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Grundzüge der mittleren Schaffensperiode

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Ihre mittlere Schaffensperiode begann 1924 mit der Veröffentlichung der „Hymnen an die Kirche“, mit denen Gertrud von le Fort den Anschluss an die vielfältige geistige Regsamkeit des katholischen Deutschland der 1920er-Jahre herstellt. Seit dieser Zeit kann ihre Dichtung im Vollsinne als „geistlich“ bezeichnet werden. Die Stoffe greifen auf „kirchliches Überlieferungs- und Lehrgut“ zurück7 und ihre Wirkung bewegt sich vornehmlich innerhalb des katholischen Binnenraums. Die „Hymnen an die Kirche“ kennzeichnen eindeutig den intellektuellen und dichterischen Weg Gertrud von le Forts. Einerseits stand sie unter dem Einfluss des französischen „renouveau catholique“ und des literarischen Erneuerungsprogramms von Karl Muth, andererseits war sie berührt vom Kunststreben des christlich orientierten Expressionismus. Sie stand jedoch jenseits der prinzipiellen Auseinandersetzung, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts die katholische Literatur beherrschte. Das Postulat der Schaffung einer katholischen Literatur wird bei ihr zunehmend zu der Frage nach der Möglichkeit einer christlichen Literatur überhaupt. Ein charakteristisches Merkmal der Hymnen ist deren Bildlichkeit, welche die Dichterin größtenteils aus der Poesie ihrer romantischen Vorgänger Joseph von Eichendorff und Clemens Brentano übernahm. Durch die „Romantisierung“ der kirchlichen Wirklichkeit, die Poetisierung des liturgischen Kirchenjahres und die Metaphorisierung des Wahrnehmbaren an der kirchlichen Institution erzielte sie eine bedeutsame Wirkung.

Wenn Gertrud von le Fort, die im Jahre 1926 zum Katholizismus konvertierte, an eine moralische Erneuerung der Gesellschaft dachte, beinhaltete dies für sie ein religiöses Moment, orientiert vor allem an der Lehre der katholischen Kirche. Das kirchliche Selbstverständnis ist in ihren Werken aus der mittleren Schaffensperiode mit theologischer Reflexion verbunden. Der Pluralisierung von Formen christlicher Religiosität entspricht hier die Ausdifferenzierung der le Fortschen Figuren und die Nachgestaltung herkömmlicher christlicher Literaturformen wie Predigt, Katechismus und Kirchenlied. Dass sowohl das lyrische Ich in den „Hymnen an die Kirche“ als auch die Hauptfigur des Romans „Das Schweißtuch der Veronika“ (1928) ein so ausgeprägtes katholisches Sendungsbewusstsein entwickeln, scheint für die geistige Position der Dichterin in den 1920er-Jahren bezeichnend zu sein. Obwohl sich die Autorin von Weihrauch und vom Klang der Kirchenglocken gefangen nehmen ließ, handelt es sich bei ihrer Dichtung jedoch nicht um kirchliche Propaganda. Kennzeichnend für ihre mittlere Schaffensperiode bleibt aber, dass immer dort, wo christliche Ideen und Tendenzen in die le Fortsche Dichtung einflossen, sowohl die Kirche als Trägerin des Glaubens wie auch deren geistliche Repräsentanten hervorgehoben wurden. In der Dichtung aus Gertrud von le Forts mittlerer Schaffensperiode erfuhr ihre „Katholisierung“ der Sprache einen Höhepunkt. In den „Hymnen an die Kirche“ erfolgte diese durch das Hereinnehmen geschlossener Wortfolgen aus der Liturgie und durch die metaphorische Symbolik. Das le Fortsche Verständnis der Apostolizität der katholischen Kirche begrenzte sich dabei nicht ausschließlich auf die Treue gegenüber der Lehre der Apostel und der Tradition, sondern umfasste auch solche Aspekte wie den Blick auf die Eschatologie, wie die kirchliche Identität, die sich an der Teilnahme am sakramentalen Leben manifestiert, und wie das Hineinwachsen in die Gemeinschaft der Gläubigen.

Gertrud von le Fort fühlte sich in ihrem Katholizismus durch die religiöse Situation ihrer Zeit bestärkt und hat sowohl mit ihrer Prosa als auch mit ihrem essayistischen Werk an den Bemühungen um ein neues Verständnis der christlichen Dichtung großen Anteil. Nicht zuletzt wird dies auch in ihren Rezensionen und ihrer Korrespondenz sichtbar. Die Frage nach dem genauen Standort der Autorin innerhalb der katholischen Erneuerungsbewegung der Zwischenkriegsjahre beantwortet zu einem gewissen Teil eine Betrachtung der Periodika, in denen ihre Arbeiten veröffentlicht wurden. Während dieser Zeit veröffentlichte sie ihre Arbeiten unter anderem in den Zeitschriften „Christliche Welt“, „Brenner“ und „Heiliges Feuer“. Insbesondere jedoch war sie in den 1920er- und 30er-Jahren mit der Zeitschrift „Hochland“ durch die Unbedingtheit des Glaubensmomentes und durch die existentielle Grundausrichtung geistig verbunden. Das von Karl Muth dort entworfene Programm der Wiedergeburt der Dichtung aus dem religiösen Erlebnis machte Gertrud von le Fort zu ihrer dichterischen Motivation.

Ein Grund dafür liegt wohl in der von ihr als vorbildlich empfundenen religiösen Dichtung Eichendorffs, welche der Dichterin selbst zufolge den Ausgangspunkt ihres eigenen Schaffens bildete. Gemeint ist hiermit das Bild eines Dichters, der größte poetische Kraft mit tiefster Religiosität in sich vereinigt. Die Sprache steht im Dienste der Begegnung von Literatur und Religion: Weniger als künstlerischer Selbstzweck wird sie verstanden, vielmehr eher als ein Mittel, das zur möglichst breiten Erreichung des von der Autorin für die Dichtung postulierten Ziels beitragen soll. Gertrud von le Fort wollte zeigen, dass die eigentliche Aufgabe der Dichtung darin besteht, das menschliche Leben transparent werden zu lassen. Die Überlebensmöglichkeit christlicher Literatur aus katholischem Geist liegt nach ihrer Überzeugung darin, „christlich“ und „katholisch“ nicht ausschließlich als „kirchlich“ zu begreifen, sowie in einem universalen Verständnis von Katholizität.

Aus dem moralischen Sendungsbewusstsein der Dichterin ergeben sich ihre ethischen Vorstellungen von Wesen und Aufgabe der christlich-katholischen Literatur. Mit Karl Muth betonte sie die Notwendigkeit der dichterischen Reflexion auf die Hauptaussagen des Christentums als Voraussetzung aller Kunst, mit ihm bleibt sie in ihren ästhetischen Vorstellungen letztlich auch der Klassik und Romantik verbunden. Ihr eigenes Werk seit den „Hymnen an die Kirche“ ist eine gelungene Verbindung von Glaube und Dichtung. In jeder Novelle und in jedem Roman sind Inszenierungen der unterschiedlichsten Formen individueller Religiosität in ihrem Verhältnis zur Institution der Kirche und ihren Vertretern zu finden. Wie bei den französischen Autoren des „renouveau catholique“ nicht primär das literarische Problem einer konfessionellen Dichtung, sondern vor allem die generelle Bemühung um ein modernes, christliches Selbstverständnis eine Gemeinsamkeit begründet, so ist der Zusammenhang zwischen der Dichtung le Forts und der französischen katholischen Dichtung in erster Linie in der Revision aller Grundbegriffe des Lebens gegenüber einem neuen Existenzbewusstsein zu sehen. Ihre bekannteste Novelle, „Die Letzte am Schafott“ (1931) – die nach dem Zweiten Weltkrieg Georges Bernanos zur Vorlage eines Film- und Bühnenszenariums sowie Francis Poulenc zu der eines Opernlibrettos diente –, eine frühe Gestaltung existenzieller Weltangst und ihrer christlichen Überwindung, verweist zugleich auf die Modernität dieser um die Transparenz „ewiger Ordnungen“ bemühten Kunst.

Mit ihrer nach 1924 geschaffenen Prosa erweist sich Gertrud von le Fort als Repräsentantin eines deutschen Katholizismus, die selbstbewusst die kulturelle Anerkennung ihrer neuen Konfession verlangte, ohne diese jedoch über andere Bekenntnisse zu erhöhen. Dies wird insbesondere aus dem Roman „Die Magdeburgische Hochzeit“ (1938) ersichtlich, in dem die Dichterin unter anderem die Auseinandersetzung von Katholiken und Protestanten im 17. Jahrhundert thematisierte, oder aus dem Roman „Der Papst aus dem Ghetto“ (1930), in dem es um das Verhältnis von Judentum und Christentum geht. Zwar war die Dichterin in dieser Zeit noch unerbittlich in der Behauptung, dass nur die katholische Kirche die unverfälschte christliche Wahrheit besitze, trotzdem erkannte sie die Bemühungen anderer Konfessionen an, Leben und Moral der Gläubigen zu stärken.

Von besonderem Einfluss auf ihren Schaffensweg sollte sich für Gertrud von le Fort die Bekanntschaft mit dem Jesuiten Erich Przywara (1889 – 1972) erweisen, den sie 1923 – nach anderer Quelle 19258 – kennenlernte. Przywara, der in seinen Schriften das Erbgut der Kirchenväter und der Mystiker neu durchdachte und in einer neuen Form darbot, verband spekulative Kraft, innig-mystische Frömmigkeit und romantische Lebendigkeit zu einer originalen Synthese. Unter anderem ihm verdankte die Dichterin, dass ihre Dichtung einen „betenden“ und „meditativen“ Charakter hat. Zudem trug er wesentlich zur Würdigung und Verbreitung ihrer Werke bei und unterstützte ihre thematische Auseinandersetzung mit dem Heiligen Römischen Reich. Dem Jesuiten verdankt Gertrud von le Fort auch die sich zu einer Freundschaft entwickelnde Bekanntschaft mit der Philosophin und späteren Karmelitin Edith Stein (1891 – 1942), welche für beide Frauen prägend gewesen zu sein scheint. Gertrud von le Fort erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit ihr 1932 in München mit den folgenden Worten:

„Ich lernte Edith Stein durch die Vermittlung des hochwürdigen Paters Erich Przywara kennen. (...) Wir trafen uns in München und diese Begegnung hinterließ bei mir den tiefsten Eindruck, der sowohl die Frömmigkeit, die bezaubernde Schlichtheit und Bescheidenheit als die hohe geistige Begabung der damaligen Dozentin von Münster betraf. Diese Eindrücke waren so tief, daß sie mein Buch ,Die Ewige Frau‘ wesentlich beeinflußt hat, d. h. nicht durch Mitarbeit vonseiten Edith Steins, sondern durch innerliche auf jene Begegnung zurückgehend. (...) Ich rief mir bei der Arbeit oftmals Edith Steins geistiges Bild zurück als solches, wie es nur bei meiner Darstellung einer wahrhaft christlichen Frau vorgeschwebt hatte.“9

Die Bekanntschaft mit Gertrud von le Fort hat auch bei Edith Stein tiefe Spuren hinterlassen. Ein Jahr vor ihrem Eintritt ins Kloster schlug sie Sr. Callista Kopf vor, im Deutschunterricht unter anderem Werke von le Fort durchzunehmen: den historisch-legendenhaften Roman „Der Papst aus dem Ghetto“ und den in der Gegenwart spielenden Erziehungsroman „Das Schweißtuch der Veronika“.10 Die wohl größte geistige Gemeinsamkeit zwischen beiden Frauen bestand in der Tatsache, dass sie Richtschnur und Auftrag für ihre Arbeit aus der Bibel empfangen haben. Wilhelm Grenzmann hebt bei Gertrud von le Fort die drei Motivkreise Kirche, Reich (das sacrum imperium des Mittelalters) und Frau hervor.11 Diese sind auch Edith Stein sehr wichtig gewesen. Die Motivkreise sind bei Gertrud von le Fort nicht als chronologische Abfolge zu sehen, sondern bilden eine ineinander verschlungene Thematik, welche die Dichterin ihr Leben lang begleitete.

Ihre Werke artikulieren einige wesentliche Aspekte des weiblichen Erfahrungsbereiches und geben eine klare Vorstellung dessen, was sie damit anstrebte. Das von ihr gezeichnete „neue“ Frauenbild war tatsächlich nicht radikal neu. Es ist eher als eine Neuakzentuierung zu interpretieren gegenüber dem Frauenbild der Moderne im Allgemeinen und dem Bild der „Neuen Frau“ der Weimarer Republik im Besonderen. Das Leben in den 1920er-Jahren wurde von dem Modell der Frau beherrscht, die ihre Selbstständigkeit anstrebte, das Recht auf freie Sexualität proklamierte und sich durch wissenschaftlichen Ehrgeiz auszeichnete.12 Auch wenn Gertrud von le Fort gewisse Veränderungen befürwortete, blieben ihre Auffassungen zum Wesen und zur Rolle der Frau dennoch traditionell geprägt. Die Situation zwischen Mann und Frau war bei ihr eine grundlegend andere als bei den modernen und gern gelesenen Autorinnen der Weimarer Republik. Nicht die einseitige Sehnsucht nach Emanzipation, sondern nach der Anerkennung der Gleichwertigkeit bestimmt hier das Verhältnis der Geschlechter. Sie beabsichtigte mit ihren Werken keine moralische Revolution. Sie betonte andere Kräfte, wie etwa die Liebesfähigkeit, und stellte diese in ihrem Frauenbild heraus. Diese im Vergleich zu dem Frauenbild der 1920er-Jahre auf den ersten Blick „regressive“ Festlegung der Frau auf ihre gefühlsmäßige und „liebende“ Natur schließt Fragen nach dem Wesen und Wert der Frau nicht aus. Ganz im Gegenteil: Die le Fortsche Suche nach einer wahren Menschlichkeit der Frau brachte im Endeffekt deren Darstellung als vollwertiges Wesen, dem mit seiner Kraft zur Verzeihung und zur Gewaltlosigkeit gleichsam eine Erlöserrolle zugeschrieben wird. Ihre Protagonistinnen sind meist starke Gestalten, die mit viel Energie ihre Selbstverwirklichung anstreben. Sie können jedoch trotz ihrer Fähigkeit, progressive und traditionelle Aspekte im Leben zu integrieren, nicht als „Superfrauen“ bezeichnet werden. Ganz gewiss jedoch kritisieren sie das Konzept einer aggressiven, „einseitigen und übersteigerten Männlichkeit“.

Eigensinn und Bindung

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