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Schöpfung und Geschichte im Symbol

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In einer letzten Überlegung soll es um den Ertrag des Werkes von Konrad Weiß gehen. Vielfach hat man gegen Konrad Weiß und seinen Sprachstil den Vorwurf der Dunkelheit erhoben, ohne zu bemerken, dass seine Dunkelheit weder einem künstlerischen Unvermögen noch – wie etwa bei Mallarmé oder George – einem bewussten Willen zum streng Hermetischen und Esoterischen entspringt. Gewiss, der Dichter hat sich bewusst vom theologischen „Geschäft“ abgewandt, doch Zeit seines Lebens beschäftigt ihn der Glaube und seine Verheutigung. Es finden sich bei Konrad Weiß zahlreiche Parallelen zu dem englischen Jesuiten und Dichter Gerard Manley Hopkins wie auch zu Johannes Duns Scotus. Konrad Weiß schlägt nämlich einen ähnlichen Weg ein, wie ihn Duns Scotus und Hopkins vorzeichnen. Letzterer bedenkt im Individuellen und Einzelnen das Einzigartige. So gibt er in seinen Tagebucheintragungen und Zeichnungen mit feinsten Federstrichen zuweilen nur eine einzelne Blüte wieder oder ein Architekturelement eines gotischen Fensterbogens mit allen noch so kleinen Details.36 Denn der kreatürliche Rest, der nicht zu verrechnen und zu begreifen ist, ist das unveräußerliche Bild Gottes, das jedem Ding innewohnt. Es kommt dem Menschen nicht zu, aus eigener Idee etwas machen und sein Leben meistern zu wollen, es wäre unecht und bliebe letztlich unwirklich. In aller Unvollkommenheit menschlichen Lebens gilt es vielmehr, Gottes verborgenen Plan in der Geschichte und im eigenen Leben zu erfragen und in Übereinstimmung mit ihm das eigene Dasein anzunehmen und zu gestalten.

Die Schwierigkeit bei der Entschlüsselung der Geschichte ergibt sich aus der Tatsache, dass die Ereignisse und Erfahrungen des Lebens, auf ihre tiefere Bedeutung befragt, sich nicht wiederum in einer metaphysischen oder rein scholastischen Theorie „auf den Begriff“ bringen lassen. Die einzig mögliche Antwort findet sich im Leben und Leiden des neuen Menschen, der die ganze Menschheit in seinem Dasein angenommen hat und mit ihr vom Vater verherrlicht wurde.

Die Schönheit, wie sie in den Dingen des Lebens sichtbar wird, ist nicht ästhetischer, sondern geschichtlicher, ja existenzieller Natur. Der Mensch hat den Auftrag, in seinem Leben das Übermaß göttlicher Liebe und Schönheit leibhaft auszubuchstabieren.

Dieses Verständnis von Schönheit, das Konrad Weiß in seinen zahlreichen Studien zur abendländischen Kunst ausbuchstabiert, bringt ihn – teils unmittelbar angezielt – in die Auseinandersetzung mit der philosophischen Ästhetik und ihre Frage nach der „Wahrheit“ der Kunst.37 „Schönheit ist eine Weise, wie Wahrheit west“, heißt es bei Martin Heidegger. Er wie auch sein Kritiker Theodor W. Adorno interpretieren die Kunst als einen ausgezeichneten oder sogar den ausschließlichen Ort der „Offenbarung“ von Wahrheit (Heidegger) und „Versöhnung“ (Adorno). Während Ernst Bloch die Kunst als „Vor-Schein“ des Kommenden auslegt, versteht sie Adorno als „das Versprechen des Glücks, das gebrochen wird“; er siedelt die Kunst „im Garten Gethsemane“ an, weil die „Passion“ ein zentrales Thema jeder Ästhetik darstellt. Der im Garten Gethsemane leidende Jesus von Nazareth ist kein „Kunstwerk“ – weder eine klassische Statue des leidenden Menschen noch ein Werk atonaler Musik –, sondern ein konkreter Mensch aus Fleisch und Blut, der von den anderen verlassen wird und in die äußerste Zerreißprobe des Vertrauens und der Todesangst gerät. Der „Schönste unter den Menschenkindern“ (vgl. Ps 45,3) hat eben „keine schöne und edle Gestalt“ (vgl. Jes 53,2). So gehört die christliche Ästhetik, wie Erich Przywara betont, zwischen „Viehtrog“ und „Kreuz-Galgen“.38 Alle Schönheit buchstabiert sich nach Konrad Weiß in geschichtlicher Gebrochenheit aus, und darin liegt ihr wahrer „Glanz“. Konrad Weiß sieht in der Geschichte – trotz und mit ihrer Tragik – einen tieferen Sinn, nämlich im Symbol. Um Konrad Weiß mit dem ihm Eigenen in seiner theologischen Ausdeutung von Zeit und Geschichte zu erfassen, seien nur zwei kurze Gegenbeispiele angeführt. Für Kant ist das Historische „etwas ganz Gleichgültiges, mit dem man es halten kann, wie man will“;39 nicht anders heißt es bei Fichte: „Nur das Metaphysische, keineswegs aber das Historische macht selig, das letzte macht nur verständig“.40 Für Konrad Weiß hingegen erhält die Geschichte ihren letzten und tiefsten Sinn durch den Eintritt des Menschensohnes in die Zeit. In ihm zeigt sich, dass die Geschichte mehr ist als ein äußerer Ablauf einzelner Fakten, Geschehnisse und Daten; sie enthält einen Anteil Gottes. Dieser aber bewirkt eine Art Folgerichtigkeit von Schuld und Gnade, von Sünde und Erbarmen, und jede verleugnete und verschleierte Schuld ist ein Wegsehen vom Angebot göttlichen Erbarmens. Aus aller Schuld kann Gnade werden; vielleicht kann und darf darum überhaupt so viel Schuld in der Welt sein.

Mit dieser theologischen Ausdeutung von Zeit und Geschichte trifft sich Konrad Weiß in vielem mit dem Werk und Anliegen Reinhold Schneiders. Beide entfalten eine Geschichtstheologie, die sich als „Geschichte im Symbol“ bestimmen lässt. Das überzeugendste Ordnungsprinzip menschlichen Daseins erkennen Konrad Weiß wie Reinhold Schneider im Glauben: „Geschichte ist eine Frage; die Antwort kann der nur geben, der ihr zum Herrn gesetzt ist.“41 Die Botschaft Jesu richtet sich nicht bloß auf das Heil der Seele. Sein Leben vollzieht sich mitten in der Welt, auf dass künftig alles Leben aus dem Geschenk des Heiles sich bewahrheitet im Mitvollzug der Geschichte. Um die geschichtliche Wirkmächtigkeit Christi und des Glaubens recht zu erfassen und zu deuten, wendet sich Konrad Weiß – wie Reinhold Schneider – immer wieder bewusst der konkreten Geschichte mit ihren teils tragischen Abläufen zu.

Die Geschichte ist Urform menschlicher Existenz. Nur in der Geschichte kann der Mensch sich und die Welt erfahren und sein Leben meistern. Das ganze Wesen des Menschen ist unmittelbar mit der Geschichte verbunden, ja, sie ereignet sich in ihm selbst: „Es gibt keine Grenze zwischen Geschichtlichem und Subjektivem (...) Die Zeit ereignet sich in uns. Darum müssen wir sie als unsere eigenste Sache verantworten.“42 In Verantwortung und Entscheidung gerufen, muss sich der Mensch mit seinem Leben in der Geschichte bewähren; nur so kann er zu sich und seinem eigenen, tiefsten Wesen vordringen: Er selbst muss die Zusammenhänge verantwortlich wählen und sie als Auftrag vollziehen. Dieses Muss ist der Kern der Person.

Sinn und Bedeutung der Geschichte erkennen Konrad Weiß und Reinhold Schneider darin, dass sich in ihr das Drama des menschgewordenen Gottes in der Welt vollzieht. Der Lebensweg Jesu verläuft nicht einfach in Übereinstimmung mit den Plausibilitäten der Gesellschaft und der Welt, doch steigt der Menschensohn aus der Welt und ihrer Geschichte nicht aus: Christus hat den Leib des Menschen angenommen, das heißt, er hat sich zur Geschichte entschlossen, selbst wenn er am Kreuz scheitern wird. Die Botschaft von jener Erlösung, die nicht von der Welt ausgegangen ist, scheitert in der Welt, aber die Welt scheitert auch an ihr. Dass die Geschichte nicht im Fragmentarischen tragisch scheitert, wird nur nachvollziehbar im Glauben an die Auferstehung:

„Denn so groß ist kein Mangel wie Gottes Ankunft ...“43

Schriften von Konrad Weiß: Gedichte 1914 – 1939. Hg. v. Friedhelm Kemp. München 1961 – Prosadichtungen. München 1948 – Tantum dic verbo. Gedichte. Leipzig 1919 – Zum geschichtlichen Gethsemane. Gesammelte Versuche. Mainz 1919 – Die cumäische Sybille. München 1921 – Die kleine Schöpfung. München 1926 – Das gegenwärtige Problem der Gotik. Mit Nachgedanken über das bürgerliche Kunstproblem. Augsburg 1927 – Die Löwin. Vier Begegnungen. Augsburg 1928 – Das Herz des Wortes. Gedichte. Augsburg 1929 – Tantalus. Augsburg 1929 – Der christliche Epimetheus. Berlin 1933 – Konradin von Hohenstaufen. Ein Trauerspiel. Leizig 1938 – Das Sinnreich der Erde. Gedichte. Leipzig 1939 – Deutschlands Morgenspiegel. Ein Reisebuch in zwei Teilen. 2 Bde. München 1950 – Das kaiserliche Liebesgespräch. München 1951 – Die eherne Schlange und andere kleine Prosa. Hg. v. Friedhelm Kemp. Marbach a. N. 1990.

Sekundärliteratur: Hanns-Peter Holl: Bild und Wort. Studien zu Konrad Weiß. Berlin 1979 – Friedhelm Kemp/Karl Neuwirth (Bearb.): Der Dichter Konrad Weiß, 1880 – 1940. Marbach a. N. 32001 – Carl Franz Müller: Konrad Weiß. Dichter und Denker des „Geschichtlichen Gethsemane“. Freiburg/Schweiz 1965 – Wilhelm Nyssen (Hg.): „... und ganz aus Echo lebend ist mein Leben“. Akademie zum 100. Geburtstag des Dichters Konrad Weiß (1880 – 1940). Köln 1983 – Michael Schneider: Konrad Weiß (1880 – 1940). Zum schöpfungs- und geschichtstheologischen Ansatz im Werk des schwäbischen Dichters. Köln 2007 – Ludo Verbeeck: Konrad Weiss. Weltbild und Dichtung. Tübingen 1970.

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