die französischen Gerichte mussten sich bereits vor Inkrafttreten des Loi Doubin (und auch danach) damit befassen, ob Vorkenntnisse des potenziellen Franchise-Nehmers den Umfang der vorvertraglichen Aufklärung beeinflussen können. Die französischen Gerichte gehen davon aus, dass sich Vorkenntnisse des Franchise-Nehmers auf den Umfang der Aufklärungspflichten auswirken können und folglich eine Täuschung bei entsprechenden Vorkenntnissen des Franchise-Nehmers (z.B. wegen besonderer Berufskenntnisse) nicht mehr zwingend angenommen werden kann.64 Dies gilt selbst dann, wenn Mitarbeiter des potenziellen Franchise-Nehmers über besondere Kenntnisse verfügen; sie werden dem Franchise-Nehmer ggf. zugerechnet.65 Bei Nichtvorliegen der Täuschung ist eine Nichtigerklärung des Franchisevertrags aufgrund mangelnder Aufklärung zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen.
63
Dass diese Rechtsprechung eine gewisse Kontinuität besitzt, zeigen auch sechs Urteile, die der Cour de Cassation am 5.1.2016 fällte.66 Danach befreit die gute Kenntnis des örtlichen Marktes seitens des Franchise-Nehmers den Franchise-Geber zunächst nicht von seiner Verpflichtung zur Aufklärung, insbesondere wenn er als Einziger Informationen hinsichtlich der Ertrags- und Wettbewerbsfähigkeit seines Konzeptes und seiner Produkte auf dem örtlichen Markt besitzt. Die zugrunde liegenden Sachverhalte sind relativ ähnlich: Ehemalige Franchise-Nehmer forderten vom Franchise-Geber Schadensersatz. Sie machten eine Verletzung der Verpflichtung zur Übergabe von Informationen zur örtlichen Marktsituation geltend oder hoben die Mangelhaftigkeit dieser Informationsübergabe (wenig Details, veraltete Angaben, keine Entwicklungsperspektiven) hervor. In allen sechs Fällen hatten die mit der Sache befassten Richter die Klagen der Franchise-Nehmer verworfen. Dies wurde am 19.2.2014 vom Cour d’appell Paris bestätigt. Die Richter waren der Ansicht, dass die Kenntnisse der Franchise-Nehmer bezüglich der örtlichen Marktsituation „ausreichend“ waren, insbesondere in Anbetracht ihrer beruflichen Laufbahn. Daraus folgerten sie, dass das Ausbleiben oder die mangelhafte Beschreibung der örtlichen Marktsituation für die Franchise-Nehmer nicht entscheidend gewesen sein konnte. Der Cour de Cassation ist mit dieser Ansicht nicht einverstanden und erklärt, dass nichts vermuten lasse, dass die Erfahrung der Franchise-Nehmer genüge, um die örtliche Marktsituation einzuschätzen oder um zu beurteilen, ob dieser Markt imstande war, eine neue, Kredit und Versicherung kombinierende Tätigkeit zu integrieren, die auch noch aus einem völlig neuen Konzept entstanden war. Den Richtern war hier insbesondere unklar, „inwiefern die im alleinigen Sektor der Versicherungen gesammelte Erfahrung des Franchise-Nehmers hätte ausreichen sollen, um die örtliche Marktsituation eines innovativen Konzeptes, das Kredit und Versicherung kombiniert, beurteilen zu können“. Auch wenn der Gerichtshof die Vorkenntnisse der Franchise-Nehmer nicht für gegeben erachtet, erinnert er doch daran, dass die Folgen einer Verletzung der vorvertraglichen Informationspflicht sich auch nach dem jeweiligen Profil des Franchise-Nehmers unterscheiden können.