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Glücksdrache des Einen
ОглавлениеMoureu war schon lange hellwach, hielt die Augen geschlossen, sortierte die Ereignisse des vorangegangenen Tages und der letzten Stunden vor dem Abflug. Bis jetzt lief alles sehr gut. Herr Yi hat die Wache für den Schlafenden verstärkt und umorganisiert. Nur die eigenen Leute vom Herrn Yi werden anwesend sein, ein Kommando der Triaden. Gute Leute, überlegte Moureu, die Besten die es zu finden gab. Sie könnten es mit einem Sonderkommandotrupp, oder gar der ganzen Polizei der Stadt Frankfurt aufnehmen. Diese Männer waren keine üblichen Kriminelle, sondern allesamt ehemalige Militärs und Polizisten, Angehörige der Sondereinheiten. Sie standen im Soll der Triaden und bildeten eine schlagkräftige Armee, welche nur im Krieg aktiviert werden sollte. Bei der Gründung der Gruppe bedachte man die Kriege gegen andere Organisationen, welche den Triaden zu nahe kommen, zu führen. In Südamerika, den USA, überall auf der Welt waren kleine mobile Trupps anwesend. Frankfurt war der wichtigste Verkehrsknotenpunkt in Europa geworden, die Drehscheibe aller Bewegungen und Aktivitäten, daher wurde dort die größte und beste Gruppe fest stationiert. Früher war es London gewesen, aber nach der Öffnung des Ostens wurde die Gruppe nach Frankfurt verlegt. Die Männer der Triaden werden da sein, dessen war sich Moureu sicher, sie waren bereits da. Er musste sich vorerst keine weiteren Gedanken um die Sicherheit des Schlafenden machen. Bruder Ketamori wird die geeigneten und neutralen Kämpfer aussuchen, diese Moureu zukommen lassen. Es werden wenige Männer sein, nur eine kleine Truppe als Begleiter. In Frankfurt wäre eine größere Gruppe viel zu auffällig, hätte nur sich selbst in Gefahr gebracht. Wären sie woanders, in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent, dann würde Bruder Ketamori Dutzende schicken, Hunderte, wenn nötig sogar Tausende. Sie werden sich vielleicht schnell bewegen, ihre Aufenthaltsorte wechseln, untertauchen müssen, das Opfer in Sicherheit bringen. Je weniger Beteiligte, überlegte er, umso besser.
Moureu machte die Augen auf und schaute auf den Bildschirm des Laptops auf dem Sitz neben ihm. Bruder Azala hat sich gemeldet. Moureu enträtselte die Nachricht. Die knappe Antwort lautete:
»Glücksdrache ist der Erwartete. Vor eigenen Augen, geblendet vom Spiel, übersehen alle den Tod. Über ihn spricht man nicht.«
Er hatte sich nicht getäuscht, Lin war die Person, für welche er sie hielt. Ihre zweite Hälfte wäre vor Augen aller, und doch unsichtbar. Lins Spiegelbild war der Tod, also war sie das Leben. Sie war … ein Teil des Ganzen. Was bedeutet das, dass ihn alle übersehen, den Tod übersehen, über ihn nicht sprechen? Bruder Ketamori schrieb:
»Vier gerufen, einer gegangen. Drei kommen.«
Moureu verstand es, drei für die Aktion geeignete und ausgesuchte Kämpfer werden auf sie warten und mitgehen. Der Vierte war tot.
Moureu las weitere Nachrichten, fand nichts mehr was diese Angelegenheit betraf, nur Allgemeines. Der General Chi hat die ihm übertragene Nachricht übermittelt. Der Bitte wird entsprochen. Jede Hilfe steht ohne Limit zur Verfügung. Moureu verstand den Sinn. Ohne Limit bedeutete: Er kann anfordern, was er will. Die Chinesen hatten schon immer eine gute Nase, das Gespür für das Bevorstehende. Das verhieß nichts Gutes, wenn die Chinesen ohne Wenn und Aber alles anboten. Sie müssen schlechte Vorahnungen haben. Die Chinesen wussten nicht mehr als er selbst, vermuteten jedoch aus der Nachricht vom General Chi, dass es diesmal ernster sein wird und wesentlich mehr auf dem Spiel stand als sonst. Sinn der über den General Chi verschickter Nachricht war eigentlich nur reine Vorsicht. Falls Moureu den Schlafenden nicht in Obhut seiner eigenen Gruppe bringen kann, sollten sie versagen und am Ende nur das Opfer und Lin übrig bleiben, falls es keinen Ausweg mehr gäbe, dann müsste Lin mit dem Mann bei den Chinesen Schutz suchen, und nach China zurückgehen. Sie werden dann von der höchsten Ebene offiziell beschützt. Wir werden im Stillen zuschlagen, überlegte Moureu, der Feind weiß nicht, dass wir es wissen, da sein werden. Moureu verfiel in Trance.
Lin wachte mit Entsetzen und schweißgebadet auf. Sie wusste nicht, wo sie war, schaute sich um und stellte fest, sie war in einem Flugzeug. Der Passagierraum war vollkommen leer. Sie drehte sich erneut um und bemerkte zwei Reihen hinter ihr den Moureu. Lin brauchte nur einige Sekunden um sich an alles zu erinnern. Moureu war ihr wohl gesonnen, das war ihr schon klar. Er war ein Freund des Vaters und wird ihr uneingeschränkt helfen. Sie entschied sich, sie sollte ihm voll vertrauen. Sie erinnerte sich auch an die Feier. Wie eine Prinzessin wurde sie behandelt. Lin wusste Bescheid, wer die Familie Yi war, eine der schlimmsten Triaden, die es überhaupt gab. Alle warnten vor den Yi, es hieß immer: Lasst die Finger von den Yi, den Söhnen der Geister. Die Familie wäre verflucht, alle die sich ihr in den Weg stellen werden den Tod der Tausend Feuer sterben. Lin verstand die Warnungen, die Familie stand unter dem Schutz von ganz oben.
Lin hat es anders empfunden, alles stand im Gegensatz zu dem, was die Leute erzählten. Sie wurde mit Respekt, Ehre, Hochachtung, sogar Bewunderung empfangen. Einige Frauen am Tisch weinten, als sie sich verabschiedete, diese hatten sie an den Händen festgehalten und wollten sie nicht gehen lassen. Sie bettelten um Ihre Glückwünsche, was Lin nicht verstand. Sie war doch nur … ein Niemand. Sie bildete sich ein, als Moureu und sie den Raum verlassen haben, um den Hubschrauber zu nehmen, da fielen die Anwesenden im Raum auf ihre Knie. Sie war sich dessen nicht ganz sicher, sie sah es aus dem Augenwinkel der Benommenheit, sie wollte und dürfte sich nicht umdrehen, aber sie meinte, es wäre wirklich so passiert.
Bevor sie mit Moureu aufbrach, kam Herr Yi und forderte sie auf, bestand fest darauf, dass sie vom Gabentisch hinter ihr das mitnimmt, was ihr gefällt, oder das, was sie in der Zukunft gerne hätte. Es nicht mitzunehmen käme einer Beleidigung gleich, sagte der alte Mann, einer Beleidigung den Yi gegenüber, der Geister der Ahnen.
Zunächst verstand sie nicht seinen Satz, bis sie die Fotos sah. Da lagen Fotos von Babys, Kinder, Männer, Frauen, Familien. Schmuck! Haben die gerade ein Juweliergeschäft ausgeraubt? Klar, was denn sonst, überlegte Lin, das wäre die einzige logische Antwort, sind ja schließlich die Triaden. Unzählige Waffen, Messer, Revolver, Pistolen, die meisten mit edelsten Verzierungen und Überarbeitungen, mit Edelsteinen besetzt. Am seltsamsten fand sie jedoch die Fotos.
Lin hatte nur einige Minuten Zeit um das auszusuchen was sie begehrte, oder ihr gefallen könnte. Eigentlich, sie wollte nur weg, allein sein. In die gereichte Tasche legte sie ein Foto, das Foto von einem im Schlaf lächelndem Baby. Sie nahm eine alte Armbanduhr, eine schlichte Jäger Reverso aus Stahl mit Lederband. Viele Rolex, mit Brillanten besetzt, diese ließ sie liegen. Chinesen schenkten nie eine Uhr, das war eine provokative Beleidigung, aber hier ging es nicht um die Schenkung. Die Menschen ließen auf dem Gabentisch das Wertvollste, was sie in dem Augenblick bei sich hatten, oder das, was sie für das Wertvollste betrachteten. Sie suchte sich einen silbernen Ring mit glänzendem Stein aus. Der Stein dürfte wohl ein Kristall sein, denn so großen Brillanten gab es bestimmt nicht. Zu ausgesuchter Reverso gefiel ihr ein silbernes Armband mit Jade. Und ein Halstuch. Das Halstuch war besonders schön, weder das Muster, die Stickerei, noch das Material, hatte sie je gesehen. Es muss sehr alt gewesen sein, das Geflecht, dachte Lin, jedoch in perfektem Zustand. Lin war sich nicht sicher, meinte aber, die alte Frau mit den trüben Augen hatte das Halstuch hingelegt. Lin ließ alles andere liegen. Ach ja, sie nahm einen S&W Performance Center Magnum mit vier Zoll Lauf und den beiliegenden Messer mit. Mit dem Messer und dem Revolver fühlte sie sich nicht mehr hilflos. Im Flugzeug warteten mehrere Koffer mit vorbereiteter Bekleidung auf sie.
Lin fasste sich an den Bauch, das Messer war noch da. Lin bewegte den Arm nach hinten und spürte im Hosenbund am Rücken den Revolver. Die Schnelllader waren in der großen Tasche. Wo bin ich geraten, fragte sich Lin, in welcher Welt bin ich gelandet, was sind das für Leute? Moureu, er ist gefährlich, er sieht wie ein Geschäftsmann aus, das ist er aber nicht. Er ist ein Geschäftsmann des Todes. Er hat meinem Vater versprochen sich um mich zu kümmern, mir zu helfen. Ich muss trotzdem aufpassen, stellte sie fest, wer weiß, was er von mir will. Lin drehte sich um und schaute zu Moureu rüber. Ihm schien es nicht gut zu gehen, als ob er einen Anfall hätte. Sie stand auf und ging zu ihm, stellte sofort fest, dem Mann ging es wirklich nicht gut. Moureu hatte einen Anfall, etwas Ähnliches. Lin fasste Moureu an seine Schulter und presste ihn in seinen Sitz zurück.
Moureu verspürte einen kräftigen elektrischen Schlag, als ihn Lin anfasste. Dieser Schlag holte ihn aus dem Zentrum seines Unterbewusstseins zurück ins Dasein, er kam schnell zu sich, blickte in Lins grüne Augen.
»Geht es Ihnen gut?« Lin klang ernsthaft besorgt.
»Was hast du gemacht, was hast du gerade gemacht?« Moureu war noch benommen.
»Nichts, ich wollte nur helfen«, antwortete Lin schlicht.
Moureu sagte kein Wort, richtete sich im Sitz auf und versuchte klar zu werden.
»Lin, bring uns bitte etwas zu trinken. Irgendetwas. Die Getränke sind vorne, rechts neben der Tür«, sagte Moureu. Es wurde ihm gerade bewusst, Lin hatte ihn angefasst, wodurch er den gefühlten Elektroschlag abbekam. Sehr wenige konnten mit nur einer Berührung jemanden aus seiner Trance sofort zurückholen. Lin war viel mehr, als nur ein einfacher erwarteter Krieger. Sie war … das, was sie war, was die Prophezeiung sagte.
Lin drehte sich um, ging zu der Bar und pickte zwei Flaschen Mineralwasser heraus, machte sie auf, nahm zwei Becher und kam zurück.
»Setz dich bitte hier«, sagte Moureu, nahm den Laptop weg und zeigte mit der Hand auf den Platz.
Lin setzte sind neben Moureu, goss das Mineralwasser in die Becher und reichte einen Becher Moureu. Moureu nahm den Becher entgegen und trank es auf in einem Schluck aus. Lin schenkte nach.
»Lin, ich muss mich mit dir unterhalten«, sagte Moureu.
»Ja«, antwortete Lin bereitwillig.
»Lin, ich habe keine Zeit, wir haben keine Zeit für lange Gespräche. Entweder du glaubst mir, oder du glaubst mir nicht«, sagte Moureu trocken.
»Ich verstehe.« Sie verstand nichts, gar nichts.
»Lin, wir werden zum Auftanken zwischenlanden. Wenn du möchtest, dann kannst du aussteigen. Du hast jetzt gültige Papiere, sie sind in Ordnung. Niemand wird dich je finden können. Niemand wird dich mehr suchen, offiziell bist du seit heute tot, du hast Selbstmord begangen. Du wirst deine Ruhe haben, wenn du ein bisschen vorsichtig bist, dich von China und den Chinesen fernhältst. Du bekommst von mir ausreichend Geld mit, das du für immer ausgesorgt hast. Du kannst hingehen, egal wohin, wo du willst, du kannst genießen und leben. Oder …«, hier hörte Moureu auf.
»Oder was?« Lins frage klang etwas forsch. Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht, sie sollte jetzt gut aufpassen. Moureu wollte doch etwas von ihr.
»Du kämpfst mit«, sagte Moureu schlicht, trank den Becher aus und reichte ihn Lin zum Nachschenken.
Lin überlegte kurz und hackte nach:
»Mitkämpfen, an ihrer Seite? Gegen wen? Warum? Wer seit ihr überhaupt?«
»Was hältst du vom Kampf Gut gegen Böse?«
»Das ist relativ, zu allgemein, reicht mir nicht aus. Was ist denn Gut, was ist überhaupt Böse?« Lin verstrickte Moureu in eine rein philosophische Frage.
»Gut, stimmt, dann mache ich es einfacher: das Licht gegen die Dunkelheit? Die Dunkelheit will das Licht verschlingen? Wäre das akzeptabler? Wir kämpfen gegen die Dunkelheit.«
Lin dachte nach. Die Werte, welche ihr Vater ihr einst beigebracht hatte, wurden wach. In ihren Träumen ging es auch um das Licht und die Dunkelheit.
»Das klingt deutlicher. Ich mache nichts ohne es vorher zu verstehen. Wenn ich es verstehe und weiß, um was es geht, wenn ich überzeugt bin, dann mache ich vielleicht mit«, antwortete Lin bedacht.
»Lin, Hast du schon von den Wu gehört?«
Lin müsste überlegen, ließ sich Zeit. Natürlich hat sie von ihnen gehört, sie hat ja die Geschichte und Philosophie studiert. Die Geschichten aus der Vergessenheit kamen langsam an die Oberfläche. Es waren nur Bruchstücke und Teile, an welche sie sich noch erinnern konnte, nichts Festes. Gefühle wurden wach, jedoch keine konkreten Erinnerungen. Ein schemenhaftes Bild der Geschichte entstand vor ihrem geistigen Auge. Die geheime Brüderschaft der Wu, Brüder Wu, Onkel und Väter Wu, sie hatten viele Namen, aber der ursprüngliche war Wu. Die Legenden waren älter als das chinesische Volk. Der Gelbe Kaiser soll ein Wu gewesen sein, auch der Erste Erhabene Kaiser. Die Wu wurden von ihrem Feind verfolgt und gejagt, der Feind vernichtete Dörfer, sogar gesamte Völker, nur um einen einzigen Wu zu bekommen. Die Wu wären angeblich unsterblich, sollen Kinder der Geister sein, Seher, Lehrer, Berater der Kaiser, Beschützer der alten Nation. Sie waren die Einzigen, welche dem Feind trotzen konnten, aber, erinnerte sich Lin, es stand nirgends wer, oder was dieser Feind war. Angeblich beeinflussten die Wu die Kaiser die Große Mauer zu bauen, um den Feind draußen zu halten. Die Wu sorgten dafür, dass die Kaiser selten die Grenzen überschritten und keine Expansionen machten, damit der Feind kein Schlupfloch findet. Von den Wu kam vieles her, I-Qing, Tai-Chi, Philosophie, Dao. Auch Shuai … Tja, wenigstens da kam sie den Wu nach, grinste Lin vor sich hin.
»Es sind Legenden, Herr Moureu«, erwiderte ihm Lin mit leiser Stimme. Etwas brodelte in ihr hoch, sie fing an flacher zu atmen, bekam schwer Luft. Sie fühlte sich bedrängt, so wie in den USA, als sie angegriffen wurde, und einst davor …
»Lin, frage dein Herz, frage dein Bauch, nein, frage deine Gefühle! Egal was erzählt wird, in jeder Legende ist immer etwas Wahrheit. Ich bin ein Wu. Du bist eine von uns, ob du es willst, oder nicht. In uns leben die Geister der Ahnen, so kann ich es am einfachsten ausdrücken. Ich will dich jetzt nicht weiter verwirren, aber, wir haben auf dich gewartet. Du wurdest angesagt, die Seher haben dich angekündigt, wir haben dich in unseren Träumen gesehen … ich habe dich in meinen Träumen gesehen«, erzählte Moureu mit voller Hingabe.
»Das sind nur Geschichten, wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Es gibt keine Geister!«, schrie Lin plötzlich zurück, ihre Hände fingen an zu zittern, sie bekam stechende Kopfschmerzen und legte beide Handflächen fest an ihre Schläfen, schüttelte mit dem Kopf hin und her.
»Lin, entschiede dich. Ich habe weder die Kraft, noch die Zeit … mich mit dir länger zu unterhalten. Es ist zu kompliziert, kein Märchen. Es ist wahr. Ohne unsere Hilfe werden Menschen sterben, viele Menschen. Ich bin gerade auf dem Weg einem Unschuldigen das Leben zu retten. Mein Wort steht, du kannst aussteigen, wenn es dir lieber ist. Das Geld bekommst du sofort in bar, hier und jetzt. Oder …, du kannst wie die Wu … etwas tun«, sagte Moureu erschöpft, »und dafür vielleicht sterben.«
Lin versuchte wieder logisch nachzudenken. Vielleicht war dieser Mann ihrem Vater etwas schuld, oder jemandem, den der Vater kannte. Vielleicht wollte er ihr nur deswegen das Geld geben und eine neue Identität verschaffen. Es wäre aber unlogisch und unglaubwürdig. Der Vater hat diesen Mann gebeten ihr zu helfen, ihr schien es sogar, der Vater hätte sich gedemütigt gefühlt, als er diesen Mann nach der Hilfe fragte. Also, es gäbe absolut keine Gründe, dass ihr dieser Mann hilft. Sie war für Moureu mehr wert als das Geld, stellte sie fest. Ihre Kopfschmerzen wurden stärker, sie taumelte leicht hin und her. Moureu will sie dabei haben, dachte sie weiter, aber warum? Lin war selbstverständlich bewusst, was sie alles konnte, aber es gab Tausende mit gleichen Fähigkeiten. Sie war nichts Besonderes. Da muss doch etwas Wahres an Moureus Worten dran sein.
Auf einmal ging ihr das Licht auf! Die Familie Yi hat sie wie eine Kaiserin behandelt, obwohl sie zum ersten Mal da war. Nichts war gespielt. Und ihr Vater, er wurde sie nie in eine Schwierigkeit bringen, dessen war sie sich sicher. Ihr Vater hat für sie immer nur das Beste gewünscht und getan. Der Vater hat mehr gewusst, als er sagte, er wisse genau, warum er sie zu der Familie Yi bringt, zu diesem Mann. Nicht nur um die Papiere und das Geld für sie zu bekommen. Die Gedanken gingen ihr schnell durch den Kopf, sie konnte sie weder nachvollziehen noch analysieren. Es blieb ihr nur ein Gefühl, Gefühl der Entscheidung. Lin wusste, was sie zu tun hat, sie war eine Kämpferin.
»Ich bin dabei, ich kämpfe mit. Für meinen Vater«, sagte Lin.
»Lin, nicht für deinen Vater, für dich, für uns, für die Wu, für das chinesische Volk, für die ganze Welt, für die Menschheit. Für alles, das Überleben«, Moureu machte kurze Pause um Luft zu holen, legte dann drauf, »für den erwarteten Einen, Lin, für den Einen, und die Zwei die Eins sind! Für alle gefallenen Krieger, welche für Sie ihr Leben gaben! Wir kämpfen für die Zwei! Du bist der Glücksdrache des Einen, du bist ein Teil des Einen!«, schluchzte Moureu, umklammerte dabei Lin mit seiner Hand und verlor sich in Trance.
Als Moureu sie anfasste, erlitt Lin einen Stromschlag. Beim Wort Glücksdrache wurde Lin schwarz vor den Augen, sie taumelte und stolperte zwischen den Sesseln, stieß sich dabei an einer Lehne den Kopf an, knallte auf den Boden. Durch den gestiegenen Blutdruck platzten ihr die Blutgefäße in der Nase, das Blut fing an zu fließen. Sie konnte sich nicht mehr bewegen, war wie gelähmt. Visionen aus ihrer Kindheit, die Geister die sie quälten, sie kamen alle gleichzeitig empor. In einer Sekunde und auf einen Schlag wurden alle Träume, seit sie denken konnte, zur Wirklichkeit. Einen besonderen Traum hatte sie oft gehabt, sogar gerade eben im Flugzeug, kurz bevor sie aufwachte. Lin verfiel selbst in Trance, ihr Körper vibrierte gleichmäßig, das Blut floss ihr kräftiger aus der Nase. Ihr Traum kam wieder!
Lin flog über die Erde, sah unter sich die Wiesen, ferne Berge. Ein schwaches Licht zog sie magisch an, sie flog auf das Licht zu und stellte erst jetzt fest, sie hatte Flügel. Sie flog weiter auf das Licht zu und sah, wie sich die Dunkelheit um das Licht ausbreitete. Sie spie Feuer, um die Dunkelheit zu vertreiben, nach oben, nach unten, links und rechts. Sie war ein Drache, das wusste sie genau, sie war ein Drache! Sie legte ihre Flügel um das Licht, um es vor der Dunkelheit zu schützen, schaute besorgt in das Erlöschende hinein. Dieses wurde plötzlich unbeschreiblich hell und glänzend, wie ein Spiegel, schimmerte blau- grau- grün. Lin schaute in die Augen der Ewigkeit, Augen aus ihren Träumen! Sie strahlten eine unvorstellbare Wärme aus, ein Gefühl der Geborgenheit, Sicherheit, und Sie baten um Hilfe. Das Bild in ihrem Kopf änderte sich, sie sah jetzt zwei Drachen nebeneinander fliegen, der eine war wie aus Gold, der andere rot, wie das frische Blut. Er war tatsächlich blutverschmiert, das Blut tropfte von ihm ab. Die Drachen flogen in die Höhe, majestätisch, frei, flogen in das große Licht hinein, wurden selbst zum Licht.
Es ist wahr, dachte Lin, es ist wahr! Alles ist wahr, ich bin ein Drache. Ich habe es schon immer gewusst. Ich muss ihn finden! Lin verlor das Bewusstsein. Das Blut aus der Nase hörte auf zu fließen, ihr Puls beruhigte sich, sie atmete tiefer und gleichmäßiger.