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Theodor Haecker (1879 – 1945) Theodor Haecker
Christliche Existenz im totalitären Staat Hildegard K. Vieregg
ОглавлениеAm 11. Februar 2000 übersandte mir Gerhard Schreiber, der Ur-Enkel des Verlagsgründers Ferdinand Jakob Schreiber, zudem Gründer des J. F.-Schreiber-Museums in Esslingen, eine Einladung zum Nachmittagstee für den 28. April. Anlass war die Verleihung des Theodor-Haecker-Preises 2000 „für politischen Mut und Aufrichtigkeit“ an Sinaida Gontschar, die für ihren seit Monaten verschwundenen Mann, den Reform- und Oppositionspolitiker gegen die Lukaschenko-Diktatur in Weißrussland, die Auszeichnung im Sinne des Namensgebers entgegennehmen sollte.
Gerhard Schreiber, dessen Großvater wohl als Erster die Begabung Haeckers erkannt hatte, ist auch selbst ein wichtiger Zeitzeuge zu Leben und Überzeugungen Theodor Haeckers.
In Esslingen, der eigentlichen Heimatstadt Theodor Haeckers (geboren 1879 in Eberbach am Neckar), wo er von 1894 bis 1901 eine Kaufmannslehre machte, ahnte damals wohl niemand, dass er die Existenzialphilosophie des 20. Jahrhunderts entscheidend beeinflussen sollte. Theodor Haecker, der „Einzelgänger“ (Otl Aicher), zählt heute zu den bedeutendsten christlichen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts und konnte zu einer Leitfigur der Kulturkritik und christlichen Kulturphilosophie avancieren.
Der junge diplomierte Buchdrucker und Verlagsbuchhändler Gerhard Schreiber (1922 – 2007) wurde stark geprägt durch Theodor Haecker, der den Lebensunterhalt für sich und seine Familie vierzig Jahre lang als Mitarbeiter in der Münchener Niederlassung des Schreiber-Verlages verdiente und ab 1941, nach dem Tode des Großvaters Schreibers, hauptverantwortlich für den Verlag war.
In dem Brief zur Tee-Einladung steht zu lesen:
„Als Theodor Haecker nicht mehr öffentlich auftreten durfte, wurde der Haecker-Kreis für ihn immer wichtiger. Von den treuen Freunden, die sich um ihn zusammenfanden, hatte ich zu einigen ganz besonders enge Kontakte. Ich denke dabei vor allem an Dr. Stefl von der Bayerischen Staatsbibliothek, an Dr. Wild, den Verleger des Kösel-Verlages, an Professor Seewald mit seiner Frau und Professor Heinrich vom Wilhelmsgymnasium.
Ein Gegenstand spielte bei diesen Treffen immer eine große Rolle, nämlich eine große schwarze Teekanne, die an Silvester auch heißen Punsch von sich gab – bis spät in den neuen Morgen. Diese Kanne gibt es noch.
Meine Frau und ich freuen uns sehr, wenn Sie am Freitag 28. April 2000 um 16.00 Uhr zu uns in den Hölderlinweg 146 kommen, um Form und Inhalt der Kanne zu prüfen und dabei die Tradition eines guten Gesprächs fortzusetzen.“
Das war ganz im Sinne Theodor Haeckers.
Eine zweite Persönlichkeit, die als lebenslange Zeitzeugin für Werk und Wirken Theodor Haeckers steht, ist seine Tochter Irene (1921 – 2000). Sie gab den wohl charakteristischsten Gegenstand aus der Lebenswelt Theodor Haeckers weiter – seinen blau-grau-schwarz-melierten Füllfederhalter mit der Goldfeder –, als Zeugnis dafür, dass damit die schwere Zeit des Nationalsozialismus in den „Schreibenächten“ durchstanden wurde. Theodor Haecker arbeitete tags im Schreiber-Verlag und nachts geheim in seiner Wohnung im obersten Stockwerk des Verlagsgebäudes. Nach dem Tod seiner Frau im Jahre 1935 lebte er hier mit seinen drei Kindern. Das erklärt auch die Vertrautheit der Tochter mit dem Werk ihres Vaters und dessen ausgewähltem Freundeskreis.
Die wohl bekanntesten Werke in seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus sind „Vergil – Vater des Abendlandes“ (1931, rev. 1933) und die „Tag- und Nachtbücher 1939 – 1945“. Letztere beanspruchten seine Nächte – doch er schien sie nicht zu zählen: „Die wievielte Schreibenacht ist heute? Ich weiß es nicht. Ich habe sie nie gezählt. Sie waren das Glück meines Lebens. Und doch habe ich mich in jeder Nacht gegen ihre Mühen gewehrt, ehe ihr Glück mich überwältigte.“1
Es fällt schwer, Theodor Haecker, dem Kulturphilosophen, einem der bedeutendsten Kulturkritiker der Weimarer Republik, dem Schriftsteller, Übersetzer wegweisender Werke, dem christlichen Philosophen, dem Denker und Visionär gerecht zu werden, repräsentiert er doch als Intellektueller in ganz charakteristischer Weise den christlichen Existenzialismus2 in einer das Christentum gefährdenden Zeit.
Otl Aicher, ein weiterer Zeitzeuge,3 beschreibt in seinem 1985 erschienenen Buch „innenseiten des kriegs“ die Persönlichkeit Haeckers aus seiner Sicht:
„ich lernte theodor haecker kennen, läutete in der möhlstraße in münchen. er hatte einen etwas kantigen, schwäbischen kopf mit hellen augen und einem wäßrigen fernen blick. der mund war gepreßt, die kleine nase offenbar durch eine verletzung etwas seitlich eingedrückt. er ging schlecht, stützte sich immer auf und sprach wenig. er war zugemauert wie eine festung, von der man nicht wußte, gegen wen sie gebaut worden war. was er sagte, hatte er vorher dreimal durchdacht. so schrieb er auch. langsam. immer denkend. lachen konnte er nicht mehr, er lächelte nur, dann aber strahlend, mit genuß, nach innen. im innern dieser festung mußte es kämpfe gegeben haben. er konnte sarkastisch werden. da gab es ein arsenal von waffen. bissige satire, tötende ironie, verletzenden spott. er kämpfte mit aller kraft gegen ein falsches denken, das falsche denken bei andern, das falsche denken bei sich selbst.“4