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Staatsgewalt, Gerechtigkeit und politischer Mord
ОглавлениеDie bei den Leseabenden der „Weißen Rose“ vorgetragenen Gedanken aus dem Werk „Der Christ und die Geschichte“ gründen auf der „Mitarbeit des freien Menschen an der Gestaltung dieser Welt“, also an der Geschichte, was von Christen vielfach unterschätzt, von Nichtchristen hingegen, zumindest im europäischen Raum, in der Regel überschätzt werde.47 Jedes politische Ordnen habe ein Ziel. Es müsse nämlich nach der Idee der Gerechtigkeit gestaltet sein, nur darin liege der volle Sinn des Politischen. Dieser Sinn werde nicht erfüllt, wenn die Idee der Gerechtigkeit nicht vorhanden sei. Vom Individuum gehe eine gerechte Ordnung unter Gemeinschaften und Völkern aus. Haecker sieht den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Schuld, aber auch den zwischen Recht und Schuld.48 Wenn er das Ziel des Politischen darlegt, so ist es der Friede auf der Grundlage der Gerechtigkeit.
In dem kurzen Beitrag „Der Staat seid ihr“49 von 1931 reflektiert Haecker den politischen Mord als „Kurzschluss von Phrase und bloßliegenden Nerven“,50 der mit dem, was ernsthafte Denker mit „Tyrannenmord“ meinten – dazu gehörten Ideen, Wille oder Entschluss, ein sinnvoller Plan oder ein Opfer –, nichts zu tun habe. Das politische Morden der unmittelbaren Gegenwart habe mit besonderer Ehrlosigkeit zu tun, weil es ohne politisches Denken vor sich gehe.
Was heute in Deutschland geschehen müsse, sei Denken, Denken und nochmals Denken! Untaten, die als „politische Morde“ bezeichnet würden, „entstehen nicht aus dem Nichts, so wenig wie die Tat (ein deutscher Irr- und Unglaube!) sich selbst gebiert, sondern sie kommen aus der Phrase und Lüge. Ist es ein Mangel an Denkkraft im Staatsmann, diese Ursprünge nicht zu sehen, so ist es, wenn er sie erkannt hat, ein Verbrechen von ihm, die Mittel des Staates, die primär Machtmittel sind, nicht zu gebrauchen; gegen die Äußerung von Phrasen und Lügen.“51
Wie der Staat seine Macht anwende, sein einziges politisches Mittel, sei eine Frage der Kardinaltugend des Staates als Person, also des Staatsmannes.
Die „Weiße Rose“ setzt in ihrem dritten Flugblatt „Salus publica suprema lex“ ebenfalls einen besonderen Akzent. Wie Theodor Haecker sieht auch sie im Staat eine Analogie zur göttlichen Ordnung. Er soll die „civitas Dei“ zum Vorbild haben, dessen höchstes Gesetz das Wohl aller ist. Dagegen sei der heutige Staat „die Diktatur des Bösen“, der den Menschen ihre Rechte raube, so lange bis nur ein „mechanisches Staatsgetriebe“ übrig sei, „kommandiert von Verbrechern“. Das Volk müsse von der „Zerstörung aller sittlichen und religiösen Werte überzeugt werden und so zum passiven Widerstand veranlasst werden“, denn es sei „sittliche Pflicht (...), dieses System zu beseitigen“.52