Читать книгу Der Agonist - David Goliath - Страница 11
Hülle
ОглавлениеDas blutige Laken mit der undefinierbaren Masse entsorgte Max im Metallkübel vorm Haus. Der zyanotische Hautschwamm, das schleimige Fruchtgewebe und das viele Blut brannten sich in seinen Schädel. Soetwas hatte er noch nie gesehen. Soetwas wollte er nie wieder sehen.
Als er nach Hause gekommen war, lag Lena in der Küche. Sie weinte, hielt sich den Bauch und blutete stark, nicht imstande einen klaren Satz zu formulieren.
Über 35 Wochen hatte Lena ihr Kind in sich getragen und nun ist es ihr geraubt worden. Was Max zu Gesicht bekommen hatte, war lediglich die Nachgeburt. Doch konnte ein Mann ohne medizinischen Hintergrund im Schockzustand keinen Unterschied zwischen einer Nach- und einer Fehlgeburt erkennen. Zudem war es ohnehin irrelevant. Seiner Frau wurde Leid angetan. Etwas war passiert mit seinem Kind. Etwas Grausames.
Schwerer Regen prasselte auf das Dach, während Blitze die Nacht für einen Bruchteil erhellten, bevor Donner das Geschirr im Schrank zum Klappern brachte und den Boden zum Beben. Alle paar Minuten zuckte die nächste Entladung durch die stürmische Schwärze zwischen Sonnenuntergang und -aufgang, gefolgt vom tosenden Schwingen der Luftmassen.
Eine gefühlte Ewigkeit lagen Max und Lena inzwischen auf dem kalten Fußboden in der Küche. Er presste sie fest an sich. Obwohl sie mehr als nur Blut und Tränen verloren hatte, schlief sie völlig erschöpft. Ihr Brustkorb hob sich kaum. Sie atmete sehr flach. Max starrte ab und an krampfhaft auf ihren Oberkörper, um festzustellen, ob sie noch am Leben sei. Manchmal hielt er einen Finger unter ihre Nase, damit er den kurzen Lufthauch ihrer Ausatmung spüren konnte. Ein fremder Duft haftete an ihr. Dieser war aber so schwach, dass Max ihn kaum wahrnahm. Aus dem Bauch heraus würde er diesen als Moschus definieren. Ganz sicher war er sich nicht.
Eine Kerze brannte noch. Die übrigen waren längst verloschen. Selbst der letzte flammende Docht flatterte nervös. Das ausdampfende Wachs ging langsam zur Neige. Außerhalb dieses kleinen Lichtschimmers herrschte unangenehme Dunkelheit, auch weil der Niederschlag von außen gegen die Fenster schlug. In dem kleinen Umkreis aus versiegendem Licht harrten die beiden aus, in einer vertrockneten Blutlache.
Max starrte in die Dunkelheit. Seine Gedanken kreisten, während er sich sein Hirn zermarterte. Was war geschehen? Wie konnte die Situation derart eskalieren? Wieso hörte seine Frau nicht auf ihn? Und wer wagte es, Hand an sie zu legen? Er wusste zwar nicht, was geschehen war, aber ihre reumütigen Blicke, als er sie gefunden hatte, sagten ihm, dass sie in seiner Abwesenheit etwas getan hatte, was ihm missfiel. An ihren schlammigen Stiefeln hatte er erkannt, dass sie auf einem Fabrikgelände unterwegs gewesen sein musste. Eins und zwei konnte er zusammenzählen.
Jeder neue Gedanke zerfurchte seine Stirn aufs Neue, weil er seine Augenbrauen wütend gen Boden zog. Er bemerkte erst sehr spät, dass er in Rage Lena ungeheuer kraftvoll an sich drückte. Umgehend lockerte er seinen Griff und sah entschuldigend auf sie herab. Lena rührte sich nicht, bis auf das stetige Heben und Senken ihres Brustkorbes.
Seine Wut überflügelte den Tadel, den sie verdient hatte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass irgendeine Aktion Gewalt gegen eine Frau, eine schwangere Frau, provozieren könnte. Sei der Mensch auch noch so barbarisch, ethische und moralische Grenzen kennt selbst das verlogenste Scheusal. Er bekam Zweifel. Seine Bekanntschaften im Untergrund waren Abschaum, doch selbst der fieseste Widerling befolgte den ungeschriebenen Kodex, Frauen und Kinder mit Respekt zu behandeln, egal wie schlimm das Vergehen auch war. Max streichelte über den geschwollenen Bauch seiner Frau. Diese Tat musste vom dreckigsten aller Bastarde begangen worden sein. Ein so abgekochtes Schlitzohr, das fehlende verbale und non-verbale Schlagfertigkeit mit eiskalter Skrupellosigkeit wettmachen musste. Diesen Wichser würde Max schnell finden. Doch jetzt musste er sich erst einmal um Lena kümmern.
Nach einer weiteren Weile des Grübelns und mit dem Erlöschen der letzten Kerze trug er sie ins Bett. Das viele Blut an ihr und an seinen Händen würden sie am nächsten Tag bei Helligkeit abwaschen. Der derbe Eisengeruch des getrockneten Lebenssaftes und der nachlassende Regen schickten ihn schnell in die Laken. Die exorbitante Exhaustion katapultierte ihn tief in den Schlaf und sorgte dafür, dass er ohne Albträume regenerieren konnte.