Читать книгу Der Tote vom Oberhaus - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 5
ОглавлениеAndächtig beugte sich Samantha Halmgaard über ihre fast fertige Skizze und erschrak, als die alte Uhr, die neben dem Fenster hing, zur vollen Stunde schlug. Sie hatte sich von ihren Ideen in andere Welten tragen lassen und dabei vollkommen die Zeit vergessen. Hastig schob sie die Papiere zusammen und legte sie in eine Arbeitsmappe. Dann streckte sie sich, schob den schweren Stuhl zurück und stand auf. Dabei fiel ihr Blick erneut auf die Mappe, und ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Es war der Entwurf für eine Installation zur Kaiserhochzeit von Leopold I. und Eleonore von Pfalz-Neuburg. Nachdem das Museum dieses Jahr an den großen Stadtbrand von 1662 erinnert hatte, wollte Samantha als Nächstes das zweite große Ereignis, das Passau berühmt gemacht hatte, in den Mittelpunkt der Dauerausstellung rücken.
Neues zu ersinnen und Visionen in die Tat umzusetzen, das war es, was ihren Beruf als Direktorin des Oberhausmuseums für sie so einzigartig machte. In ihrer Fantasie war alles möglich. Sie konnte Pläne schmieden, ohne zu fragen, ob sie sich später wirklich realisieren ließen. Damit musste sie sich erst herumschlagen, wenn es ums leidige Geld ging.
Wenn sie mitten in den Planungen steckte, war ihr alles andere lästig. Jeder Anruf, jede Störung. Und so war sie durchaus froh darüber, dass ein überraschender Besucher, der sich für die Mittagszeit angekündigt hatte, nicht gekommen war.
Natürlich sprach sie wie alle Künstler gern über ihre Arbeit, und im Grunde liebte sie Abwechslung und kleine Überraschungen. Aber sie hatte gelernt, Privatangelegenheiten außerhalb des Museums zu lassen. Da war sie sehr streng mit sich, und letztlich hatte sich das ausgezahlt.
Mit einem wohligen Stöhnen dehnte sie ihre verspannten Muskeln und gähnte herzhaft. Seit drei Jahren war sie hier die Museumsdirektorin, und seither hatte sie nicht nur ihren Kleidungsstil verändert. Als sie ihren Kopf in den Nacken legte, wanderte ihr Blick über die hohe Decke und an den Wänden ihres großzügigen Büros entlang. Es war ein wunderschöner Raum, alt und geschichtsträchtig, untergebracht im ehemaligen Gästehaus – was von Unkundigen oft mit einem Lächeln quittiert wurde. Von einem der Fenster aus konnte man über ganz Passau blicken. Genau so wie einst die regierenden Fürstbischöfe.
Die zierliche Frau fuhr zusammen. Sie sah zur alten Biedermeieruhr, und erkannte erschrocken, dass es bereits kurz vor halb fünf war. In Kürze schloss das Museum, und sie wollte unbedingt noch eine Runde durch die Ausstellungsräume drehen und sich bei dieser Gelegenheit den ausgeräumten Raum im Fürstenkeller ansehen. Sie hatte es versprochen und es dann beinahe vergessen, vor lauter Kaiser Leopold I. und seiner jungen Frau, Eleonore Magdalena Theresia.
Samantha Halmgaard lächelte. Sie hatte viel vor mit den beiden. Kaiserglanz stand hoch im Kurs bei den Besuchern, und wenn Passau schon etwas so Einzigartiges zu bieten hatte, was ja letztlich auch nur dem besonderen Vertrauensverhältnis zu Fürstbischof Sebastian von Pötting geschuldet war, dann durfte sie diesem Umstand ruhig in einer Ausstellung huldigen.
Nur unwillig löste sie sich von ihren Plänen, holte den Schlüssel aus der Schublade ihres Schreibtisches und verließ das Büro. Sie schenkte sich den ganzen Rundgang durch die Ausstellung und überquerte den Hof, um in den gegenüberliegenden Keller hinunterzusteigen. Im Vorbeigehen grüßte sie wie immer die Bruderschaft der Salzhändler, zog den Kopf ein, als sie die fünf Stufen hinunterging, wandte sich nach links und studierte kurz den Zettel, der an der Tür angebracht worden war und darauf hinwies, dass hier umgebaut wurde. Dann streckte sie die Hand aus, um die Tür zu öffnen – doch im selben Moment fiel ihr Blick auf den Spalt unter der Tür. Verärgert bückte sie sich. Verdammt, was war denn das wieder? Warum begriffen manche Leute nicht, dass es Dinge gab, die so alt waren, dass man sie einfach schützen musste!