Читать книгу Eigensinn und Bindung - Daniel Hoffmann G. - Страница 28

„Ganz erfüllt von katholischen Ideen“

Оглавление

War Max Scheler ein katholischer Intellektueller? Er selbst hätte diese Etikettierung für sich vermutlich abgelehnt. In einem Brief an Ernst Troeltsch vom 6. Juli 1917, in dem es um die Frage eines möglichen „katholischen“ Lehrstuhls für ihn geht, distanziert er sich von diesem Gedanken: „Denn ich pflege, wie meine rein philosophischen Bücher klar zeigen, auf schärfste [!] den rein philosophischen und voraussetzungsfreien Standort der Vernunft von dem des Glaubens und Bekennens in meinen methodischen Intentionen und meist schon in der Form meiner Publikationen zu unterscheiden. Ich darf daher freundlich bitten, meine rein philosophischen und meine mehr oder weniger publizistisch gefärbten Veröffentlichungen auch in Lektüre und Aufnahme ebenso scharf zu scheiden, als ich es in der Produktion zu tun pflege.“4

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese strenge Trennung von den Rezipienten seiner Schriften nachvollzogen wurde. Fest steht, dass Scheler während der Kriegsjahre, spätestens ab 1915, nach der Veröffentlichung des Aufsatzes „Soziologische Neuorientierung und die Aufgabe der deutschen Katholiken nach dem Krieg“ in der Zeitschrift „Hochland“ als Exponent des Katholizismus galt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Rolle wurde er von Kölns Bürgermeister Konrad Adenauer 1919 als Direktor an das Institut für Sozialwissenschaften geholt und erhielt endlich seine ersehnte Professur an der jungen Kölner Universität in Philosophie und Soziologie. Wenige Zeit später jedoch schon, um das Jahr 1923, erfolgte der Bruch Max Schelers mit der katholischen Kirche.

Von seinen Kritikern war Scheler immer wieder unterstellt worden, seine Identifikation mit der katholischen Kirche sei nur äußerlich und erfolge aus taktischen Gründen, um eine Professur zu erhalten. Tatsächlich war Max Scheler, obwohl getauft, nur kurze Zeit praktizierender Katholik. Doch schon vorher, so schreibt Edith Stein, die ihn um das Jahr 1910 im Phänomenologenkreis um Husserl in Göttingen kennenlernte, war er „ganz erfüllt (...) von katholischen Ideen“ und verstand es, „mit allem Glanz seines Geistes und seiner Sprachgewalt für sie zu werben (...) Die Schranken der rationalistischen Vorurteile fielen (...) und die Welt des Glaubens stand plötzlich vor mir“.5 Nicht nur Edith Stein, auch andere Personen seines Bekanntenkreises wie seine zweite Frau Märit Furtwängler, Dietrich von Hildebrand, Peter Wust und Otto Klemperer haben durch Scheler den Anstoß bekommen, zum katholischen Glauben zu konvertieren.

Wie ist dies nun vor dem Hintergrund zu verstehen, dass Scheler selbst 1923 behauptete, dass er sich nach den „strengen Maßen der Theologie der römischen Kirche (...) einen ,gläubigen Katholiken‘ zu keiner Zeit seines Lebens und seiner Entwicklung nennen durfte“?6 Sein engster Freund, Dietrich von Hildebrand, urteilte, Scheler sei selbst in seinen gläubigsten Phasen stets ein „Outsider“ geblieben, obwohl das „katholische Gedankengut, soweit es sich auf natürliche Fragen erstreckt“, stets der Angelpunkt seines Lebens und Denkens gewesen sei.7 Diese Befunde müssen vor dem Hintergrund von Schelers Biographie und seiner persönlichen und philosophischen Entwicklungen gelesen werden, stehen aber auch im Zusammenhang der politischen Ereignisse im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts.

Eigensinn und Bindung

Подняться наверх