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Hinterhalt
ОглавлениеMax manövrierte den Sieben-Tonnen-Fronthauber routiniert durch die engen Asphaltkapillaren der dunklen Stadt Neu-Berlin, die sich vermeintlich friedlich im Nirgendwo bettete. Vereinzelte Straßenlaternen beleuchteten die Straßen, ansonsten illuminierte der hochstehende Vollmond den Rest. Dadurch konnte Max die vereinbarte Route ohne Scheinwerfer fahren. Abgesehen vom dumpfen Stottern des Motors und des Klapperns der Achsen war er so recht unsichtbar unterwegs. Man hörte ihn zwar aus einem Kilometer Entfernung, aber was da auf einen zukam, konnte man erst sehen, wenn es schon zu spät und man zwischen Kühlergrill und Radaufhängung zu einem Klumpen zusammengestaucht wäre.
Max wusste weder was unter der Zeltplane festgeschnürt war noch welche Verbindung zwischen Versender und Empfänger bestand. Und es war ihm auch egal, solange er mit dem Geld sich und seiner schwangeren Frau Lena ein Dach über dem Kopf bieten konnte.
Neu-Berlin war seine Wiege. Er kannte jeden Schlupfwinkel, jeden Grabstein, jeden Zentimeter des Notdurftentsorgungslabyrinthes vier Meter unter den Pflastersteinen, neben der bleihaltigen Trinkwasserleitung.
Er war im Waisenhaus des rußbedeckten Arbeiterviertels aufgewachsen, wo Schornsteine wie Schachfiguren gen Himmel ragten, verlor seinen Brutkasten bereits bei seiner Entbindung und seinen Erzeuger an einen Hinterwandinfarkt im Hinterzimmer einer Hure. Auf der Suche nach einer Vaterfigur bandelte er dann immer wieder an. Die schiefe Bahn war ihm vorbestimmt. Bis ein unüberlegtes Abenteuer mit einer befruchteten Eizelle endete und er geläutert versuchte, Gesetzestreue in sein kleinkriminelles Leben zu bringen. Leider konnte man in Neu-Berlin mit Gesetzestreue kein geregeltes Leben für eine junge, vorbestrafte Familie aus dem Nichts stampfen. Deshalb der kleine Umweg mit dem unbeleuchteten Fronthauber durch die Niederungen von Neu-Berlin.
Er fuhr allein. Kein Begleitschutz. Kein Kompagnon, der ihn während der Fahrt mit Belanglosigkeiten unterhielt. Nur er und seine Stadt, und das Rattern und Rütteln der sieben Tonnen unter Arsch und Sohle, gebändigt durch mühevolles Einlenken der Handgelenke, im Einklang mit gefühlvollem Treten der Pedale. Sieben Tonnen plus minus was auch immer auf der Ladefläche.
Einen allzu großen Umweg zur Gesetzestreue stellte dieser Auftrag allerdings auch nicht dar. Schließlich fuhr er nur einen Lastkraftwagen von A nach B – mit leicht überhöhter Geschwindigkeit, des Nachts, ohne Beleuchtung, ohne Fahrgenehmigung, mit dubioser Fracht.
Sein Ziel war Teufels Stube. Eine Kneipe im Rotlichtmilieu. Mancher nannte es das beste Restaurant der Stadt, in einem Viertel, das noch etwas Zeit bräuchte.
Obwohl er sich geschworen hatte, keinen Gedanken an die Fracht zu verlieren, schweifte er allmählich ab, da sich die Strecke ellenlang quer durch seine Heimat zog. Die leeren Straßen forderten aber auch kaum Aufmerksamkeit von ihm, weshalb er seinen Geist irgendwie auf Trab halten musste.
Er ertappte sich, wie er rätselte, was hinter ihm auf der Ladefläche formschlüssig verzurrt worden war. Diese investigativen Gedanken hielten ihn wach. Der tägliche Kampf ums Überleben mit einer schwangeren Frau im Schlepptau hatte ihn sichtlich mitgenommen. Nach zehn Stunden im Straßenbau den Tag über, ist es womöglich nicht sehr ratsam, nachts noch einen vollbeladenen Lkw im Eiltempo vom einen Ende zum anderen Ende der Stadt zu gondeln. Vor der Fahrt hatte er sich zum Glück noch eine Flasche Limonade gegönnt. Ohne den Zucker im Blut wäre er schon längst Brei an einem Stahlbetonbrückenpfeiler gewesen.
Limonade. Den Gedanken vertiefte er. Er hatte vom Verbot des Süßgetränkes gelesen. Es war erst seit kurzem in Kraft getreten und pfiffige Gauner könnten sich damit eindecken, um bald gepfefferte Preise auf dem Schwarzmarkt zu verlangen. Eine einzige Lkw-Ladung wäre allerdings etwas dürftig. Es könnte aber auch eine neue Mischung mit verbesserter Rezeptur sein, mutmaßte er weiter.
Max schaute reflexartig in den kalkbefleckten Außenspiegel. Keine Verfolger. Diese Prozedur wiederholte er an den nächsten zwei Kreuzungen, bevor er sich wieder seinen Fantasien hingab. Hätte diese neue Mischung einen hohen Wert, hätte man ihn keineswegs allein fahren lassen.
Ihm quollen Schweißperlen aus dem Rückenmark. Wird die Fracht womöglich bewacht und fahre ich ein Himmelfahrtskommando durch die Gegend, fragte er sich. Hätte er sich dazu verleiten lassen, die Bordwand zu öffnen, wäre er jetzt bestimmt nur noch ein Häufchen Elend auf einem namenlosen Stück Land irgendwo vor der Stadt. Gut, dass er seiner latenten Neugier nicht nachgegeben hatte.
Affektiert griff er in die Brusttasche seines Hemdes. Leer. Verdammt, dachte er nervös. Die beruhigenden Zuckerdrops bröselten in irgendeinem Straßenkanal vor sich hin. Eine baldige Niederkunft veränderte einiges, auch den ungesunden Habitus, der in solchen Situationen von beträchtlichem Vorteil gewesen wäre. Seine Nerven lagen blank.
Statt der Drops musste er mit seinen Fingernägeln vorlieb nehmen. Eine Angewohnheit, die ihm im Waisenhaus mit Prügel exorziert wurde und sich schleichend zurück in sein Leben drängte. Das Schützenkommando brachte ihn auf eine weitere Idee, während die Kombination aus unebener Asphaltdecke und durchgerosteter Wagenfederung Pobacken und Wirbel auf eine harte Probe stellte.
Waffen.
Ein erneuter Blick in den Rückspiegel zeigte ihm jedoch, dass sich niemand dafür interessierte. Er war nach wie vor allein.
Demnach müsse es sich um eine Waffengattung handeln, kombinierte Max, die dem Besitzer einen Vorteil verschaffe, und keinen Nachteil, käme die Gegenseite in Besitz. Verdammt, er verlor sich im größten anzunehmenden Unfug, eine mögliche Detonation der Fracht hatte er bisher noch gar nicht in Betracht gezogen.
Sein Fahrstil wurde vorsichtiger. Schlaglöchern versuchte er mittels Fahrmanövern auszuweichen. Erreichbarer Fingernagelhorn verhielt sich umgekehrt proportional zu seiner Nervosität, die die noch zu fahrenden Meter als Sprungschanze nutzte.
Er überlegte, ob er bereit wäre, sich für die Ladung zu opfern. Möglicherweise um zu verhindern, dass ein noch fieserer Gauner als sein Auftraggeber das Ding in die Hände bekäme. Instinktiv presste er sich in den Sitz, um seinen Korpus im finsteren Innenraum hinter die B-Säule zu bugsieren. Plötzlich fühlte er sich wie eine fahrende Zielscheibe aller Verbrecherbanden der Stadt. Einem seitlichen Angriff, hoffte er, könne er so vielleicht entgehen. Frontal, musste er sich eingestehen, würde komplizierter werden. Das dreistrahlige Lenkrad, hinter das er sich duckte, entlockte eine verlockend rasche Befriedigung von Sicherheitsbedürfnissen. Für alles andere hatte er seinen Revolver dabei.
Als Max die Kiste in einer Seitenstraße neben Teufels Stube abgestellt hatte, wollte er sich zügig verdünnisieren. Alles was jetzt noch passieren würde, überstieg die Klauseln seines fernmündlichen Vertrages. Er hatte seine Pflicht erfüllt. Die nächste Woche wäre finanziell gesichert. Trotzdem fehlte ihm die Zuversicht ähnliche Renditen Woche für Woche zu erwirtschaften.
Mit dem Aroma der Unzucht in der Nase - Limonade, Urin, Schweiß, schweres Parfüm - steckte Max seine abgeknabberten Fingernägel in die Hosentaschen und machte sich zu Fuß auf den Heimweg.
»Du bist zu spät«, polterte es kratzig aus dem Schatten.
»Es war keine Uhrzeit vereinbart«, erwiderte Max trocken.
Ein Knurren verdeutlichte ihm, dass dies die falsche Antwort gewesen war, was ihm auch der harte Schlag eintrichterte, den sein Hinterkopf empfangen durfte. Bewusstseinsverändert sank er auf Knöchelhöhe hinab. Die fremde Person kniete sich neben ihn und zählte eine Hand voll Münzen ab, indem jede einzelne Münze auf Max geschnipst wurde.
»Dein Anteil hat sich soeben verringert, Bastard«, lachte die Stimme, als die Hälfte der abgemachten Summe klirrend im Mantel des Schattenmannes verschwand.
Ein paar Münzen lagen in einer kleinen Blutpfütze, die sich aus Max’ Kopfplatzwunde speiste. Als er wieder beisammen war, war der komische Kerl bereits verschwunden. Er hatte ihn zwar nicht sehen können, aber diesen markanten Parfümduft und dieses süffisante Lachen würde er immer wieder erkennen. Der Lastwagen war ebenfalls nicht mehr da. Unter Schmerzen schwankte und wankte er heim.