Читать книгу Der Agonist - David Goliath - Страница 26
Henker
ОглавлениеLudwig Lustig sperrte den Holzverschlag neben der Spinnerei mit einem mulmigen Gefühl auf und stürzte hinein. Sein Kumpel hielt nicht mehr Wache und er hatte einiges über drei Ecken gehört. Eine tragbare Öllampe beleuchtete sein Umfeld. Entsetzt blieb er stehen. Eine Holzbohle fehlte in der Mitte des Bodens, wo sich auch ein kreisrunder, eingetrockneter Blutfleck befand, und offenbarte ein kleines Versteck. Doch darin war nichts mehr vorzufinden. Seine Befürchtungen waren wahr geworden. Niedergeschlagen segelte er nach unten.
»Suchst du das hier?«, kläffte Namron hinter ihm und betrat die Hütte, gefolgt von seinem Bruder Samor. In den Händen hielt er ein paar Geldbündel und das Goldgarn.
Ludwig hockte da mit gesenktem Haupt. Man sah ihm an, wie sein Herz in die Hose rutschte, erst recht, als er Samor und dessen genähten Kiefer erspähte.
Samor schloss die Tür. Ein Tischtennisschläger wartete von seinen Fingern umschlossen auf Gebrauch. Am Hosenbund steckte das Messer in der Scheide.
»Willst du uns was beichten? Oder weißt du nicht, was das ist und jemand will dir was unterjubeln?«, flachste Namron und warf ihm das Geld hin. Das Garn behielt er noch.
Samor stellte sich direkt neben den Hockenden und hüllte diesen mit bleiernem Moschusduft ein.
»Oder wollen wir teilen?« Namron überflog die Geldbündel auf dem Boden. »Viel ist das ja nicht.« Das goldene Garn faszinierte ihn mehr. »Das hier gefällt mir. Ich glaube, das behalte ich.«
»Das gehört mir!«, erboste sich Ludwig wie ein kleiner, neidischer Junge.
Samor lachte laut und hinderte den Querulanten am Aufstehen. »Dir gehört gar nichts, Bastard! Alles was du besitzt, alles was du bist, gehört Teufel.«
»Ihr kapiert es einfach nicht! Er nutzt euch aus. Er benutzt euch, um seinen Reichtum zu mehren. Ihr schlaft auf Stroh und sauft billige Limonade, während er auf Wolken-«
Samor beendete das Gefasel mit dem ersten Treffer seines Schlägers.
»Er hat dich aus der Gosse geholt«, redete Namron auf ihn ein, »Er hat dir Verantwortung gegeben und dir vertraut. Du musstest nie hungern oder leiden. Er war wie ein Vater für dich. Und du hast deinen Patron hintergangen.«
Ludwig wimmerte leise. Blut quoll aus einer Kopfplatzwunde.
»Woher stammt das Geld?« Namron legte viel Druck in seine Stimme.
»Es ist doch egal, was ich jetzt sage. Ich bin geliefert.«
»Noch hast du Gelegenheit deine Seele rein zu waschen«, entgegnete Samor gespielt sanft. Währenddessen drehte er den Tischtennisschläger bedrohlich in der Hand.
»Hat es etwas mit der verschollenen Limonadenlieferung zu tun?«, fragte Namron ungeduldig.
Samor bückte sich zu Ludwig. »Wenn das stimmt, schlage ich dich zu Brei.« Er deutete auf die vernähte Narbe am Kiefer. »Dann wäre das hier deine Schuld, du hinterhältiger Verräter!«
Namron musste seinen Bruder beruhigen. »Lass ihn reden, Samor. Seine Strafe wird gesühnt werden.«
Ludwig schaute die Brüder eingeschüchtert an. »Das Geld stammt aus dem Erlös.«
»Wem hast du es verkauft?«, stocherte Namron weiter, die Anspannung seines Bruders kaschierend.
»Irgendeinem Mittelsmann.«
Namron gab seinem Bruder ein Zeichen, das zu einer milden Behandlung aufforderte. Der Schläger schlug ein zweites Mal in Ludwigs Schädel ein.
»Die Ware ging an Pfeffer«, krakeelte Ludwig schmerzerfüllt, »für das Doppelte. Teufel drückt den Preis für Goldblume immer so weit nach unten. Da bleibt nichts für uns übrig.«
»Du hast deinen Patron nicht nur bestohlen. Du hast auch noch ein schlechtes Geschäft gemacht«, schüttelte Namron den Kopf und zeigte auf die Geldbündel, »Dafür?«
»Der Großteil fehlt. Jemand hat es geklaut!«, flennte Ludwig.
»Dein Geschäftspartner?«, schlug Namron vor. Er erhoffte sich mehr Kontext und schnellere Enthüllungen. Sein Bruder war mit Blicken und Gesten nur noch schwer im Zaum zu halten. Samor schien dem Verräter den Schädel einschlagen zu wollen.
»Ja«, bestätigte Ludwig trotzig.
Namron machte eine ungeduldige Geste. »Und der wäre?«
»Nessel, der Penner! Er muss mir das Geld geklaut haben. Und dann hat er mir einen Rest dagelassen. Als wollte er mich zum Gespött machen und es mir unter die Nase reiben. Gibt es etwas Unmenschlicheres?«. Ehrliche Empörung erfasste Ludwigs Gesicht.
»Edegard Nessel?«, präzisierte Namron hellhörig.
Ludwig nickte. »Der Typ von der neuen Behörde.«
»Wie seid ihr zusammengekommen?«, war Namron interessiert.
»Verbessert das meine Situation, wenn ich euch das alles sage?«
»Wenn du es nicht versuchst, wirst du es niemals erfahren«, warf Samor vieldeutig ein und grinste schief. Seine kratzige Stimme und die zweite Hand am Messergriff besiegelten Ludwigs Schicksal.
»Nessel ist auf mich zugekommen. Er hat mir Druck gemacht, wegen der Frauen in der Spinnerei. Irgendwie sind die flügge geworden und haben mich verpetzt. Übergriffe, meinte Nessel. Diese undankbaren Huren! Jedenfalls sollte ich mich lediglich um den Lkw und den Fahrer kümmern. Den Rest hat er erledigt. Am Rand habe ich mitbekommen, dass Pfeffer die gesamte Ladung gekauft hat. Aber das Geschäft hat Nessel abgewickelt.«
»Demnach bist du nur ein Spediteur?«, fasste Namron zusammen.
Ein knappes Nicken zeigte den Brüdern, dass der Querulant dieser Überzeugung war.
»Und das ganze Geld lagerte hier und Nessel hat sich seinen Anteil geholt?« Namron suchte die Zusammenhänge.
»So ähnlich«, bestätigte Ludwig verängstigt, immer die Bewegungen von Samor im Augenwinkel.
»Was hat es mit dem Garn auf sich?« Der goldene Faden kräuselte sich in Namrons Händen. Er spielte damit. Lange konnte er seinen Bruder allerdings nicht mehr hinhalten.
»Der gehört mir!«, bestand Ludwig auf sein vermeintliches Eigentum, »Den habe ich erworben.«
»Tot nützt er dir nichts mehr«, drohte Samor.
»Mit welchem Geld?« Namron schaute verdattert und riss die Aufmerksamkeit wieder an sich. »Wie viel wird so ein Garn kosten? Vermutlich mehr als wir in diesem und im nächsten Leben haben. Das sind Dinge, von denen unsereins nur träumen kann.« Er nickte zu den Geldbündeln. »Ich erwerbe das Garn von dir. Mit dem Geld da. Nimm es und verschwinde aus Neu-Berlin! Solltest du je wieder einen Fuß auf diese Gemarkung setzen, werden wir dich kriegen, verstanden?«
Ludwig gab eifrig zu verstehen, dass er verstanden hatte. Zackig sammelte er das Geld ein und wollte sich erheben, aber Samor drückte ihn an der Schulter zu Boden.
Er starrte seinen Bruder an. »Teufel wollte, dass wir Ludwig zu ihm bringen, wenn sich der Verdacht bestätigt. Der Bastard kann froh sein, wenn ich ihn fürs Erste am Leben lasse. Wieso willst du ihn gehen lassen?«
Namron steckte die 195 Meter Goldgarn ein. »Weil er keinen Nutzen mehr für uns hat.«
»Das hat der Patron zu entscheiden«, ereiferte sich Samor, zog das Messer im Tausch mit dem Tischtennisschläger und hielt es Ludwig an die Halsschlagader, damit dieser aufhörte zu zappeln.
»Wenn wir ihn zu Teufel bringen, wird er ihm von dem Garn erzählen und dann kann ich mir das abschminken, weil sich Teufel das Garn einverleiben wird.«
»Scheiß auf das Garn!«, polterte Samor, »Was ist mit mir?« Er drehte seinen Kopf, um seinem Bruder den verschrammten Kiefer zu präsentieren. »Dieser hinterhältige Verräter könnte mir sagen, wer daran beteiligt war und dann für seine Sünden büßen.« Die Klinge des Messers verweilte seelenruhig an Ludwigs Hals, der vor lauter Zittern an der geriffelten Schneide schabte.
»Vermutlich Nessel und Pfeffer.« Namron nahm sich ein paar Sekunden Zeit. »Wenn du ihn jetzt tötest, wird der Besitzer des Garns früher oder später auf uns zukommen. Und ich denke, dass der Besitzer eines Goldgarns auch der Besitzer übler Foltermaschinen und ruppiger Folterknechte ist.«
»Und wenn sich der Patron um ihn kümmert?« Samor verstand die Schleife noch nicht gänzlich.
»Dann führt die Spur zuerst zum Patron und anschließend zu uns.« Namron war nicht bereit, den Patron oder das neu ergaunerte Garn zu opfern.
»Aber wenn wir ihn gehen lassen und er sich schnappen lässt, wird er dich verraten.«
Namron lächelte, krabbelte seine krumme Hakennase und streifte unbewusst über sein stoppeliges Doppelkinn. »Wer glaubt schon einem Dieb? Kurz vor der Hinrichtung wird man alles sagen, um dem Fallbeil zu entkommen.« Er holte das Goldgarn wieder hervor und zeigte es seinem Bruder. »Schau es dir an! Das ist unsere Fahrkarte in ein besseres Leben. Damit können wir unsere Hahnenzucht eröffnen.«
Samor ließ sich kurz auf den Exkurs mitnehmen. Danach drückte er das Messer in Ludwigs Halsschlagader. Dunkelrotes Blut quoll heraus. Der Aufseher gurgelte noch kurz, ehe er leblos auf den Boden glitt.
Namron schaute seinen Bruder entsetzt an. »Samor! Worüber haben wir eben gesprochen?«
Samor winkte ab. »Sollen die Folterknechte nur kommen. Mit denen werden wir fertig. Außerdem wird sich der Patron freuen, dass wir die Probleme aus dem Weg räumen.« Er wischte das Messer am toten Ludwig ab. »Ich hatte noch eine Rechnung zu begleichen.«
»Und die anderen Verräter?«, warf Namron tadelnd ein.
»Nessel und Pfeffer. Wie du schon sagtest«, zwinkerte Samor.
»In Ordnung«, akzeptierte Namron die neue Situation, »Fahren wir zum nächsten Scharlatan.«