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Hof

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Ein Schuss hallte durch den Hinterhof der Polizeidirektion. Das Projektil schlug in eine künstliche Wand aus dicken Getreideballen ein und wurde verschluckt. Davor waren fünf Konservendosen in einer Reihe auf einem flachen Holzregal positioniert. Dutzende Scharten überzogen die Stirnseite des Regals. Dellen im Blech zeigten, dass die Dosen auch schon getroffen wurden. Dieses Mal jedoch nicht.

»Keine Bange, bleib bei der Stange, mein Junge«, raunte Walter gutmütig. Sein Arm war in dicken Gips gepackt und an seinem Hals mit einem Tuch befestigt. Bis auf den Husarenhelm glänzte er in Uniform, wie auch sein jüngerer Tutand.

Max feuerte erneut, konnte aber wieder keinen Treffer landen. Wütend schnaufte er.

»Du denkst zu viel. Steck die Pistole ein. Dreh dich weg. Dann drehst du dich wieder zum Ziel, holst die Pistole hervor und schießt. Das alles innerhalb weniger Sekunden.« Walters Hand lag locker auf seinem Holster. Da sein Waffenarm gebrochen war, hatte er sich seine Bertha auf links gelegt, in der Hoffnung, nie ziehen zu müssen. Er bezweifelte, dass er sein Schmuckstück überhaupt aus der Halterung bekam. Außer zum Pinkeln war seine linke Hand zu nichts zu gebrauchen.

Der junge Kadett befolgte den Rat und spielte den Ablauf durch. Er steckte die qualmende Waffe ins Holster, drehte sich weg, um sich gleich wieder dem Ziel zu widmen, zog die Waffe und feuerte ohne großartig anzuvisieren. Tatsächlich traf er diesmal nicht die Schutzwand, sondern das Holzregal. Ein paar Holzsplitter flogen durch die Luft und die äußerste Dose wackelte kurz.

Walter nickte zufrieden im Einklang mit dem Schall, der noch eine Weile an den Häuserwänden sein Unwesen trieb. »Gleich nochmal.«

Der nächste Schuss. Haarscharf vorbei.

»Nochmal.«

Peng. Ein zweiter Treffer ins Holzregal. Aus Mitleid fiel eine der Dosen um.

»Und nochmal«, trieb Walter seinen Schützling unerbittlich an.

Mit Erfolg. Das Gummigeschoss erwischte die mittlere Dose und riss sie vom Regal. Max leerte zwar noch das Magazin, konnte aber keinen weiteren Abschuss verbuchen. Trotzdem schien er von seinen Künsten überzeugt zu sein.

»Wenn es zu einer Schießerei kommt, geht es nicht darum, so viel wie möglich rumzuballern. Du musst mit wenigen Schüssen die Kontrolle erlangen. Jeder Schuss muss sitzen. Verfehlst du einen, wird er dich abknallen«, monologisierte Walter. »Wenn du die Pistole in die Hand nimmst, musst du bereit sein zu schießen. Und du musst dir sicher sein, dass du triffst. Ansonsten solltest du schnell weglaufen.«

Max ließ die Trommel etwas auskühlen und lud dann nach. Irgendwie gefielen ihm das austarierte Gewicht der Waffe in seiner Hand und die Macht, die diese spuckende Ingenieurskunst verlieh. Der Geruch des beschleunigten Kautschuks versetzte ihn außerdem in einen leichten Höhenflug. Mit Hochgefühl.

Walter zeigte auf die vier übrigen Dosen, die sich ungefähr zwölf Meter entfernt von beiden befanden. »Es sind noch vier. Du hast noch sechs Schuss.« Er zeigte in die entgegengesetzte Richtung. »Jetzt gehst du ein paar Schritte zurück und drehst dich um. Wenn ich Angriff rufe, holst du deine Pistole hervor, drehst dich zu den Dosen, gibst den ersten Schuss ab. Dann läufst du ein paar Schritte auf die Dosen zu und gibst den zweiten Schuss ab. Dann folgt ein Zickzack. Auf jeder Seite gehst du in die Hocke und schießt, bis du vorn angelangt bist, dein Magazin leer ist und du hoffentlich alle Ziele vom Regal geholt hast. Das Ganze im Stechschritt.«

Max nickte, steckte die Waffe in das Holster und ging ein paar Schritte zurück. Er schloss die Augen. Plötzlich brandete verdrängter Zorn in seinen Kopf. Nicht an die Blechdosen zu denken bedeutete an alles andere zu denken. In seinem Fall war das Lena, Kummer, Schmerz. Und Vergeltung.

»Angriff!«

Max öffnete die Augen, hob die Waffe und schoss daneben. Er hastete ein paar Schritte auf das Ziel zu und schoss abermals. Daneben. Mit dem ersten Richtungswechsel verlor er die Dosen kurz aus den Augen. Als er sich wieder den verdellten Konservenbüchsen zuwandte, sah er statt des geriffelten Bleches vier Schatten, die die Form von markanten Männergesichtern hatten. Nur noch drei. Einen konnte er ausschalten. Aus der Hocke sprintete er zur anderen Seite und bückte sich. Einer pfiff, der andere lachte und tänzelte, der dritte schwieg. Der dritte kullerte vom Brett.

Bastard. Max hörte diese Stimme in seinem Kopf. Sein Puls klopfte gegen die Wandungen. Im Rennen schaute er flüchtig zu den verbliebenen zwei Visagen. Die pfeifende fixierte ihn mit einer krummen Hakennase und wulstigem Doppelkinn. Es war keine Melodie, die gepfiffen wurde, sondern ein wiederkehrender, monotoner Pfiff, der lediglich Aufmerksamkeit erhaschen wollte. Der zweite Schatten drehte sich ständig um die eigene Achse und formte das Wort Bastard mit den schmalen, frotzelnden Lippen.

Auf der anderen Seite angelangt, kniete sich Max hin und verschoss die vorletzte Kugel. Vorbei. Er hatte den tänzelnden Bastard anvisiert, aber nur gestreift. Die Dose rutschte nur einen Zentimeter zur Seite. Das kratzige Lachen erinnerte an schleifendes Sandpapier.

Ohne weiteren Gedanken und ohne weitere Bewegung feuerte er auch seine letzte Patrone ab. Diese traf den anderen Schatten mit Hakennase und Doppelkinn. Mit dem Abgang dieser Dose erlosch auch der Schatten bei der letzten Dose. Das Lachen verstummte und der Tanz erstarrte. Nur die verwaiste Konservendose stand noch auf dem schroffen Holzregal.

Eine Dohle flog über den Hinterhof und stieß einen einzelnen, lauten Schrei aus. Noch bevor dieser verhallt war, war von dem schwarzen Federvieh nichts mehr zu sehen. Max wurde aus seinem Wahn zurück in die Wirklichkeit gerissen.

»Beeindruckend!« Walter grinste stolz. Sein Schnurrbart zog sich zu beiden Seiten in die Länge. Er winkte ab. »Den letzten hätte ich erwischt.«

Während der ältere Polizist mit gebrochenem Arm die Dosen einsammelte, fragte sich der jüngere was da gerade geschehen war. Und warum sein Geist auf einmal so klar erschien. Möglicherweise hatte er Dampf ablassen müssen, damit sich der Nebel verzog und er die Lichtung sah.

Nach dem Vorfall auf der Straße hatte Walter ihm die Geschichte von Samor und Namron erzählt. Dass beide nur Schergen des Textilmoguls Theodor Teufel waren und dass sie sich regelmäßig indirekt dessen Direktive wiedersetzten, um ihr eigenes Ding zu drehen, das meistens mit Gewalt und Dragees zu tun hatte.

Jeder in der Stadt kannte Theodor Teufel, sein Restaurant, seinen Klub Inferno und seine Spinnerei Teufels Zwirn, die sich in das postindustrielle Bild von Neu-Berlin einwob. Er stand noch über Bürgermeister Bruno Blutmond und Polizeidirektor Gordon Godot. Theodor Teufel spann die Fäden, metaphorisch und wortwörtlich. Sein Produkt war wichtige Einnahmequelle der klammen Stadt. Und seit der Limonadenlimitierung munkelte man zudem, dass er auch beim Blubberwasserimport die Fäden ziehen würde.

Max schluckte. Lena war Teil des Garngiganten gewesen. Und das schlimme Ereignis, das er nicht vergessen konnte, hatte höchstwahrscheinlich im Dunstkreis des Teufels seinen Anfang genommen. Er war überzeugt, dass er im Fahrwasser des Fadenfabrikanten den Empfänger seiner Rache finden würde. Wenn nicht sogar Teufel selbst der Empfänger war. Das galt es herauszufinden.

Max schluckte ein zweites Mal. Er hatte nun schon zweimal Kontakt mit Samor. Beide Male mit Bezug zu vermutlicher Hehlerware. Beide Male mit Kopfschmerzen. Dieser Mistkerl wusste wie er aussah. Sich unauffällig in die Hölle des Löwen zu begeben würde somit schwieriger werden.

Sein Blick galt seinem Revolver. Ich nehme mir besser ein paar Schuss mehr mit, dachte er. Die Blechdose, die seinem Angriff Paroli geboten hatte und jetzt einsam auf dem Holzregal stand, schien ihn eindringlich zu bestärken.

Der Agonist

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