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Frühe Erfahrungen

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Max Scheler stammte nicht aus einem katholischen Elternhaus, sondern besaß eine gemischt konfessionelle Herkunft. Er wurde am 22. August 1874 in München geboren. Sein Vater Gottlieb (1831 – 1900) war evangelisch, seine Mutter Sofie (1844 – 1915) orthodox jüdisch. Sie stammte aus der in München alteingesessenen jüdischen Familie Fürther. Auf ihr Drängen gab der als charakterschwach geschilderte Vater seine Stelle als Gutsverwalter auf Gut Hörlasreuth bei Bayreuth auf, um in die bayerische Hauptstadt zu ziehen. Dort wurde Max streng orthodox erzogen, im Sinne seines reichen Onkels Hermann Fürther, dessen Erbe er nach dem Willen seiner Mutter antreten sollte. Sie soll eine sehr schöne, aber auch strenge und gefühlskalte Frau gewesen sein.

Claire Goll, die Cousine Schelers, schildert in ihren autobiographischen Texten „Der gestohlene Himmel“ und „Ich verzeihe keinem“ das Familienklima der Fürthers als dominiert von Angst. Die kleinste Kleinigkeit genügte, um übermäßigen Strafen ausgesetzt zu werden. Sie berichtet von einer krankhaften Versessenheit ihrer Mutter auf körperliche Misshandlungen, was von der Familie gebilligt wurde. Sie selbst entfloh dieser Familie so bald wie möglich durch eine frühe Heirat.

Von Max Scheler weiß man, dass er als verwöhnter Sohn und Erbe erzogen wurde. Seiner von ihm heiß geliebten jüngeren Schwester Hermine jedoch stand seine Mutter abweisend gegenüber: Aufgrund der Familiengeschichte ist es gut möglich, dass sie eine ähnliche Kindheit zu erdulden hatte wie Claire Goll. Mit sechzehn Jahren nahm sie sich 1903 zusammen mit ihrem Verlobten das Leben. Wenngleich Scheler selbst wohl keinen Misshandlungen ausgesetzt war, so gibt es doch eine Art Missbrauch, der in der Luft liegt, der ihm sicher nicht entgangen ist, dem er aber als Kind wohl hilflos gegenüber stand. Die Schuld- und Unwertgefühle, die Scheler sein Leben lang verfolgten, deuten darauf hin. Dies könnte jedenfalls eine Erklärung für Schelers frühe Abwendung von seiner Mutter und seiner Familie und der in ihr praktizierten Religion bilden.

Offiziell wurde Scheler erst 1899 katholisch getauft, stand dem katholischen Glauben, der in seiner barocken bayerischen Ausprägung im damaligen München allgegenwärtig war, jedoch schon seit seiner Schulzeit nahe. Angeblich waren es Erfahrungen mit Maiandachten, in die ihn Dienstmädchen als Junge mitgenommen hatten, und das dort empfundene warme Gemeinschaftsgefühl, das ihn am katholischen Glaubensleben faszinierte. Dies mochte ihn vor dem Hintergrund der kühlen Familienatmosphäre besonders angezogen haben.

Er galt als begabter, aber fauler Schüler und schaffte mit Mühe 1894 das Abitur am Münchener Ludwigsgymnasium. Kurz danach lernte er auf einer Reise nach Tirol seine spätere Frau kennen, Amélie von Dewitz-Krebs. Sie war sieben Jahre älter als er, hatte eine siebenjährige Tochter und lebte schon längere Zeit von ihrem Mann getrennt. So studierte Scheler zwei Semester Medizin in München, folgte dann aber Amélie 1895 nach Berlin. Dort belegte er hauptsächlich Kurse bei Wilhelm Dilthey und Georg Simmel. Die Idee, Medizin zu studieren, entstammte wohl einem echten Interesse: Er befasste sich sein ganzes Leben lang vor allem mit Fragen der Psychopathologie, kannte viele Mediziner und Naturwissenschaftler persönlich und war gut über den Stand der biologischen und physikalischen Forschung seiner Zeit informiert.

1896 verließ Scheler Berlin, um in Jena bei Rudolf Eucken Philosophie zu studieren.8 Hier erfolgte eine erste produktive Phase seines philosophischen Schaffens. 1899 erschien in der „Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik“ (Bd. 11, 4/2) Schelers erste selbstständige Veröffentlichung, der Aufsatz „Arbeit und Ethik“. 1899 wurde seine Dissertation „Beiträge zur Feststellung der Beziehungen zwischen den logischen und ethischen Prinzipien“ veröffentlicht, 1900 seine Habilitationsschrift „Die transzendentale und psychologische Methode“. Zentrale Problemkreise der Philosophie Schelers, die dazu führten, dass seine in der frühen Jugend begonnene Annäherung an die katholische Kirche für etliche Jahre mit seiner philosophischen Entwicklung zusammenfloss, lassen sich bis in diese Phase der Frühschriften zurückverfolgen.

Eigensinn und Bindung

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