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Verschiedenheit des Gegebenen
ОглавлениеKonrad Weiß erfasst die Wahrheit abseits des bürgerlichen „Logos“ und des „liberalen Zustands unseres Bildungswissens“. Statt einer abstrakten „idealistisch-philosophischen Weltanschauung“ und dem klassischen Stil zu huldigen, wählt er die Sprache der Bibel, der Liturgie und der Mystik, um in der „Wirrnis und Unklarheit der Zeit“ etwas Festes zu finden.10 Der aufgeklärte Mensch plant und verplant sein Leben und die Welt, voller Stolz pocht er auf seine Autonomie. Doch Konrad Weiß wendet ein: „sich selber durch Enteignung aneignen, nur das erhält man, was man freiwillig verloren hat“.11
Gegen die „Wut des Gehirns“ setzt Konrad Weiß den „Schuldkern von Menschen und Dingen“. Niemals wird es dem Menschen vergönnt sein, den metaphysischen „Mangel“ seines Daseins zu beheben. Dieser Ansatz zeigt sich für Konrad Weiß schon in der Studienzeit als einzig möglicher. Es ist nicht der Ansatz der Neuscholastik, die mit theologisch-philosophischem Begriffsgerüst den Zugang zu Welt und Glauben eröffnet, ohne jede zeitgeschichtliche Verortung aus einer neuen Erfahrung des Glaubens. So wendet sich Konrad Weiß entschieden gegen den „babylonischen Turm des bürgerlichen [ausgehenden 19.] Jahrhunderts, der heute einfällt“. Auch lehnt er den liberalen Idealismus ab, der für ihn nur eine politisch neutrale, human optimistische Spannungslosigkeit oder gar schriftstellerische Vergnügung darstellt. Konrad Weiß wendet sich auch gegen den zeitgenössischen Bildungskatholizismus nach Art Theodor Haeckers, der – nach seiner Meinung – die Sprache nur als ein formales Dienstmittel benutzt, dass das Christentum „nicht partnerisch gleich mit der rein und bloß positiven Gesellschaftsform Seite an Seite treten kann“.12
Gegenüber den propagierten Idealen eines schöngeistigen Humanismus betont Konrad Weiß, dass die Wirklichkeit immer um eine „Träne“ verschieden ist von der „Idee“. Die Geschichte, in der die Menschheit mit ihrer ganzen Tragik steht, stellt keine Humanitätsform dar. Der Mensch kann den Glauben nicht in plausible Brauchbarkeit verwandeln, ihm bleibt nur ein Gehen wie durch Mangel. In der Nicht-Adäquation und Ungleichheit des „Dinges“, das sich in keine kategoriale Ordnung einreihen lässt,13 zeigt sich die Differenz aller „Dinge“ gegenüber jeder Verallgemeinerung. Alles, was der Mensch schafft, auch sein Werk und die Kunst, bleibt unvollkommen und verschieden von dem, was eigentlich zu sagen und auszudrücken ist:
„Die Kunst ist immer um ein tantum dic verbo verschieden von einer Vollkommenheit; dieser Schmerz ist zugleich das Glück ihrer Zeitform. Es ist in dieser Verschiedenheit des Gegebenen und des Sinnes die Spanne, worin die Geschichte ihren Platz hat und in ihr die menschliche Gesellschaft, von welcher die Kunst getragen wird.“14
Den Urgrund aller Wirklichkeit wird kein Wort und kein Kunstwerk erreichen; nur durch die Dinge und Bilder hindurch kann der Mensch ihn berühren, jedoch im Mangel und in der Entfernung, im Fragment und in der Gebrochenheit. Statt sich in natürliche bzw. rein ästhetische Schönheit zu verlieren, hat die Kunst die zeitmöglichen, wenn auch leidvollen Formen der Geschichte anzunehmen. Das Kunstwerk stellt eine einzelne Form in ihrer jeweiligen geschichtlichen bzw. zeitmöglichen Vergegenständlichung dar; solche Verwirklichung bleibt unvollendet und trägt den Makel irdischen Mangels an sich. Jedes Kunstwerk ist beladen mit der „Schwere der Zeit“.