Читать книгу Der Tote vom Oberhaus - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 13
ОглавлениеAls Hannes auf den Klingelknopf der Nachbarwohnung drückte, erklärte ihm Franziska betont beiläufig: „Machst du hier bitte alleine weiter? Ich hab noch was zu erledigen.“
Dann ließ sie ihn stehen und verschwand, ohne auf seine Zustimmung zu warten, im Aufzug. Hannes rief ihr gerade nach, was das zu bedeuten habe, als die Wohnungstür aufging und er von einem Mann in Feinrippunterhemd und mit einer Flasche Bier in der Hand argwöhnisch gemustert wurde. Das Alter des Mannes war schwer zu schätzen. Die besten Jahre lagen aber eindeutig hinter ihm.
„Willi Geiler?“, fragte Hannes, holte seinen Ausweis aus der Hemdtasche und stellte sich und sein Anliegen kurz vor. Er hatte Mühe, seinen Unmut über Franziskas Verhalten zu verbergen.
„Kennen? Den Mautzenbacher? Na ja. Ich war mal oben. Auf ein Bier halt. Weiß gar nicht mehr, warum.“
Geiler hatte den jungen Kommissar in seine Wohnung gebeten, sich aufs Sofa gesetzt und es Hannes überlassen, sich ebenfalls einen Platz zu suchen. Jetzt kratzte er sich nachdenklich an der Stelle auf seiner Brust, wo die langen grauen Haare aus dem Unterhemd hervorlugten. Ohne etwas zu sagen, nahm er einen tiefen Schluck aus seiner Flasche, den Kommissar schien er vergessen zu haben.
„Wann waren Sie denn bei ihm oben?“
Obwohl die Balkontür weit offen stand, war es im Zimmer ziemlich warm. Abgestanden, geradezu ekelhaft, wie Hannes fand. Bierdunst mischte sich mit Schweiß und altem Bratenfett, und er überlegte, ob er dem Nachbarn nicht lieber die Bierflasche wegnehmen sollte. Immerhin stand auf dem Tisch schon eine ganze Reihe geleerter Flaschen, und man wusste ja nie, wann der eine Schluck zu viel jede Aussage unmöglich machte.
Schließlich verkündete Geiler, der noch immer seine Brust bearbeitete: „Der Xaver war ‘ne richtig arme Sau. Der hatte ja gar nix mehr. Der hatte noch nicht mal ’ne Alte, die was von ihm wollte.“
Hannes konnte nicht sagen, ob der Blick des Mannes ausdruckslos war oder einfach durch ihn hindurchging.
„Der Xaver, der war dauernd auf Jobsuche. Aber der hat ja nichts gekriegt! Den wollte einfach keiner“, fügte der Nachbar hinzu und hob erneut seine Flasche. „Unqualifiziert war der Xaver! Ja, das hat der gesagt.“
„Was war er denn eigentlich von Beruf?“, fragte Hannes schnell, und tatsächlich ließ Geiler die Flasche im letzten Moment sinken. Dann sah er ihn überrascht an.
„Keine Ahnung!“ Geiler schüttelte den Kopf. „Aber der Xaver, der hatte so’n Auto, rot und rostig.“ Geiler lachte kurz auf. „Wir haben uns mal darüber gekabbelt, weil ich sagte: Ist das deine Firma, Rot & Rostig? Das war lustig.“ Geiler trank und stellte nach zwei Schlucken fest, dass seine Flasche leer war.
„Wollen Sie auch eins?“, fragte er Hannes, der tatsächlich Lust auf ein Bier hatte. Vor allem auf ein kaltes.
„Danke“, antwortete er und schüttelte höflich den Kopf. „Wir haben es ohnehin gleich, vielleicht könnten Sie so lange …“
„Na klar, Herr Kommissar. Sie müssen ja weiter, stimmt’s? Immer im Einsatz!“ Seine Sprache wurde zunehmend schleppender.
„Ja, genau. Aber vorher müsste ich noch wissen, was das für ein Auto war?“
„Na, so ein kleiner Flitzer halt. Ein Fiat? Keine Ahnung. Irgendwas Billiges.“
„Kein BMW?“
Geiler wieherte vor Lachen. „Naa, wo denken Sie hin? Wie soll sich denn unsereins einen BMW leisten, Herr Kommissar?“
Er griff wieder nach der Bierflasche und merkte, dass sie noch immer leer war. Dann tippte er sich auf einmal an die Stirn. Er beugte sich so weit nach vorn, dass Hannes schon fürchtete, mit ihm und einem der Kaffeeflecken auf seinem Unterhemd zusammenzustoßen.
„Ich weiß schon, was Sie meinen. Sie haben den Schlüssel gefunden.“ Den letzten Satz flüsterte Geiler mit verschwörerischer Stimme. „Und haben Sie auch die Uhr gefunden? Eine echte Rolex. Oder? Sie haben es geglaubt, stimmt’s?“ Er lehnte sich wieder zurück, stellte die Bierflasche auf den Tisch zu den anderen und kratzte sich weiter sein Brusthaar. „Der Xaver, der wusste, wie es geht. Meinte: Mehr Sein als Schein, darauf käme es an. Oder war das jetzt anders herum? Ach, egal! Ich hab mich ja nur gefragt, warum der keinen Job kriegt, wo der doch so schlau ist.“ Geiler klang nachdenklich.
„Und was sollte das mit dem Schlüssel?“ Hannes wurde aus dem ganzen Gefasel nicht schlau, vielleicht fehlte ihm einfach der Alkoholpegel von Geiler, um das alles zu verstehen.
„Na, ist doch klar“, setzte der prompt zu einer Erklärung an. „Der Xaver, der gab damit an. Der tat so, als könne der sich eine echte Rolex und einen echten BMW leisten. Vielleicht haben ihm die Weiber das ja sogar geglaubt!“ Wieder beugte er sich bedenklich weit nach vorn, sodass Hannes seinen abgestandenen Bieratem roch. „Die glauben nämlich viel, wenn du es ihnen erzählst. Ich würd so was allerdings nicht machen. Weil dann wollen die nämlich immer, dass du bezahlst. Und wenn sie nicht selber zahlen müssen, dann saufen die Weiber wie die Löcher!“ Geiler schlug sich mit der flachen Hand auf den nackten Oberschenkel und freute sich wie ein kleines Kind über seinen Witz.
Hannes stand auf. Er wusste noch nicht, ob ihn das alles wirklich weiter gebracht hatte, auf jeden Fall verstand er jetzt die Sache mit den Anzügen und der Wohnung. Xaver Mautzenbacher war ein Blender gewesen. Das erklärte allerdings noch nicht, woher er zwanzigtausend Euro hatte und warum die Handtücher fehlten.
„Kennen Sie zufällig das Kennzeichen von dem roten Flitzer?“
„Nee! Tut mir leid, Herr Kommissar. Das müssen Sie schon selber herausfinden. Ha, haha!“ Wieder schlug sich der Nachbar auf den nackten Oberschenkel, dann stand er auf und ging zur Küche. Als er die Tür erreicht hatte, drehte er sich noch einmal um und zwinkerte Hannes verschwörerisch zu. „Sie entschuldigen mich, aber ich habe eine Verabredung! Mit einer kühlen Blonden“, erklärte er mit schwerer Zunge und zwinkerte Hannes zu, bevor er in der Küche verschwand.