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Die Bedeutung der Liebe

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Seine Philosophie war von dem Motiv bestimmt, Denken und Leben zu versöhnen, sowie die Eigenart des menschlichen Geistes sowohl hinsichtlich formalistischer Engführungen als auch psychologistischen Reduktionismen gegenüber zu bewahren. Mit Nietzsche, den er intensiv studiert hatte, glaubte Scheler nicht mehr, dass Rationalität sich rein aus sich selbst begründen könne, ohne in letzter Instanz irrational zu werden. Daher wollte er durch den Aufweis der Aporien einer rationalistischen Ethik die Inadäquatheit des zugrunde liegenden Konzepts menschlicher Rationalität zeigen. Es ging ihm um einen Vernunftbegriff, der alle ethischen Phänomene integrieren kann, ohne seine Rationalität um scheinbar notwendig a-rationale Lücken herum aufzubauen. Dass sowohl der Psychologismus als auch der Rationalismus Grundprobleme der Ethik nicht befriedigend lösen können, lag in Schelers Perspektive daran, dass sie die emotional-werthaften Phänomene menschlichen Erlebens nicht richtig integrieren.

Indem Scheler in späteren Schriften den Kern des Geistes als Liebe qualifizierte, erschien das Problem der Integration emotional-werthafter Konstituentien konzeptionell lösbar: Liebe ist ein Anderes als Erkennen, aber sie ist gleichzeitig auf das Erkennen bezogen, ja sogar die Bedingung der Möglichkeit einer wahrhaft objektiv sachbezogenen Stellung zur Welt überhaupt. Die heimliche Quelle der Achtung der Vernunft ist für Scheler die Fundierung des Verstehens in einer ethischen Stellungnahme. Sie beruht für ihn auf der untergründigen, stillschweigenden Voraussetzung, dass der wahren Ansicht der Dinge die respektvolle Erfassung des ihnen von sich selbst her zukommenden, auf sie selbst verweisenden Wertes vorhergehen muss.

Auch anthropologisch schrieb Scheler der Liebe zentrale Bedeutung zu. An die Stelle der Selbstinterpretation des Menschen als animal rationale, als durch rationale Reflexion spezifiziertes Lebewesen, trat seine Deutung als ens amans, als Wesen, das durch die Fähigkeit zu einer ethisch-liebenden Einstellung gekennzeichnet ist.

Scheler sah den Geist in der affektiv-ethischen Befähigung des Menschen fundiert, das Seiende distanziert in seinem Selbstwert und nicht nur unter der Rücksicht eines bestimmten Interesses wahrzunehmen. Für ihn konstituierte sich dadurch eine innere Würde der Vernunft.

Von daher war er bestrebt, den Begriff der Person von einem rein rationalen Begründungszusammenhang abzukoppeln und auf der Ebene ethischer Vollzüge zu verankern. Dazu bedurfte es eines integrativen Konzepts geistiger Fähigkeiten des Menschen, in dem auch außervernünftige Faktoren, wie z. B. Gefühle, ihr kognitives Recht erhalten, das aber nicht in Psychologie oder Biologie aufgeht.

Ein solches Konzept zu entwerfen war ein Grundanliegen von Schelers Philosophie, und hier traf er sich auf organische Weise mit dem von Hildebrand beschriebenen echt katholischen Gedankengut. „Es geht in keiner Weise an, das alles als ,Katholisieren‘ zu bezeichnen, als bloß gelegentliches Kreuzen mit katholischen Gedankengängen.“9 Für ihn und viele andere stellte Schelers Philosophie eine Wiedereroberung und Neugewinnung katholischer Glaubensinhalte dar, indem er zentrale Punkte der klassischen christlichen Ethik zum ersten Mal ausdrücklich philosophisch fasste. „Dinge, die für die aszetisch-mystische Literatur unserer heiligen Kirche längst selbstverständlich sind, denen man aber doch nie philosophisch ganz gerecht wurde.“10

Eigensinn und Bindung

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