Читать книгу Der Tote vom Oberhaus - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 19
ОглавлениеDie vergrößerten Fotos von Xaver Mautzenbacher, einmal freundlich in die Kamera blickend, und ein anderes Mal als Leiche mit fahlem Gesicht, Bilder von seiner Bauchwunde sowie von der Partisane waren bisher das Einzige, was an der großen Tafel befestigt worden war. Die Kriminaltechnik hatte etliche Fußabdrücke aus dem Bereich gesichert, wo der Kampf stattgefunden haben musste, saß aber noch an der Auswertung der Spuren. Und das würde, wie Annemarie gleich festgestellt hatte, auch noch ein paar Tage dauern.
„Wir sind ja hier nicht beim Fernsehen, wo die Auswertung der DNA-Spuren nach ein paar Stunden vorliegt“, verkündete sie, und Franziska schmunzelte, weil sie wusste, wie sehr Annemarie diese Filme mit der Alles-ist-möglich-Aufklärung liebte.
Hannes begann, Schneidlingers Wunsch entsprechend,
für alle, die nicht am Tatort gewesen waren, die Fakten zusammenzufassen. „Xaver Mautzenbacher, zweiundvierzig Jahre alt, Beruf unbekannt, wohnhaft in der Böhmerwaldsiedlung. In einer sehr bescheidenen Wohnung.“ Er zeigte auf die vor ihm liegenden Päckchen auf dem Tisch. „Er hatte zwanzigtausend Euro, einen Ausweis und eine Kreditkarte bei sich, außerdem eine Uhr und einen Schlüsselbund.“ Hannes gab die Schale herum. Die Beweisstücke waren alle sauber eingetütet.
Franziska ergriff das Wort. „Der Mann trug einen teuren Anzug …“
„Hey, das ist ja eine echte Rolex!“, rief Obermüller auf einmal dazwischen und drehte die Uhr aus der Schale, die gerade bei ihm Station machte, hin und her.
Hannes lachte amüsiert auf. „Tja, Obermüller, da bist du wohl auf einen Betrug hereingefallen. Diese Uhr ist nur ein billiges Imitat.“
Doch Obermüller ließ nicht locker. „Das hier ist doch kein Imitat! Das ist eine echte Rolex.“
„Nein“, lächelte Hannes noch immer. „Mautzenbacher selbst hat seinem Nachbarn gegenüber behauptet, dass es ein Fake ist. Vielleicht ist sie ja einfach nur gut gemacht.“
„Kennst du dich damit aus?“, fragte Obermüller seinen Nachbarn Gruber und reichte ihm die Uhr, ohne auf Hannes einzugehen. Aber der schüttelte nur den Kopf und gab sie Schneidlinger. Dieser drehte sie hin und her und verkündete siegessicher: „Liebe Kollegen, da gibt es überhaupt keinen Zweifel, die Uhr ist echt!“
Hannes wollte schon aufbegehren, als Hauptkommissar Schneidlinger mit der Uhr in der Hand aufstand und zu ihm nach vorne, an die Kopfseite des Tisches kam. Mit einem Stift zeigte er auf eine Stelle auf der Rückseite der Uhr, genau zwischen den Bandanstößen.
„Herr Hollermann, sehen Sie die Rolexkrone über der schwarzen Referenznummer? Sie ist immer mit einem 3-DHologramm versehen. Und sehen Sie auch, wie sich das Muster darunter verändert, wenn ich die Uhr hin und her bewege und damit den Blickwinkel verändere?“
Hannes nickte stumm, woraufhin Schneidlinger die Uhr wieder umdrehte.
„So wie bei diesem Modell wird bei jeder Rolex die Identifikationsnummer im Gehäuse auf sechs Uhr eingraviert, und zwar kreisförmig und mit sauber abgegrenzten Ziffern. Fälscher können heutzutage viel, aber nicht die Nummern sauber eingravieren“, erklärte der Chef weiter, bevor er hinzufügte: „Das ist übrigens eine Datejust 36 MM. Ein wunderbares Stück aus Edelstahl und Everose-Gold.“
Ohne ein Wort der Bewunderung über das Wissen seines Chefs abzugeben, stammelte Hannes: „Dann verstehe ich aber nicht, warum er seinem Nachbarn erzählt hat, es handle
sich dabei nur um ein Imitat.“
„Vielleicht hat er sie geklaut und wollte keine Begehrlichkeit wecken“, gab Obermüller zu bedenken. „Wobei, wenn sie eine Identifikationsnummer hat, ist das ja leicht rauszukriegen.“
Gruber nickte seinem Kollegen zu. Bei solchen Angelegenheiten waren die beiden Ermittler Spezialisten.
„Findet das mal für mich heraus“, forderte Franziska Obermüller auf und schenkte ihm ein Lächeln. Sie mochte den Kollegen. Denn der war zwar ein Kerl wie ein Schrank, aber trotzdem nicht auf den Kopf gefallen. „Ich habe ohnehin das Gefühl, dass bei diesem Mautzenbacher etwas nicht stimmt. Die Wohnung ist billig eingerichtet: Fernseher, Schränke, Sofa. Sogar die Bücher sind alt und abgegriffen. Man könnte meinen, er habe alles zusammengetragen, was nichts kostet. Und dann hängen im Kleiderschrank teure Anzüge.“
Franziska zuckte mit den Schultern. Sie wollte es jedem Einzelnen überlassen, das Geschilderte zu bewerten.
Als niemand etwas einwandte, fuhr sie fort: „Dass die Uhr echt ist, ändert natürlich einiges. Das heißt, wir müssen auch das gefundene Bargeld neu bewerten. Mautzenbacher lebte wie jemand, der nur vollkommen wertlose Dinge besitzt. Doch als er gefunden wurde, hatte er zwanzigtausend Euro bei sich. In druckfrischen Fünfhundertern. Also sicher nicht zusammengespart.“ Wieder machte sie eine Pause. „Ich denke, wir müssen klären, woher er das Geld hatte beziehungsweise wofür es bestimmt war. Auf der Suche nach dem Täter müssen wir beachten, warum er das Geld, das in der Innentasche seines Sakkos steckte, nicht gefunden beziehungsweise nicht an sich genommen hat. Wenn er davon überhaupt wusste …“
„Wir gehen davon aus, dass es im Keller der Burg zu einem Streit kam und Mautzenbacher dabei getötet wurde“, warf Schneidlinger ein.
„Bei der gegebenen Fundsituation drängte sich auch dieser Verdacht auf. Trotzdem muss es ja nicht ums Geld gegangen sein“, überlegte Franziska laut.
Der Chef nickte. „Ja, ja das stimmt. Gibt es denn schon Zeugen, die einen möglichen Täter gesehen oder etwas von einem Streit mitbekommen haben?“
„Nein.“ Franziska lächelte nachsichtig. „Aber wir werden uns heute noch einmal im Oberhaus umhören.“
„Gut, dann werden Sie“, er blickte abwechselnd zu Gruber und zu Obermüller, „alles über Xaver Mautzenbacher herausfinden. Drehen Sie in seiner Wohnung jedes Blatt Papier um, fragen Sie die Nachbarn, Arbeitskollegen …“
„Laut seinem Nachbarn Willi Geiler war er ständig auf Jobsuche“, warf Hannes ein und wartete, bis der Chef ihn ansah.
„Ein guter Hinweis. Haben Sie sonst noch etwas?“
„Ja. Das Auto. Es soll rot und rostig gewesen sein. Vielleicht ein Fiat.“
„In der Wohnung gab es absolut nichts Aussagekräftiges über Mautzenbacher. Am Ende fuhr er sein Leben im Auto spazieren“, gab nun auch Franziska zu bedenken.
„Sehr guter Ansatz“, lobte Schneidlinger. „Wäre doch gelacht, wenn wir nicht ein bisschen Licht in die alten Gemäuer der Burg bringen würden.“
Unsicher sahen sich alle am Tisch des Besprechungszimmers an. Noch wussten sie nicht viel über den neuen Chef. Doch eines war allen klar: Bei diesem Fall würde er sich bewähren
müssen, und das mussten sie alle mittragen.