Читать книгу Der Tote vom Oberhaus - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 10

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Kaum hatte er sich am Telefon gemeldet, da blaffte ihn auch schon eine wütende Stimme an. „Hey, du kleiner Wichser, was sollte die Scheiße heute?“

„Was?“ Er musste sich verhört haben. Seit Stunden wartete er auf eine Nachricht. Hoffte, dass alles gut gegangen war. Und jetzt dieser bizarre Satz.

„Sie müssen sich verwählt haben!“, sagte er schließlich mit fester Stimme und hoffte, dass das eine angemessene Reaktion war. Während er sich krampfhaft überlegte, wie er das Gespräch zügig beenden konnte, versuchte er gleichzeitig, die auflodernde Erinnerung zurückzudrängen. Als er gerade auflegen wollte, begann der Anrufer zu schreien. „Verarsch mich nicht, du weißt genau, wer ich bin und was ich will!“

„Nein“, antwortete er gedehnt, und es fiel ihm endlich wie Schuppen von den Augen, zu wem die Stimme gehörte.

„Wir waren verabredet. Du wolltest mir etwas geben!“, mahnte der Anrufer. Der Satz klang nach einer weiteren Chance. Und auf einmal, von einer Sekunde auf die andere, kamen ihm die Bilder seiner schlimmsten Erfahrung in den Sinn. Niemals würde er diesen Abend vergessen.

„Aber … aber ich dachte …“ Er fühlte sich auf einmal so hilflos. Was war nur schief gegangen?

„Du dachtest? Sieh einmal an, und ich dachte, du nimmst immer nur!“

Ein höhnisches Lachen löste die Beschimpfung ab, woraufhin er den Hörer in die andere Hand nahm, um sich die verschwitzte Hand an seiner Hose abzuwischen. Er war sich jetzt ganz sicher. Die Stimme gehörte zu Samstagabend. Angst floss wie schwarzer Teer durch seine Brust. Er brauchte Zeit. Er musste nachdenken! Aber Zeit gab ihm der andere nicht.

„Wenn du also denken kannst, dann solltest du dir ganz schnell einfallen lassen, wie du deinen Kopf retten willst. Oder hast du gedacht“, er spuckte das Wort förmlich in den Hörer, „du könntest mich hintergehen? Seit heute Nachmittag bist du vogelfrei! Hörst du? Jeder, der Bock darauf hat, kann dich jetzt abknallen. Gefällt dir die Aussicht?“

„Wie?“, fragte er kleinlaut und schwitzte noch mehr. Er war sich jetzt ganz sicher, dass etwas schief gegangen war.

„Dich zu finden wird eine Kleinigkeit sein. Was sie mit dir machen? Keine Ahnung! Aber es sind ziemlich viele, und sie sind ziemlich sauer auf dich. Denen wird schon was einfallen. Wut ist die Tochter der Enttäuschung, und deren Kind heißt Vergeltung“, erklärte der Mann und fügte fast mitleidig hinzu: „Wie bist du nur auf die Idee gekommen, bei einer so beschissenen Nummer mitzumachen?“

Angestrengt lauschte er in den Hörer, aber es klang tatsächlich so, als wolle der andere seine Erklärung hören. Erneut schöpfte er Hoffnung.

„Das verstehe ich auch nicht“, versuchte er den Anrufer zu beschwichtigen.

„Wie bitte?!“, schrie der Mann am anderen Ende der Leitung, und es klang jetzt überhaupt nicht mehr freundlich.

„Ich weiß es doch auch nicht …“, antwortete er mit weinerlicher Stimme.

„Du willst mich tatsächlich verarschen!“

„Nein. Nein!“

„Nein, was?“

„Nein, ich will dich nicht verarschen.“

„Das würde ich dir auch nicht raten …“ Die Stimme des Anrufers war jetzt wieder zuckersüß. „Du hast exakt noch eine Chance: Du lieferst, und zwar mit Zins und Zinseszins, weil sonst …“ Sein Lachen klang hämisch. „Wir sehen uns wieder!“

Vor Schreck fiel dem Mann der Telefonhörer aus der Hand. Rasch bückte er sich, konnte aber nur noch die letzten Worte des Anderen hören: „Ich melde mich!“

Apathisch blieb er sitzen und starrte auf den Hörer, bevor er ihn vorsichtig auf die Station zurücklegte und sich vergewisserte, dass die Verbindung auch wirklich unterbrochen war. Seine Hände zitterten. Sein Körper bebte. Er war noch nie mutig gewesen. Er hatte sich einfach darauf verlassen, dass alles gut gehen würde! Dabei hätte er doch wissen müssen, dass es in jedem Spiel Gewinner und Verlierer gab. Geben musste. Wann war er eigentlich auf die Idee gekommen, von jetzt an zu den Gewinnern zu zählen?

Als er aufsah, hatte er das Gefühl, draußen einen Schatten vorbeihuschen zu sehen. Hastig sprang er auf und ließ die Rollos herunter. Aber sicher fühlte er sich deshalb noch lange nicht. Er wusste ja noch nicht einmal, wie viele es waren.


Der Tote vom Oberhaus

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