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Hegemon

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Am Abend vor der Operation, die einem Himmelfahrtskommando ähnelte, unternahm Max einen unbehelligten Ausflug zu Teufels Stube. Dort, so hörte man, solle sich Theodor Teufel aufhalten, um seine Mahlzeiten zu genießen. Weil er nicht wusste, wo er anfangen sollte zu suchen, entschied sich Max für den direkten Weg. Dabei verzichtete er auf seine Uniform und erst recht auf seine Waffe. Er kam als Bittsteller. Würde er abgewiesen werden, zöge er sich traurig aber respektvoll zurück. Seiner Meinung nach bestand kein Risiko. Lediglich ein Kreuzen der Wege mit Samor Nimmersatt hätte unschöne Folgen. Die abgewetzte Schiebermütze sollte den Wiedererkennungswert senken.

Er betrat das Lokal und sondierte zügig die Lage, bevor er die Kopfbedeckung anstandshalber absetzte. Nahezu jeder Tisch war besetzt. Durch das schummerige Licht war es unmöglich jeden Gast mit dem Ebenbild Samors zu vergleichen. Max riskierte seine Enttarnung und nahm die Mütze ab. Das gesprächige, gefräßige Volk schenkte ihm keinerlei Beachtung.

»Haben Sie reserviert?«, fragte ein untersetzter Kellner mit abschätzigen Blicken.

Max schüttelte den Kopf. »Ich muss mit Theodor Teufel sprechen«, bat er ehrfürchtig, die Mütze an der Krempe mit beiden Händen vor den Bauch gedrückt. Gespielt nervös tätschelte er die Krempe mit den Fingern. Seine großen Augen flehten förmlich um Audienz.

Der Kellner funkelte ihn argwöhnisch an. »Wen kann ich melden?«

Max überlegte. In der hintersten Ecke erkannte er zwei stämmige Männer. Er vermutete, dass sich dort Teufel aufhalten würde und diese zwei Schränke dessen Leibwächter wären.

Ein Räuspern des weiß strahlenden Servierers, der sich die Schnitte im Gesicht des Unbekannten ganz genau anschaute, unterbrach den Gedankengang.

»Wen kann ich melden?«, wiederholte er gereizt.

»Max Mayerz«, parierte der Befragte. Obwohl er nicht wusste, was auf ihn zukommen würde, vermied er das Spiel mit verdeckten Karten. Was hatte er zu verlieren? Momentan trudelte er einfach nur der Hölle entgegen.

»Warten Sie hier!«, befahl der Kellner bestimmt.

Max beobachtete wie der Kellner zwischen den beiden Hünen verschwand und kurze Zeit später wieder auftauchte. Auf dem Rückweg zwängte er sich wieder durch die schmalen Gänge und hatte das eine oder andere Mal mit der Enge zu kämpfen.

»Der Patron empfängt Sie jetzt. Folgen Sie mir!«

Max hatte wenige Probleme dem kurvigen Kellner zu folgen, vorbei an üppig gedeckten Tischen, schlingenden Herren und leicht bekleideten Damen, die nur halb so alt und halb so voluminös waren wie die sabbernden Vielfraße, deren Schmuck sie trugen.

Nach einem kurzen, unfreiwilligen Beschnuppern durch die doppelte Leibgarde trat Max um die Ecke und sah Theodor Teufel speisen. Max lief das Wasser im Mund zusammen. Auf dem Teller erspähte er dünne, gebratene Kalbsschnitzel mit Schinken und Salbeiblättern. Dem Geruch nach zu urteilen musste es sich um eine feine Weißweinsauce handeln. Nicht zu vergleichen mit den Armen Rittern. Die Weißbrotscheiben, die in Milch, Eier und Zucker getunkt und in Butterschmalz gebraten werden, waren immer das höchste der Gefühle, wenn das Geld reichte.

»Danke, Fritz!«, entließ Teufel den Kellner. »Setzen Sie sich«, bat er seinen Gast. Mit dem Lätzchen tupfte er seinen Mund sauber.

Max gehorchte fügsam.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Wachtmeisteranwärter Max Mayerz?«

Alle Karten lagen offen auf dem Tisch. Teufel schien zu wissen, was in seiner Stadt abging. Jeden weiteren Schritt musste sich Max nun gut überlegen. »Ich suche den Räuber meines Kindes«, begann er schwermütig.

Teufel blähte die Wangen. »Sapperlot, das ist ein dicker Brocken. Erzählen Sie mir die Geschichte, Max.«

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich weiß nicht wer, ich weiß nicht wo und ich weiß nicht wann. Deshalb bin ich hier. Ich suche nach Antworten.«

»Wie ist der Name des Kindes?«

»Schneeflocke.«

»Das ist ein ungewöhnlicher Name.«

»Wir hatten noch keinen richtigen Namen. Wir nannten es einfach Schneeflocke.« Max fiel es zunehmend schwerer, darüber zu sprechen. »Bei der Geburt wollten wir uns dann festlegen. Soweit ist es leider nie gekommen.«

»Ihr Kind wurde gestohlen«, bohrte Teufel stutzig nach, »oder kam es zum Abort?«

»Es wurde uns geraubt!« Max haute auf den Tisch. Die Leibwächter drehten sich um und schauten Teufel an, in Erwartung eines stummen Befehls. Dieser bedeutete ihnen, ruhig zu bleiben.

»Und ein Teil meiner Frau, unserer Ehe und von mir ist mit dem Kind geraubt worden. Ich will diesem Menschen in die Augen schauen. Diesem Menschen, der dazu fähig ist. Und dann will ich ihn auf einem Scheiterhaufen brennen sehen. Er soll langsam verbrennen und aufgespießt vor Schmerz schreien«, steigerte sich Max in Rage.

Nach einer Aufforderung durch Teufel stellte Fritz, der Kellner, ein Glas Wasser auf den Tisch und entfernte sich schnell wieder.

»Trinken Sie einen Schluck, Max. Es ist noch nicht an der Zeit, dem Hass die Tore zu öffnen. Wir müssen erst herausfinden, was geschehen ist.«

Max tat wie es ihm empfohlen wurde.

Teufels Augen huschten über die Gesichtsnarben.

»Und wie kann ich Ihnen helfen?« Er hatte die Hände ineinander verschlungen, die Arme auf die Ellbogen gekippt und stützte sein Kinn darauf.

Nachdem er das halbe Glas geleert hatte, atmete Max tief durch. Teufel hatte Recht. Der Hass durfte sich noch nicht Bahn brechen. Erst nach ein paar weiteren Sekunden bemerkte Max wie Teufel ihn anstarrte.

»In dieser Stadt ticken die Uhren anders. Ich bin weder blind noch dumm. Wenn man nach Antworten sucht, muss man die richtigen Leute fragen.«

»Sitzen bei der Polizei denn nicht die richtigen Leute?«, hakte Teufel spitzfindig nach.

»Seit dem Vorfall schweigt meine Frau. Ich weiß nichts über den Hergang und denke nicht, dass sie sich einem Fremden in einer Befragung öffnen wird. Ich würde sie nicht einmal aus dem Haus bekommen.«

»Weder blind noch dumm, dafür aber neuerdings stumm. Könnte Sie nicht gestürzt sein oder sich selbst etwas angetan haben? Vielleicht interpretieren Sie zu viel hinein und stigmatisieren eine friedliche Stadt und deren Bewohner?« Teufel blieb skeptisch.

Schweißperlen sammelten sich auf Max’ Stirn. Seine schwitzigen Hände klebten auf seiner Hose. »Ich befürchte, dass einer Ihrer Leute daran beteiligt war.«

Teufel wich übertrieben gestikulierend zurück. »Einer meiner Angestellten? Das sind schwerwiegende Anschuldigungen. Ich verbürge mich für jeden meiner Angestellten!« Er beugte sich über den Tisch und flüsterte, »Ein Kellner? Oder ein Koch? Oder eine Weberin? Oder ein Musiker aus dem Klub?« Er richtete sich wieder auf und sprach normal weiter. »Ich besitze mehrere Liegenschaften und beschäftige viele hart arbeitende Menschen. Ich finde Ihre Behauptung ein wenig dreist.«

»Ich meinte nicht Ihre normalen Angestellten. Ich meinte die Leute für die Drecksarbeit. Die mit den schmutzigen Händen.« Max fühlte sich extrem unwohl. Aber irgendwie musste er ein paar Informationen herauskitzeln.

Teufel klapperte das Restaurant visuell ab. »Spreche ich mit dem Polizisten oder dem Zivilisten?«, raunte er anschließend vorsichtig.

Max breitete die Handflächen nach oben aus. »Sehen Sie eine Uniform? Ich will nur Gerechtigkeit für das Leid, das uns angetan wurde. Sie sind einflussreich und angesehen. Natürlich haben Sie Ihre Schergen und Laufburschen, mit denen die Polizei Katz-und-Maus spielt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein unmoralischer Rüpel ungestraft durch Ihre Stadt schlendern darf. Gerade, wenn der Rüpel aus den eigenen Reihen kommt, erwartet man eine harte Linie von Ihnen. Es geht um Respekt.«

»Meine Stadt«, wiederholte Teufel verlegen.

Max lugte vorsichtig über seine Schulter. Die zwei Gorillas lehnten gelangweilt gegen die Wand, mit dem Rücken zum Tisch. Aber der Kellner schaute ihn aus einer schattigen Ecke an wie ein grimmiger Kobold, der Angst um seinen Goldtopf hat.

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Max. Ich höre mich um. Vielleicht kenne ich die ein oder andere zwielichtige Gestalt. Möglicherweise kann mir jemand sagen, wer so feige wäre, eine schwangere Frau zu schlagen. Sollte ich denjenigen finden, werde ich mich darum kümmern. Ein kurzes Verhör, ein bisschen Folter, ein Geständnis und die angemessene Bestrafung. Wenn es vorbei ist, werden Sie es erfahren. Wie klingt das?«

»Angemessene Bestrafung?«

Teufel zwinkerte. »Auge um Auge.«

Max wusste, dass er hier und heute keine Antworten finden würde. Doch er würde den Dunstkreis um Theodor Teufel nicht mehr aus den Augen lassen. Die Kompassnadel seines Zorns schlug zweifellos in Teufels Richtung aus. Aber das kam ihm gelegen. Alles, was die lähmende Trauer überwog, war willkommen. »Wie kann ich Ihnen dafür danken, Herr Teufel?«

»Patron«, verbesserte dieser. »Manus manum lavat.« Er gönnte Max eine kleine Denkpause. »Eine Hand wäscht die andere. Ich werde mich bei Ihnen melden, wenn ich Sie brauche, Max Mayerz.«

Sie verabschiedeten sich distanziert mit einem knappen Nicken.

Der Agonist

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