Читать книгу Der Tote vom Oberhaus - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 9
ОглавлениеKaum hatte die Kommissarin den Burghof überquert, stand sie auch schon vor einer der hölzernen Eingangstüren, die zum ehemaligen Gästehaus führten. Die Tür war versperrt, weshalb Franziska klingelte, und die Zeit, in der sie auf die Museumsdirektorin wartete, dazu nutzte, um den viel beachteten Farbfleck unterhalb ihres Schlüsselbeines zu entfernen. Dann hörte sie auch schon das leise Knarzen der Tür, die sich nur schwerfällig in den Angeln bewegte, und erblickte schließlich eine zierliche Frau, die sie mit großen Augen fragend ansah.
„Ja, bitte?“
„Oberkommissarin Franziska Steinbacher von der Mordkommission Passau.“ Sie zückte ihren Ausweis. „Sie sind Frau Halmgaard?“
Die Museumsdirektorin nickte, während sie Franziskas Papiere studierte, und gab der Kommissarin damit Gelegenheit, sie näher zu betrachten. Ihr Kostüm saß perfekt, die braunen Haare waren zu einer raffinierten Hochsteckfrisur arrangiert, das Make-up war dezent.
„Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.“
„Ja, natürlich. Kommen Sie doch rein.“ Samantha Halmgaards Stimme war angenehm, der Händedruck fest.
Während sie nacheinander die ausgetretenen Steinstufen hinaufstiegen, fiel hinter ihnen die Eingangstür geräuschvoll ins Schloss. Franziska erschrak ein wenig, weil sie gerade fasziniert die hohen zweifarbigen Lackpumps Samantha Halmgaards inspiziert hatte. Solche Schuhe trugen nur wenige Frauen, vor allem, wenn sie tagtäglich über Pflaster und Kies gehen mussten.
„Wissen Sie denn schon, wie es passiert ist?“, fragte Samantha Halmgaard, nachdem sie die Tür zu ihrem Büro geschlossen hatte.
„Allem Anschein nach wurde der Mann erstochen“, erklärte Franziska und beobachtete das Gesicht der Direktorin.
„Erstochen, sagen Sie?“ Die zierliche Frau erschauderte.
„Ja, mit einer Partisane.“
„Doch nicht mit einer der historischen Prunkpartisanen?“
Die Kommissarin nickte.
„Oh, mein Gott, das ist ja furchtbar!“ Samantha Halmgaards Gesicht zeigte blankes Entsetzen. Franziska sah ihr an, dass sie wusste, von welcher Waffe die Kommissarin sprach. Doch eine Sekunde später hatte die Direktorin ihre Emotionen wieder unter Kontrolle. Mit einer einladenden Handbewegung zeigte sie zu einer kleinen Tischgruppe. „Bitte, nehmen Sie doch Platz.“
Franziska wählte den Sessel, von dem aus sie den ganzen Raum im Blick hatte, und setzte sich. Ungefragt schenkte die Hausherrin Wasser in zwei Gläser ein und setzte sich ebenfalls.
„Wer tut so etwas?“
„Ich hoffe, dass Sie mir bei der Beantwortung dieser Frage helfen können.“ Franziska lächelte kurz und konzentrierte sich auf das Gesicht ihres Gegenübers.
„Ja, natürlich. Wenn Sie mir sagen, wie …“
„Zunächst einmal müsste ich wissen, wer alles einen Schlüssel zu der Tür hatte, hinter welcher der Tote gefunden wurde.“
Die Direktorin nickte, als habe sie schon die ganze Zeit auf diese Frage gewartet. „Normalerweise ist dieser Raum ja nicht abgeschlossen. Aber soweit ich weiß, gibt es zwei Schlüssel.“ Sie hielt kurz inne, schloss die Augen und massierte sich mit den Fingerspitzen beider Hände die Schläfen. Dabei blitzte ein funkelnder Diamantring im Licht der Deckenlampe auf. Fasziniert sah Franziska dem Lichtspiel zu.
„Bitte entschuldigen Sie, aber das war heute alles ein bisschen viel. Wie war noch einmal Ihre Frage?“
Franziska lächelte nachsichtig. „Ich wollte wissen, wer alles einen Schlüssel hatte.“
„Ah ja, natürlich.“ Samantha Halmgaard ließ die Hände in den Schoß sinken und richtete sich auf. „Einen Schlüssel habe natürlich ich, er liegt immer in meinem Schreibtisch, und den zweiten habe ich dem Maler gegeben, der den Raum gerade umgestaltet.“
„Das heißt nur Sie und der Maler hatten Zugang zu dem Raum?“, kombinierte die Kommissarin.
„Im Moment. Ja, das ist richtig.“
Franziska gab sich mit dieser Antwort zufrieden undwechselte das Thema. „Wie kam es eigentlich, dass Sie den Toten gefunden haben?“
„Ich … Es war purer Zufall. Ich wollte mir die Skizzen des Malers ansehen, bevor morgen die Ausmalarbeiten beginnen.“ Samantha Halmgaard rückte ihre Brille zurecht und versuchte, sich zu konzentrieren. „Als ich auf die Tür zuging, sah ich die Blutlache. Das heißt, zunächst dachte ich, es sei verschüttete Farbe, und ich ärgerte mich, weil ich fürchtete, dass das schöne Parkett ruiniert sei.“
„Und?“
„Ich schloss die Tür auf und stellte fest, dass sie sich nicht öffnen ließ. Es war ganz merkwürdig. Ich spürte ja, dass sie offen war, aber sie wollte einfach nicht nachgeben. Da bückte ich mich noch einmal, um mir die Flüssigkeit genauer anzusehen, und stellte fest, dass es Blut war.“ Samantha Halmgaard schaute auf den Zeigefinger ihrer rechten Hand, als haftete noch immer das Blut des Toten daran.
„Sie können sich bestimmt vorstellen, wie entsetzt ich war, als die Polizei die Tür schließlich aufdrückte und wir diesen Mann auf dem Boden entdeckten.“
„Haben Sie den Mann schon einmal hier gesehen?“
Die Direktorin schüttelte gedankenverloren den Kopf und schloss erschöpft die Augen. „Es war einfach grotesk, er sah so friedlich aus, und dann das viele Blut auf dem Boden. Ich glaube, das war alles ein bisschen viel für meine Nerven.“
Müde öffnete sie die Augen und sah die Kommissarin an. „Aber wissen Sie, was wirklich seltsam war? Mir ist erst später aufgefallen, dass ich gar nicht mit meinem Schlüssel aufgeschlossen habe, sondern mit dem, der die ganze Zeit über im Schloss steckte.“
Zur Bekräftigung ging sie zu ihrem Schreibtisch und holte einen weiteren großen Schlüssel heraus, der genau wie der aussah, der bereits am Tatort sichergestellt worden war.
„Gut, dann spreche ich mit dem Mann, der den zweiten Schlüssel hatte. Wenn Sie mir bitte seinen Namen und die Adresse geben, unter der ich ihn erreichen kann.“
„Sie glauben doch nicht, dass Froschhammer …“ Die Direktorin schien zu überlegen und zuckte dann unentschieden mit den Schultern, was Franziska jedoch kaum noch beachtete.
„Froschhammer“, wiederholte sie tonlos und dachte für einen Moment, der Boden gäbe unter ihren Füßen nach. Soweit sie wusste, gab es nur einen Maler, der Froschhammer hieß. Walter Froschhammer.
„Ja“, bestätigte die Direktorin inzwischen überzeugter und sprach weiter. „Ich suche Ihnen die Adresse heraus, sie muss hier irgendwo stehen.“
Erleichtert registrierte Franziska, dass die Direktorin aufstand, zu ihrem Schreibtisch ging und in einem Adressbuch blätterte. Bestimmt war ihr Gesicht so bleich wie das blutleere Antlitz des Toten! Sie stand auf und ging zum Fenster, als interessierte sie sich urplötzlich für das Altstadt-Panorama, das sich dem Betrachter von hier aus bot.
Dabei schien die Direktorin ihre Nervosität gar nicht zu bemerken. „Hier ist die Adresse, es ist eigentlich ganz einfach zu finden, Sie müssen nur …“
„Kann es denn sein, dass jemand diesen Schlüssel ohne Ihr Wissen nachmachen ließ?“, fiel Franziska ihr ins Wort. Alles, nur nicht Walter, dachte sie und bemerkte selbst, dass sie bereits auf der Suche nach einer Entschuldigung für Walter war.
„Ich wüsste offen gestanden nicht, welchen Grund es dafür geben sollte. Der Raum ist ja normalerweise immer zugänglich.“
„Und seit wann hatte Froschhammer den Schlüssel?“, überging Franziska ihre Erklärung und spürte, wie ihr die Stimme entglitt.
„Seit Freitag.“
Die Kommissarin wandte sich vom Fenster ab. „War Froschhammer heute im Haus?“ Sie hielt die Luft an und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.
„Ja. Das weiß ich zufällig, weil er kurz bei mir vorbeischaute.“ Samantha Halmgaard lächelte, als sei sie mit dem Verlauf des Gespräches sehr zufrieden, während Franziska verzweifelt versuchte, ihre Betroffenheit nicht allzu offensichtlich zu zeigen.
„Und wissen Sie auch noch, wann das war?“
„Es muss so gegen zwei gewesen sein. Er sagte, er wäre mit den Vorarbeiten fertig und fange morgen mit dem Ausmalen an. Wenn ich wollte, könnten wir es uns gemeinsam ansehen. Ich sagte, jetzt wäre es schlecht, aber ich würde es mir auf jeden Fall heute noch anschauen. Dann ist er gegangen.“
„Und wie lange blieb er bei Ihnen?“
„Nicht lange. Er schien es eilig zu haben.“
„Eilig wegzukommen?“
„Also, das ist jetzt nur eine Vermutung von mir, aber ich denke, er hatte noch etwas vor. Er schien irgendwie … aufgeregt zu sein.“
„Hat er Ihnen etwas erzählt?“
Samantha Halmgaard überlegte, schüttelte aber den Kopf und fragte dann mit aufgebrachter Stimme: „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Walter Froschhammer den Mann getötet hat?“
Franziska zuckte die Schultern. Was sie glaubte, war in diesem Fall völlig unwichtig.
„Wir müssen alles in Betracht ziehen“, antwortete sie schließlich. Es war ein Automatismus. Sie hatte diesen Satz schon hunderte Male, in hunderten von Situationen gesagt, aber nie, nie vorher, war er ihr so grausam vorgekommen, wie in diesem Moment.