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Auf dem Weg zu einer tragfähigen Identität der Kultur

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Das bis heute kaum beachtete Frühwerk in Vers und Prosa aus dem Zeitraum von 1895 bis 1924 zeugt zwar bereits vom Interesse der damals noch protestantischen Autorin an der Welt des Katholizismus, aber die Gestalten der Klosterfrauen, der Geistlichen, der von Heirat träumenden Jungfrauen und der wegen nicht erwiderter oder verratener Gefühle verletzten Protagonisten stehen hier durchaus in der neoromantischen Tradition. Während aber bei den meisten Vertretern dieser Strömung solche Figuren nicht unbedingt christliche Bedeutung besaßen, sind sie bei le Fort Träger und Verkünder der christlichen Lehre. Eine Wende, auch im dichterischen Schaffen, wurde bei der jungen Autorin 1907 auf ihrer ersten Romreise eingeleitet, während derer sie zum ersten Mal intensiv mit der katholischen Welt konfrontiert wurde.

Im Jahr 1908 begann Gertrud von le Fort in Heidelberg ihr Studium, das sie später in Marburg und Berlin fortsetzte. Die Auflistung der von ihr im Wintersemester 1910/11 besuchten Vorlesungen zur Theologie, Kirchengeschichte und Kunstgeschichte gibt einen Überblick über die Bereiche, die sie damals besonders faszinierten. Es waren „Glaubenslehre“ und „Geschichte der neueren Philosophie“ bei Ernst Troeltsch, „Von der Antike zum Mittelalter“ bei Hans von Schubert, „Vom Mittelalter zur Neuzeit“ bei Otto Cartellieri, „Richard Wagner“ bei Henry Thode, „Übungen zur politischen und Kulturgeschichte des Mittelalters“ und „Italienische Kulturgeschichte“ bei Eberhard Gothein sowie „Aufklärung und Romantik“ bei Albert Schmid.2 Sie bezeichnete die Heidelberger Jahre später als die „wichtigste und entscheidendste Etappe“3 ihres Lebens. Ihre Auseinandersetzung mit theologischen und philosophischen Fragen war von dem Wunsch getragen, ins Transzendente vorzustoßen. Gertrud von le Fort beschäftigte sich intensiv mit dem deutschen Idealismus sowie der Theologie ihres Professors und zugleich Freundes Ernst Troeltsch (1865 – 1923), weil sie hier einen wesentlichen Ausdruck deutscher Geistigkeit sah, und zwar in ihrer preußischen Form. Später räumte sie ein, es gebe noch andere beispielhaft deutsche Formen und Geistesrichtungen.

Nach dem Tod von Ernst Troeltsch veröffentlichte sie 1925 dessen „Glaubenslehre“. Durch die Arbeit an ihrer Mitschrift seiner Vorlesung erkannte Gertrud von le Fort das volle Ausmaß ihrer Beeinflussung durch diesen protestantischen Theologen, Religions- und Kulturphilosophen. In einem Brief an Karel Groensmit schrieb sie später über ihren „Meister“: „Troeltsch hat mich sehr tief beeinflusst, ohne dass ich mir seine liberale Theorie ganz zu eigen machte, denn ich stamme aus einem positiv-gläubigen protestantischen Elternhause. Aber der Reichtum und der Ernst seines Geistes erschlossen mir die Welt des theologischen Denkens überhaupt, die Welt der christlichen Mystik und der christlichen Philosophie und Ethik – allerdings auch die Welt der religiösen Problematik.“4

Es war durchaus kein einmaliger Einfluss, sondern mag als eine stete Herausforderung bezeichnet werden. Im Programm seiner Kulturtheorie definierte Ernst Troeltsch den Theologiebegriff auf drei Ebenen, und zwar als Verhältnis von überkommenem Christentum und moderner Kultur, Verbindung von Wissenschaft und Religion und als Zusammenhang von christlicher Religion und bürgerlicher Gesellschaft. Im Mittelpunkt der Erwägungen stand die Frage nach der Überwindung des Konflikts zwischen dem modernen Bewusstsein zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dem christlichen Erbe. Angestrebt wurde dabei die Herausarbeitung eines Begriffs der objektiven Realität der Religion durch ihre erneuerte Integration mit Geschichte und Vernunft.5 Diese Überzeugung übernahm Gertrud von le Fort und schilderte in ihrer Dichtung geschichtliche Vorgänge im Sinne eines metaphysischen Werdeprozesses, den das dialektische Prinzip absoluter Wandlungsfähigkeit in allen Lebensbereichen bei gleichzeitiger Wahrung der eigenen Identität auszeichnet. Die produktive Aufnahme der Einsichten von Troeltsch kann bei ihr unter anderem noch durch die Übernahme der historischen, antidogmatischen Methode festgestellt werden.

Die mit 35 nicht mehr ganz junge Studentin lernte kritisch die Bedingungsfaktoren einer Weltordnung und einer zeitgenössischen Konstellation des Christentums zu reflektieren. Ihrem „Meister“ Troeltsch ist es zu verdanken, dass sie sich von der Fiktion einer geschlossenen christlichen Gesellschaft trennte und die Hinwendung zu einer aufgeschlossenen Glaubensgemeinschaft vollzog. Voraussetzung und gleichzeitig Folge der Verbundenheit mit den Gläubigen war ein ausgesprochener Bekenntnisdrang der Dichterin. Sie erhob einen Anspruch auf geistige Erneuerung ihrer selbst und der Menschheit, wobei ihr in dieser Zeit die im mittelalterlichen römisch-katholischen Grundmodell des Christentums verwurzelte Religiosität zu Hilfe kam. Sie fasste diese Überzeugung folgendermaßen zusammen:

„Die große abendländische Kunst wird nie zu lösen sein von der großen christlich-katholischen Dogmatik, ja sie ist in ihren überzeitlichen Erscheinungen geradezu deren stellvertretende Priesterin. (...) Diese Kunst nicht nur ästhetisch, sondern auch religiös befragen, heißt also mit vollem Bewußtsein den Boden der großen katholischen Dogmatik betreten, das überzeitliche, überpersönliche Fundament, auf dem die gesamte Kultur des Abendlandes ruht und dem sie also auch in der Verneinung noch unentrinnbar verhaftet bleibt.“6

Eigensinn und Bindung

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