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Haus

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Mit der Abenddämmerung schlurfte Max mit abgewetzter Schiebermütze und dunklem Jackett an aufgereihten Häusern in der Vorstadt vorbei. Die einen entsprangen einem urbanen Postkartenmotiv, die anderen vertrugen etwas Pflege, trotz des provinziellen Charmes. In den kiesbedeckten Auffahrten warteten Karossen der August & Cie. Automobilwerke auf den nächsten hereinbrechenden Morgen, der ihrem Dasein den wahren Sinn vermittelte, wenn die Herrschaften in aller Herrgottsfrühe mit Glukose im Blut ihrem tristen Alltag nachgingen indem sie erst einmal fuhren.

Je näher er seinem Haus kam, desto zögerlicher wurden seine Schritte. Der Einschnitt belastete das eheliche Dasein. Man weiß zunächst nicht, wie man weitermachen soll. In einigen Momenten zweifelt man daran, überhaupt weiterzumachen. Und dann gibt es die Momente, in denen der Zorn waghalsige Pläne schmiedet.

Viele Familien in der Nachbarschaft waren um diese Uhrzeit am Tisch versammelt und saßen während sie aßen. Seichtes Licht drang auf die Straße. Die Schornsteine zeigten, dass die Kamine die vier Wände wärmten.

Max schlängelte sich am Licht vorbei. Er bevorzugte das Zwielicht. Die frischen Kratzer in seinem Gesicht pochten. Mittlerweile wusste er, wie viele es waren und wie tief. Nichts für die Ewigkeit, lediglich temporär. Diese Wunden würden verheilen, auch wenn zum Andenken Narben zurückblieben. Er zog die Mütze weiter nach unten. Niemand sollte bei seinem Anblick erschrecken.

Stumm betrat er sein Haus, das wie die Gartenhütte eines richtigen Hauses anmutete. In zweiter Reihe, im Schatten der richtigen Häuser. Er entledigte sich seiner Schiebermütze und streifte das schwarze Jackett ab. Düsternis empfing ihn herzlich. Kalte Stille ummantelte ihn. Er begann zu frösteln. Die undichten Fenster hatten der Kälte von draußen kaum taugliches Material entgegenzusetzen.

Wie so oft in den letzten Tagen verharrte er lautlos. Er wartete auf einen Ton – Klirren von Geschirr, Knarren von Schranktüren, ein Atemgeräusch, ein Räuspern, ein Schluchzen. Und jedes Mal stellten sich seine Nackenhärchen auf, wenn er nichts von alledem hörte. Aus der Küche drang schwacher Kerzenschein hervor. Erleichtert und doch angespannt tastete sich Max dem Licht entgegen.

Lena schlief mit vergrabenem Haupt im Schoß ihrer Arme auf dem Tisch in der Küche. Dicke Wollsocken wärmten ihre Füße. Einen kurzen Moment verharrte Max, um die schlechten Gedanken abzustreifen und seine wunderschöne Frau zu beobachten. Lenas Haar glänzte im Schein des verdampfenden Stearins der Kerze. Narben überzogen ihre Arme. Einige oberflächliche Kratzer schienen frisch verkrustet, andere tiefe Krater waren bereits verwachsen. Bedrückt stierte Max auf die Mahnmale. Nun verbanden ihn auch körperliche Aspekte mit seiner Angetrauten. Bisher teilten sie lediglich seelische Narben. Die offenen Risse in seinem Gesicht pulsierten, glühten und brannten wie Feuer. Es schmerzte umso mehr, den leibhaftigen Spiegel auf dem Küchentisch zu sehen. Er wusste nicht einzuordnen, ob ihre Schnitte Missgeschick oder Vorsatz waren. Er wusste nicht, ob sie Hilferuf, Katharsis oder Absolution darstellten.

Als er Lena behutsam schulterte, streifte eine ihrer zarten Hände eine leere, konisch geformte Flasche mit verdächtigem Aufdruck. Abgebildet war eine goldene Blume. Das tänzelnde Glas versprühte ein bitteres Duftaroma, leicht krautig im Nachgang. Mit der freien Hand nahm Max die Flasche und kostete die letzten Tropfen, die sich im Flaschenboden gesammelt hatten. Trotz der Verdünnung durch Lenas Speichel konnte er seinen Verdacht bestätigen: Limonade. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Er wollte mehr, konnte die Gier aber schnell herunterwürgen. Neben seiner schwindenden Kraft, Lena weiter auf der Schulter im Gleichgewicht zu halten, raste sein rastloser Geist. Nicht nur, dass sich seine Frau ritzte. Sie hatte eine Quelle für Limonade gefunden und schien diese eifrig zu nutzen. Gleich nachdem er sie ins Bett getragen hätte, würde er das Haus nach weiteren Flaschen durchsuchen. Erstens, weil er kein geregeltes Leben mit Schmugglerware im Keller führen konnte. Zweitens, weil er wahnsinnig Appetit bekommen hatte.

Der Agonist

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