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Vergil – Vater des Abendlandes
Оглавление„Ich muß ein Wort verlieren – möge es nicht verloren sein!“ – so beginnt Haecker das neunte Kapitel seines Buches „Vergil. Vater des Abendlandes“ zum Thema „Vergil und die Deutschen“. Er verweist dabei auf den großen Verlust des Vergil’schen Gedankengutes, das noch jedem „guten Europäer“ bis ins 18. Jahrhundert hinein geläufig war. Nun aber sei „das Auge des Deutschen (...) krank und schielend geworden“.19
Bernhard Hanssler zeichnete in seinem Vortrag „Vergil und das Abendland“ anlässlich einer Haecker-Tagung in Stuttgart-Hohenheim ein praxisnäheres Bild von den Hirten, Bauern und Herrschergestalten des Vergil’schen Werkes: „Aeneas rettet sich aus dem brennenden Troja. Schon diese Szene ist das verdichtete Bild der ganzen Darstellung: Aus dem Feuer der Geschichte retten sich die Handelnden, indem sie die Vergangenheit teils zurücklassen, teils mitnehmen, vor allem aber die Möglichkeiten der Zukunft in Sicherheit bringen im Geleit der göttlichen Mächte.“20
Haeckers Buch war zum zweitausendsten Geburtstag Vergils erschienen. Er vertritt darin das Maß einer christlichen Daseinsordnung als Erbe der Griechen. Otl Aicher nennt diese Publikation ein „fast theologisches buch“, „eine auseinandersetzung mit der philosophie der zeit“, aber vor allem auch ein „politisches buch (...) – eine zornige, prophetische abrechnung mit den neuen herren, ihren wegbereitern und epigonen. gewiß, geschrieben in einer verschlüsselten sprache, aber wer sie lesen konnte, behielt das buch in seiner rocktasche.“21
Haecker und das Christentum waren eins, seine Philosophie und das Christentum sind ohne einander nicht zu denken.
Als Beispiele für die geistige Gegnerschaft Haeckers zum Nationalsozialismus mögen etwa die Kommentare über Symbole des NS-Staates dienen, die dem Christentum und seiner humanitären Philosophie auf extreme Weise widersprechen, wie beispielsweise das Hakenkreuz. Dieses entlarvte er als Zeichen des Antichrist und „objektiven Schwindels, bei dem nicht einmal die [politische] Bewegungsrichtung festliege“, als „die letzte deutsche Schmach dieser Tage: das Zeichen des Tieres, die Karikatur des Kreuzes“,22 und reihte es ein in das „vergängliche Gewalttätige“. Am Ende des Epilogs seines Werkes geht er ein auf die „populäre Meinung des Mittelalters, daß Vergil ein Prophet und Magier war. Seine einzelnen Worte und Sätze (...) geben (...) Ausdruck dem Leid und der Schwermut, aber auch wieder der Hoffnung auf bessere Tage ...“.23 Auch Haecker war ein Visionär, der das nahende Unheil durchschaute.
Haeckers „Vergil“ wurde von Zeitgenossen in seinem Sinne rezipiert. So hatte sich Willi Graf, später Mitglied der Kerngruppe der „Weißen Rose“, angeregt durch den mit Haecker zusammenarbeitenden Philosophie- und Theologiestudenten Aloys Goergen – später Professor für Philosophie der Ästhetik an der Münchener Akademie der Bildenden Künste und Professor für Liturgiewissenschaft an der Universität Bamberg –, schon in den Dreißigerjahren mit den Schriften Haeckers, insbesondere mit dem „Vergil“ beschäftigt.
In dem Essay „Der Begriff der Wahrheit bei Sören Kierkegaard“, aus dem Karl Muth 1933 im „Hochland“ Auszüge veröffentlichte, befasst Haecker sich mit dem nahenden Unheil. Auch in einem Vortrag zum Thema „Das Chaos der Zeit“ vor dem Verband katholischer Akademiker im Auditorium Maximum der Münchener Universität am 17. November 1933 brachte Haecker wiederum seine Angriffe auf den Nationalsozialismus zum Ausdruck.
Im Dezember 1932 kam die Zeitschrift „Brenner“ mit einem auffallenden Streifband ins Weihnachtsgeschäft, zusätzlich wurden einhundertsiebzig Frei- und Rezensionsexemplare verschickt. Haeckers Freund Max Stefl verhandelte mit Ficker, dem Verleger, sogar darüber, ob man diesen Abschnitt über das „Reich“ nicht sogar als Massenbroschüre herausbringen könne, denn die unterschiedliche Auffassung vom „Reich“ sollte an ein breites Publikum gelangen.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kam Haecker dadurch in große Gefahr; er geriet in den Verdacht staatsgefährdender Aktivitäten: Einmal hatte Karl Muth im „Hochland“ noch im März 1933 daraus zitiert. Aufgrund der Presseverordnungen vom 30. Januar 1933 war Haecker gezwungen, Ficker per Einschreiben am 4. April 1933 schriftlich zu beauftragen, eine Schwärzung der anstößigen Seiten vorzunehmen, was diesem jedoch nicht mehr gelang.
Der Münchener Kulturbeirat beantragte wegen dieser Veröffentlichung eine sechsmonatige „Schutzhaft“ gegen Haecker; das Verfahren wurde glücklicherweise niedergeschlagen.
Haecker glaubte sich nun sicher, unternahm eine Fahrt auf den Spuren Catulls und Vergils. Doch nach seiner Rückkehr wurde er am 20. Mai 1933 verhaftet.24
Haeckers Wohnung wurde nach „Brenner“-Heften durchsucht, Haecker jedoch infolge der Intervention eines Mitarbeiters im Münchener Schreiber-Verlag nach wenigen Stunden wieder entlassen.25 Diese Verhaftung und das Gestapo-Verhör hinterließen einen nachhaltigen Eindruck:
„Die Wahl, in die Hände Gottes, oder in die Hände der Menschen zu fallen, macht mir keine Qual. Ich will in die Hände Gottes fallen, seien sie noch so furchtbar. ... Nur einen Tag kostete ich, was es heißt, in die Hände der Menschen zu fallen – am 20. Mai 1933.“26
Haeckers Schicksal wurde bereits ausführlich charakterisiert, deshalb seien hier nur einige Eckpunkte in Erinnerung gerufen:
Das Redeverbot, das ihm schon 1932 für den Regierungsbezirk Aachen auferlegt wurde.
Im gleichen Jahr die nationalsozialistischen Anpöbelungen, die er sich im Hörsaal Martin Heideggers gefallen lassen musste, als er zum Thema „Der Christ und die Geschichte“ sprach.
Der Zwang, eine Vortragsreise nach Berlin und Ostpreußen abzusagen.27
Das 1936 gegen ihn von der bayerischen politischen Polizei verordnete Redeverbot.
Rede- und Publizierverbot hinderten Haecker nicht, an Übersetzungen zu arbeiten und ein heimliches Tagebuch zu führen, in dem er die nationalsozialistische Ideologie brandmarkte. Hitler nannte er in seinen Aufzeichnungen zu einer Zeit, als dieser vielen „als ein Befreier der Deutschen aus den Fesseln des Versailler Diktats“28 erschien, eine „Ausgeburt der Hölle“.