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Private Turbulenzen

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Zurück zu Schelers weiterem Werdegang: Nach den ersten Veröffentlichungen begann er sich in Jena zu etablieren, und die von ihm angestrebte akademische Karriere schien so gesichert, dass er 1899 die nunmehr geschiedene Amélie heiratete. Kurz danach begann die Krise. Mindestens ein Sohn, vielleicht aber auch zwei Kinder aus dieser Ehe starben sehr früh, bevor 1905 der Sohn Wolfgang Heinrich geboren wurde. 1922 schrieb Amélie Dewitz-Krebs an Schelers zweite Frau, Märit Furtwängler, die die Kinder, die sie sich mit Scheler gewünscht hatte, nicht bekommen konnte: „Wie gut, daß nicht meine zwei anderen Kinder, die ich mit meinem Manne hatte, leben, wie gut, daß Sie keine Kinder haben, da ihr Gatte Lärm und sonstige Störungen, wie sie auch die besten Kinder mit sich bringen, nicht ertragen kann.“11

Vermutlich nicht zuletzt durch den Verlust zweier Kinder war das Nervenkostüm Amélies in der Jenaer Zeit zerrüttet bis zur Hysterie. Schließlich rief sie aus Eifersucht einen Eklat hervor, als sie die Frau des Verlegers Diederichs, die sie verdächtigte, ein Verhältnis mit ihrem Mann zu haben, auf einem Gesellschaftsabend öffentlich ohrfeigte. Amélie kam in psychiatrische Behandlung, und Scheler ließ sich mitten im Wintersemester 1905/06 zur Regelung seiner persönlichen Angelegenheiten für ein Jahr beurlauben. Er knüpfte Kontakte nach München, und es gelang ihm, eine Umhabilitation zu erreichen. Amélie folgte Scheler mit dem Sohn nach München, doch eine Versöhnung scheiterte. 1907 reichte Scheler erstmals die Scheidung ein, zog sie aufgrund des angegriffenen Gesundheitszustandes seiner Frau aber wieder zurück. Ab 1908 lebte das Ehepaar getrennt.

In München vollzog sich Schelers Wandlung zum Phänomenologen. Scheler selbst nennt zwar als ausschlaggebend für seinen Weg in die Phänomenolgie seine erste Begegnung mit Husserl 1902 in Halle. Einflussreicher war aber wohl eher der Kontakt zu einem Schülerkreis von Theodor Lipps, der eine relativ eigenständige, eher gegenstandsorientierte Form der Phänomenologie entwickelte, später als „Münchener Phänomenologie“ bezeichnet.

Kaum hatte Scheler sich in München eingelebt, folgte die nächste Krise: 1908 wurde er Opfer einer Pressekampagne, die von Amélie und ihrer Mutter ausgelöst wurde. Amélie behauptete, er habe eine Frau in seiner Begleitung bei einem Kuraufenthalt als seine Ehefrau ausgegeben und er habe sich von einem Studenten Geld geliehen. Diese Vorwürfe wurden in der Presse aufgebauscht und als unvereinbar mit der Würde eines Professors dargestellt. Sie entbehrten zwar größtenteils der Grundlage, führten aber dennoch zum gesellschaftlichen Ruin. Mit der Absicht, sich in einem Prozess zu rehabilitieren, bat Scheler den Senat der Münchener Universität um Enthebung von seiner Stelle, um die Universität nicht mit hineinzuziehen. Er bekam diese Enthebung mit der Zusage, dass sie nach dem Prozess zurückgenommen werde.

In der Zwischenzeit hatte er aber seine neue Liebe Märit Furtwängler kennengelernt, deren Mutter das Verhältnis zu dem 17 Jahre älteren Mann sehr missbilligte. Um die in München sehr bekannte Familie Furtwängler nicht zu kompromittieren, verzichtete Scheler auf den Prozess. Die diffamierenden Behauptungen blieben in der Welt, und die Aufhebung der Venia legendi wurde nicht zurückgenommen. Nach seiner Heirat mit Märit 1912, die ihre hohe Mitgift Schelers erster Frau als Preis für die Einwilligung in die Scheidung überlassen musste, stand Scheler völlig mittellos da. Doch obwohl ihm nun der Weg einer akademischen Karriere verbaut schien, folgte eine sehr produktive Zeit. Er begann 1913 die Veröffentlichung seines Hauptwerks, der Ethik, wurde Mitherausgeber des von Husserl gegründeten „Jahrbuchs für Philosophie und Phänomenologische Forschung“, veröffentlichte Studien zum Sympathiegefühl, zum Ressentiment und andere Aufsätze.

Eigensinn und Bindung

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