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Glücksdrache

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Im untersten Geschoss der Yi Festung verschwanden einige Trennwände der Räume, wodurch ein riesiger Saal entstand. Große runde lackierte Tische wurden aufgestellt und gedeckt. Die Familienmitglieder saßen an den Tischen und unterhielten sich aufgeregt. Der Tag hatte eine Überraschung gebracht, welche diskutiert werden musste. Jeder versuchte die Legenden der Wu zu erzählen, dachte er wisse mehr als die andern.

Bei dem Fest gab es keine Fremden in der Festung, gekocht wurde von den Familienmitgliedern. Manche belegten Tage und Wochen zuvor Kochkurse, nur um an diesem Tag etwas Seltenes zubereiten zu können, etwas was sonst niemand konnte. Bedient wurde ebenfalls selbst, jeder wollte dem Anderen eine Freude tun und dadurch sein Respekt bezeugen. Das war nicht üblich, denn die Chinesen lassen sich bei ihren Feiern gerne bedienen. Es war eindeutig kein alltägliches Fest.

Als Herr Yi und Moureu gemeinsam den riesigen Saal betraten herrschte absolute Stille, alle standen auf um sie zu begrüßen. Beide Herren nahmen ihre Plätze ein, erst dann setzten sich die Yi. Das Fest fing an, im Hintergrund lief leise die Musik ab, Duft der Hundert Gerichte vereinigte sich schnell zu einem einzigen, schwerem, süßlichem, göttlichem Nebel. Etwas später, begleitet von zwei kichernden jungen Frauen, betrat die Tochter des Generals Chi den Saal. Sie trug ein schweres schwarzes seidenes Kleid, halb offene und mit Gold bestickte schwarze Schuhe mit hohen Absätzen. Ihre schulterlangen Haare wurden ihr hochgesteckt, am Hals glänzte eine wunderschöne feine alte goldene Kette. Eigentlich war sie wie alle Anwesenden angezogen: festlich. Sie fühlte sich in dieser Kleidung nicht wohl. Selbstverständlich, im Rahmen ihres Dienstes war sie an unzähligen Empfängen und Partys anwesend, hatte aber immer die gleiche Tarnung an: den üblichen Business-Look. Damenhaftes mochte sie nicht, besaß selbst kein einziges Kleid.

Lin wurde bemerkt, Gespräche brachen ab, Stimmen und das Gelächter im Saal verstummten abrupt. Anwesenden, welche sie nicht sehen konnten weil sie hinter ihren Rücken erschien, standen auf und drehten sich um. Darauf standen viele von ihren Plätzen auf um die junge Frau noch besser zu sehen. Zeit lang herrschte eine unheimliche Stille im Raum. Trotz ihres Wiederstrebens der eigenen Hülle gegenüber strahlte Lin eine unerklärliche Anziehungskraft und Ruhe aus, glich einer Prinzessin. Ein: »Aaah…« ging durch die Tischreihen. Nun standen alle auf um den Gast zu sehen, zu begrüßen. Schließlich war sie der Gast ihres Gastes, also, gebührte ihr mindestens die gleiche Ehre, wenn nicht noch mehr. Mittlerweile wussten alle wer der Familiengast war.

Die Tochter des Generals wurde zu einem vorbereiteten Tisch geführt und musste Platz nehmen. Die Anwesenden im Saal nahmen ihre Plätze erst nach dem Gast ein. Am Lins Tisch saßen nur Frauen ihres Alters und fingen umgehend an sich um sie zu kümmern, versuchten den vom Geschehen mittlerweile vollkommen eingeschüchterten Gast ins Gespräch zu verwickeln. Sie nahm es nicht mehr wahr wie ein Familienmitglied nach dem anderen von seinem Platz aufstand, von hinten an ihrem Tisch vorbeiging. Falls sie die Person hinter ihr gerade bemerkte, wurde sie von dieser mit einer Beugung begrüßt. Falls Lin die Person nicht sah, beugte sich diese trotzdem vor Lin und ging zu ihrem Platz zurück. Jeder der Vorbeilaufenden ließ auf dem hinter Lin aufgestellten Tisch etwas liegen. Das Wertvollste was er in dem Moment bei sich hatte, oder als solches betrachtete. Ein Schmuckstück, Amulette, Fotos der Kinder, der Liebsten, Waffen. Derjenige, wessen Gabenstück Lin später anfasst, an sich nimmt, der dürfte sich glücklich schätzen. Ihn wird die Macht der Wu besonders beschützen.

Lin saß versteift am Tisch, mit der linken Hand fasste sie die Tischkante, das gab ihr etwas Sicherheit. Mit der rechten Hand hielte sie krampfhaft ein Glas, was drin war wusste sie nicht. Um sie herum war es unerträglich laut. Die Frauen an ihrem Tisch sprachen alle gleichzeitig, daher verstand sie kein Wort. Hinter ihren Rücken liefen die Menschen vorbei, blieben kurz stehen, liefen weiter. Lin wusste nicht was die da machten, traute sich nicht sich umzudrehen. Einige der Vorbeilaufenden berührten sie oberflächlich, als ob es absichtlich wäre. Lin fühlte es, es war mehr als das, zuckte jedes Mal zusammen wie ein Huhn welches gleich geschlachtet werden sollte. Dann wurde es schlimmer. Mancher dieser Menschen hinter ihrem Rücken legte ihr kurz die Hand auf die Schulter, berührten ihre nackten Oberarme. Lin möchte noch nie angefasst werden, traute sich in diesem Moment jedoch nichts zu sagen. Eine Hand blieb länger an ihrer Schulter verweilen, eine eiskalte Hand. Ihr blieb nichts anderes übrig als sich umzudrehen, wollte die Person bitten, sie möge ihre Hand entfernen. Lin drehte ihren Kopf um und sah eine uralte Frau vor sich stehen. Die Frau lehnte sich an eine Jüngere an, sonst hätte sie alleine bestimmt nicht mehr laufen können. Lin blickte tief in die trüben Augen der Zeit. Die alte Frau strahlte sie hechelnd an:

»Willkommen nach Hause, Tochter der Ahnen. Dein Weg ist dir vorbestimmt, das war er schon immer. Eines Tages wirst du das verstehen, so wie ich. Ihn gibt es wirklich, das ist kein Traum. Er wartet schon lange auf dich, du musst ihn nur finden. Ich sehe es in deinen Augen, du weißt wovon ich spreche. Das ist gut. Deine Träume sind keine Träume. Du bist am falschen Platz zur falschen Zeit, so wie er es ist. Suche die wahre Zeit und den richtigen Ort. Du wirst ihn finden … erkennen. Du musst ihm entgegen treten, denn er wird es nicht tun! Sonst wäre er nicht das, was er ist. Es sind mehr als nur Träume, meine Tochter. Ihr seid unsere Zukunft.« Die alte Frau nahm die Hand weg und quälte sich zu ihrem Tisch zurück.

Alles drehte sich in ihrem Kopf, sie wollte sich vorher gerade noch umbringen, aus dem Fenster springen, hatte mit dem Leben abgeschlossen. Dieser Moureu, seine Augen schienen ihr so, als ob sie ihr die Seele aussaugen wollten. Er hat sie genommen. Für was? Ihr Vater sagte nur, Moureu wäre die letzte Rettung, sie solle mit ihm gehen, er wäre ein Freund. Der Abschied vom Vater viel ihr schwer, aber nicht so schwer wie sie es erwartet hätte. Sie betrachtete sich bereits als tot, daher hat der Abschied keine Wirkung auf sie hinterlassen. Sie war tot, mit einer kleinen Ausnahme: Sie atmete noch, lief, dachte. Trotz allem, sie fühlte sich hier bei diesen Leuten irgendwie geborgen. Am Anfang kam ihr das Fest wie ein Leichenschmaus für sie vor. Alte Frau von eben und ihre Worte, sie hatten es in sich. Lin taute langsam auf. Kann es Ihn … wirklich geben?

Herr Yi beugte sich zum Moureu und sagte mit heiterer Stimme:

»Herr Moureu, ich denke, sie haben heute ein sehr gutes Geschäft gemacht. Sie haben eine Perle gefunden, einen Edelstein ausgegraben. Sie gefällt mir jetzt besser, schaut sie euch nur an! Ein prachtvolles Mädchen, eine wunderschöne Frau. Nur, sie ist so … seltsam. Wie eine schlafende Katze … ein schlafender Tiger. Nein, ein schlafender Drache! Das ist sie, sie ist ein schlafender Glücksdrache!«

»Glücks…drache?«, wiederholte Moureu langsam das letzte Wort, »was haben sie gerade gesagt? Glücksdrache?«

»Ja, ja! Sie ist ein Glücksdrache! Schaut sie euch an«, bestätigte ihm Herr Yi.

Moureu stellte vorsichtig sein Glas auf die lackierte Tischplatte ab, lehnte sich im Stuhl nach hinten. Der Begriff Glücksdrache war Moureu bereits seit Jahren geläufig. Schmerzen in seinem Kopf wurden unerträglich, er machte die Augen zu und fing mit den Atemübungen an, um den plötzlich gestiegenen Blutdruck zu stabilisieren. Der Nebel der Unwissenheit in seinen Gedanken verschwand so schnell wie gekommen. Seine eigenen Träume haben sie schon angekündigt, hörte bereits diesen Namen von den anderen Wu, auch von dem Bruder Azala. Er hätte sie nach ihrer Aura erkennen müssen, sie spüren müssen! Der Glücksdrache wurde angekündigt, wird kommen um ihre Reihen zu stärken. Niemand wusste wann es so weit sein wird, in wessen Zeit, nicht einmal ob er männlich oder weiblich sei. Gerade an heutigem Tag ist es so weit, als neue Schlacht begann. Eigentlich wollte er die Tochter des Generals an einem sicheren Ort unterbringen, sich später um sie zu kümmern. Jetzt wird er anders handeln, mitnehmen. Sie wird ihm zur Seite stehen, denn … sie ist es. Der erwartete Krieger wird ihm beistehen. Geistig abwesend fing Moureu an zu schwanken, sang einige Verse der Prophezeiungen:

»… kommen wird der Krieger, selbst geweiht dem Tod, am ersten Tag der Not … Das Gewicht an der Waage, der Glücksdrache wird sein … … den Einen wird er retten, um die Seelen des Lichts zu verketten, der letzte Krieg wird des Einen, denn … Geister aller Zeiten, hören auf deren Wort.«

Seine Kopfschmerzen wurden schlimmer. Sie ist der Glücksdrache des Todes, dämmerte es Moureu. Und wer ist dann der Tod, ihre zweite Hälfte, der wahre Todesbringer?

»… Ihr Leben und das seine …, denn, … sie sind der Eine …«

Moureu wurde es erneut schwindlig, er konnte seine Gedanken nicht mehr nachvollziehen. Ob seine Sinne wegen der Vorbereitung so geschwächt seien, fragte sich Moureu, dass er sie nicht erkannte? Eigentlich müsste er Lin sofort in Sicherheit bringen, aber, sie wird das mit sich nicht machen lassen, so schätzte er sie ein. Die Angelegenheit wird er unverzüglich an die Familie weitergeben.

»Herr Yi, ich bin zu tiefst beschämt mich jetzt zu entschuldigen, aber ich muss sofort zum Sender«, sagte Moureu zum Herrn Yi.

»Aber Herr Moureu, wir werden auf sie warten, egal wie lange. Lassen sie sich Zeit«, sagte Herr Yi höfflich. »Es ist ihr Haus, sie kennen den Weg.«

»Danke Herr Yi«, antwortete Moureu, stand auf und verschwand.

Der Funkraum befand sich im zweiten Stock der Festung, Moureu schaltete den Kurzwellensender ein. Die Anlage brauchte Zeit um die automatischen Einstellungen vorzunehmen und die Antenne auf dem Dach herauszufahren. Ein Teil der Kommunikation unter den Wu, wie auch mit den Yi, wurde codiert über Kurzwellen übermittelt. Die Nachrichten waren nur einige Sekunden lang, dadurch nicht zu orten. Üblicherweise nahm man die Nachrichten zuerst auf einem Computer auf, verschlüsselte und erst dann verschickte. Auf der anderen Seite wurde ständig aufgezeichnet, herausgefiltert, vom Computer entschlüsselt. Bei dieser Nachricht wollte sich Moureu das ersparen, niemand wird den Sinn verstehen. Er stellte die Frequenz ein, nahm das Mikrofon und sprach deutlich und schnell. Sein glattes Gesicht zuckte aus mehreren Gründen:

»Glücksdrache in meiner Hand, zu unserer Zeit. Frau.«

Moureu hatte drei Pflichten seiner Träume zu erfüllen. Die erste ihm offenbarte Pflicht hatte er bereits hinter sich, er hatte die Letzten zusammengebracht. Die zweite Pflicht war einen wahren Krieger zu finden. Moureu fühlte es, der Glücksdrache müsste dieser Krieger sein. Die dritte Pflicht … für diese war er nicht bereit, seine Kraft war noch nicht so weit. Eigentlich hoffte er innig, dass er diese letzte Pflicht nie übernehmen muss, dass sie ihm zu seiner Lebzeit nicht anstehen wird.

Hektisch stand er auf, die Zeit drängte ihn. Mit dem Herrn Yi wird er die Angelegenheit mit der Vortäuschung von Lins Tod besprechen müssen, Papiere für Lin organisieren. Für Herrn Yi war es kein Problem eine Person ohne Kontrolle aus dem Land herauszubringen, aber in Frankfurt könnte es etwas umständlicher werden. Sie wird echte Papiere brauchen. Kein Problem, dachte Moureu, die ersten Papiere werden im Jet der Yi auf Lin warten. In zwei Stunden werden sie abfliegen, nach Frankfurt, aber nicht direkt, das wäre zu riskant, sie werden mehrfach die Jets wechseln. Die Wache für den Schlafenden verstärken und besser organisieren, das wird er mit dem Herrn Yi zuerst besprechen. Das hatte Vorrang. Weitere Krieger werden entweder unterwegs stoßen, oder bereits in Frankfurt warten.

Er begriff, seine Stimmung änderte sich schlagartig. Ein Drache an seiner Seite, das war ein Omen, Joker in der Hand, mehr … ein Segen und Geschenk der Ahnen!

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