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2. Verhältnis zur DS-GVO

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Im Hinblick auf § 3 ist insbesondere dessen Verhältnis zur DS-GVO zu beachten. Ausweislich der Gesetzesbegründung stützt sich der Erlass von § 3 BDSG auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e i.V.m. Abs. 3 S. 1 DS-GVO.[189] Entscheidend ist daher, ob der deutsche Gesetzgeber mit Erlass von § 3 BDSG rechtmäßig von der Öffnungsklausel der DS-GVO Gebrauch gemacht hat. Zu diesem Zweck sind Inhalt und Reichweite der Öffnungsklausel aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e, Abs. 2, Abs. 3 zu bestimmen (vgl. dazu bereits Rn. 88 ff.).[190]

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Zunächst ist dabei festzuhalten, dass ein Blick auf die Systematik von Art. 6, insbesondere im Hinblick auf das Zusammenspiel von Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e zu Art. 6 Abs. 3 zeigt, dass Art. 6 Abs. 1 lit. e als solcher keinen eigenständigen Zulässigkeitstatbestand darstellen kann, der eine Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen rechtfertigt (vgl. dazu oben Rn. 108).[191] Vielmehr ist Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e im Zusammenhang mit dessen Abs. 2 und 3 zu lesen. Dies zeigen bereits Abs. 2 und 3, die ihrerseits ausdrücklich auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e verweisen.[192] Demnach lässt sich hinsichtlich der Systematik und Rechtsnatur der Vorschrift Folgendes festhalten: Nach Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b wird die Rechtsgrundlage für Verarbeitungen nach Abs. 1 lit. e durch das Recht der Mitgliedstaaten festgelegt. Daraus ergibt sich, dass die Rechtsgrundlage für Datenverarbeitung nach Abs. 1 lit. e nur außerhalb der DS-GVO liegen kann.[193] Andernfalls wäre wiederum der Verweis in Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. a auf die Schaffung einer Rechtsgrundlage durch das Unionsrecht überflüssig.[194] Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e i.V.m. Abs. 3 S. 1 setzt vielmehr zur Rechtfertigung einer Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen einen weiteren Rechtsetzungsakt voraus und enthält damit einen Regelungsauftrag an die Mitgliedstaaten zur Schaffung mitgliedstaatlichen Rechts.[195] Daraus folgt, dass Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e i.V.m. Abs. 3 S. 1 eine Öffnungsklausel für die Schaffung mitgliedstaatlichen Rechts im öffentlichen Bereich darstellt.[196]

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Art. 6 Abs. 3 enthält dabei weitergehende Bestimmungen hinsichtlich der Voraussetzungen zur rechtskonformen Ausgestaltung der Öffnungsklausel. Nach Art. 6 Abs. 3 S. 2 muss die Rechtsgrundlage im mitgliedstaatlichen Recht nicht nur den Zweck der Verarbeitung festlegen, sondern darüber hinaus muss die Verarbeitung für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich sein, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt.[197] S. 2 des Abs. 3 legt somit den pflichtigen Mindeststandard fest, den die Mitgliedstaaten bei der Schaffung mitgliedstaatlichen Rechts beachten müssen.[198] S. 2 statuiert damit eine Umsetzungspflicht.[199] Art. 6 Abs. 3 S. 3 enthält darüber hinaus eine fakultative Zusatzmöglichkeit zum Erlass spezifischer mitgliedstaatlicher Regelungen.[200] Denn nach S. 3 kann die mitgliedstaatliche Regelung spezifische Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften der DS-GVO enthalten. Der fakultative Charakter der Öffnungsklausel zur Schaffung spezifischen mitgliedstaatlichen Rechts wird daher bereits im Wortlaut der Verordnung deutlich („muss“ in S. 2, „kann“ in S. 3). Den Mitgliedstaaten wird somit durch S. 3 die Möglichkeit eingeräumt im Rahmen des Regelungsauftrages über den pflichtigen Mindeststandard des Art. 6 Abs. 3 S. 2 hinaus die Anforderungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung zu spezifizieren.[201]

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Das Verständnis für den Charakter und die Systematik der Öffnungsklausel ist insbesondere bedeutsam für den Kontroll- und Prüfungsmaßstab, dem die jeweiligen mitgliedstaatlichen Umsetzungsnormen bei der Ausfüllung und weitergehenden Ausgestaltung der Öffnungsklausel letztlich unterliegen. Denn sofern die mitgliedstaatliche Regelung letztlich bloß den pflichtigen Mindeststandard aus Art. 6 Abs. 3 S. 2 im Rahmen ihres Regelungsauftrages erfüllt, so handelt es sich dabei lediglich um eine Umsetzung europäischer Vorgaben, so dass Prüfungsmaßstab das Europarecht bildet und eine Kontrolle durch den EuGH gegeben ist.[202] Machen die Mitgliedstaaten allerdings von der fakultativen Spezifizierungsmöglichkeit des Abs. 3 S. 3 Gebrauch, so werden sie dadurch aus ihrer unionsrechtlichen Verantwortung zugunsten der nationalen Gerichtsbarkeit entlassen.[203]

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Dementsprechend hat der Bundesgesetzgeber durch den Erlass einer datenschutzrechtlichen Generalklausel § 3 seine Umsetzungspflicht nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e i.V.m. Art. 6 Abs. 3 S. 2 erfüllt. Darüber hinaus nutzt § 3 auch die fakultative Öffnung des Art. 6 Abs. 3 S. 3, indem die Norm zusätzlich das Kriterium der Zuständigkeit der öffentlichen Stelle in den Tatbestand aufnimmt.[204] In der Folge ist § 3 am Maßstab des Grundgesetzes zu messen und unterliegt der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts.[205] Da die Länder in ihren Generalklauseln wiederum unterschiedliche Voraussetzungen vorsehen und nicht alle Bundesländer die Öffnung in Art. 6 Abs. 3 S. 3 nutzen (so etwa Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz), ergibt sich insoweit eine geteilte Rechtsordnung.[206]

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Diese Sichtweise wird nunmehr auch durch die Rechtsprechung des BVerfG in seinen Entscheidungen „Recht auf Vergessen I“[207] und „Recht auf Vergessen II“[208] gestützt. In der Entscheidung „Recht auf Vergessen I“ hat das BVerfG hinsichtlich seines Prüfungsmaßstabes klargestellt, dass es dann, wenn Fachrecht unionsrechtlich nicht vollständig vereinheitlicht und determiniert ist (etwa im Rahmen des Medienprivilegs des Art. 85, vgl. dazu Art. 85 Rn. 44 ff.) und daher in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet ist, dessen Auslegung primär am Maßstab des Grundgesetzes prüft, auch wenn daneben gleichzeitig die Unionsgrundrechte gelten.[209] Sofern das Fachrecht der Union somit Gestaltungsspielräume eröffne, bestünde die Möglichkeit die eigenen mitgliedstaatlichen Grundrechtsstandards zur Geltung zu bringen.[210] Die Entscheidung „Recht auf Vergessen II“ bezieht sich auf die Frage des Prüfungsmaßstabs und der Reichweite der Prüfungskompetenz des BVerfG im Rahmen vollständig vereinheitlichen Unionsrechts.[211] Das BVerfG hat insoweit festgestellt, dass sofern im Rahmen unionsrechtlich vollständig vereinheitlichen Rechts die Grundrechte des Grundgesetzes im Wege des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts verdrängt würden, als Prüfungsmaßstab ausschließlich die Unionsgrundrechte maßgeblich seien, dass das Gericht die innerstaatliche Anwendung des Unionsrechts durch deutsche Stellen am Maßstab der Unionsgrundrechte prüfe.[212] Nach Ansicht des Gerichts hängt dabei die Frage, ob die Grundrechte des Grundgesetzes oder die GRCh anzuwenden sind, vor allem von der Unterscheidung zwischen vollständig vereinheitlichtem und gestaltungsoffenen Unionsrecht ab.[213] Insoweit komme es vor allem auf eine Auslegung des betreffenden Unionsrechts sowie auf die Rechtsform des Unionsrechts (Richtlinie oder Verordnung) an.[214] Daher sei „in Bezug auf die jeweilige Norm des Unionsrechts zu untersuchen, ob sie auf die Ermöglichung von Vielfalt und die Geltendmachung verschiedener Wertungen angelegt ist, oder ob sie nur dazu dienen soll, besonderen Sachgegebenheiten hinreichend flexibel Rechnung zu tragen, dabei aber von dem Ziel einer gleichförmigen Rechtsanwendung getragen ist“[215]. Die beiden Entscheidungen des BVerfG stehen damit in inhaltlichem Zusammenhang mit früheren Urteilen des BVerfG[216] (etwa Solange I und II[217], Maastricht[218], Bananenmarkt[219] und Lissabon[220]) und führen diese fort.[221] In Bezug auf Art. 6 Abs. 3 S. 2 und 3 lässt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG ableiten, dass sich unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe und -kompetenzen im Rahmen der Überprüfung mitgliedstaatlichen Rechts infolge einer Auslegung des Unionsrecht i.S.d. obigen Ausführungen (vgl. Rn. 113 f.) ergeben können.[222]

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