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Wiedergutmachung
ОглавлениеMohammad hatte als Kind viele Explosionen erlebt, bereits in der Wiege, falls er überhaupt eine hatte. Er wurde in Beirut geboren. Die Explosionen waren häufiger als es das fließende Wasser und den Strom gab. Als Kind schaute er nachts zu, wie der Himmel bunt aufleuchtete, zählte die Blitze. Tagsüber gab es nur ohrenbetäubenden Krach, keine schönen Lichter. Als Jugendlicher schloss er sich einer Gruppe an. Alle die er kannte, gehörten irgendeiner der Gruppen an. Es wurde ihm erklärt, wer der Feind sei, warum der Krieg stattfand. Es wurde ihm beigebracht, die Explosionen selbst zu verursachen. Mohammad war von den Explosionen begeistert, er wurde der beste Krachmacher, wie er sein Tun selbst nannte. Er bekam daher auch den Namen, der Krachmacher. Mohammad kämpfte mit voller Hingabe, so wie alle in der Gruppe. Er wurde weitergereicht, war in verschiedenen Ländern, auch in einigen, wo es keinen Krieg gab. Dort nahm er an diversen Ausbildungsprogrammen Teil. Danach kämpfte er weiter, wusste aber oft nicht einmal für wen, oder warum er das tat. Eines Tages wurde beschlossen, er solle nicht mehr an den Ausbildungen teilnehmen, er wird diese leiten, denn, er wäre der Beste Krachmacher. Irgendwann brauchten die bosnischen Auftraggeber die Unterstützung, außerdem sie zahlten sehr gut. Mohammad wurde nach Bosnien geschickt und machte das, was er konnte, das Einzige, was er je gelernt hatte. Andere sagten zu ihm, er wurde kämpfen.
Zu viert fuhren sie in einem zerschossenen Geländewagen in das Dorf hinein. Die meisten Häuser waren von den Granaten getroffen und zum Teil bereits abgebrannt, der schwarze Rauch stieg hoch in den Himmel. Der Fahrer machte vor der Kirche halt. Sie stiegen aus und verteilten sich, um als Ziel nicht auf dem Präsentierteller zu stehen. Aus einem Gebäude tauchten etwa zehn Männer auf, sie hatten die üblichen Kampfanzüge der Einheimischen an, waren bis an die Zähne bewaffnet. Einer der Männer sprach mit Mohammads Dolmetscher, dem Fahrer des Geländewagens. Der Dolmetscher nickte mehrmals mit dem Kopf zu und übersetzte es anschließend.
»Wir sollen das ganze Dorf präparieren, in zwei bis drei Stunden wird der Feind anrücken. Jedes Haus, viele Fallen, die Kirche separat, diese werden wir per Funk sprengen«, teilte der Dolmetscher Mohammad seinen Auftrag mit.
Mohammads Gruppe holte aus dem Geländewagen ihre Sachen und machte sich an die Arbeit. Sie verlegten Panzermienen, Personenmienen, Sprengmienen und etliche Sprengfallen, B-Traps. Dann kam die Kirche dran. Mohammads Dolmetscher meinte, am besten wäre es die Kirche von innen zu sprengen, man bräuchte weniger Sprengstoff und die Sprengpakete wären von außen nicht sichtbar. Der Gedanke war schon richtig.
Mohammad betrat die Kirche und blieb hinter der Türschwelle sprachlos stehen. Die Kirche war voll mit Menschen. Es dürften etwa zweihundert Menschen hier eingesperrt sein, stellte Mohammad fest. Langsam dämmerte es ihm, mit der Kirche sollten auch alle die drin waren in die Luft gesprengt werden. Die Menschen in der Kirche waren nur der Köder für den Feind, ein Wurm an der Angel. Das ist kein Kampf mehr, stellte Mohammad fest, das ist … genau das, was sie uns auch angetan haben. Mord!
Mohammad lief durch die Kirche, schaute sich die Gesichter der verängstigten Geiseln an. Das waren Kinder, Frauen, Männer, junge und alte Menschen, Babys. Der Gestank war unerträglich, es stank nach Schweiß, Urin, Blut, nach purer Angst. In einer Ecke sah er einen Mann, welcher offensichtlich entweder ein Sanitäter, oder ein Arzt war. Er trug einen ursprünglich weißen, jetzt blutverschmierten Kittel. Der Mann bemühte sich um mehrere Verletzte gleichzeitig, welche auf den Kirchenbänken lagen. Mohammad schaute sich diese Verletzten an, ohne Ausnahme, junge Männer und Frauen. Die Frauen sahen so aus, als ob sie zu schwerst missbraucht worden waren, die Männer trugen die Spuren der üblichen Verhöre.
So sahen wir auch aus, sagte Mohammad zu sich, das haben sie uns auch angetan. Für Mohammad waren die Jahre des Blutrauschs schon längst vorbei. Er wusste nicht genau seit wann, aber in den letzten Jahren hatte er sich verändert. Er war ein Kämpfer, ein Soldat, aber kein Mörder. Er wollte nicht wie "die Anderen" sein.
Sie alle werden umgebracht, stellte Mohammad erneut fest, alles Unschuldige. Durchaus möglich, dass sie Sympathisanten sind, sie sind aber keine Kämpfer. Vielleicht drei, oder vier der Anwesenden, aber alle anderen waren Zivilisten. Mohammad drehte sich nach allen Seiten um und sah in die blutigen und bittenden Augen der zum Tode verurteilten. Er brauchte nicht lange, bis sein Entschluss feststand. Nach einem Atemzug wusste er, was er tun wird. Mohammad ging auf den Mann im weißen Kittel zu.
»Sprechen sie englisch?«, fragte Mohammad in englischer Sprache den Mann.
Der Mann im Kittel richtete sich auf und antwortete sofort:
»Ja.« Dem Mann war anzusehen, er wollte keine Schwierigkeiten machen.
»Sind sie Arzt«, fragte Mohammad weiter.
»Ja, ich bin Arzt«, antwortete der Mann unbeeindruckt von Mohammads scharfem Blick.
»Kommen sie mit«, befahl ihm Mohammad und ging in eine Ecke. Die Menschen am Boden verteilten sich, machten sofort eine Schneise frei. Sie hatten Angst vor Mohammads Kalaschnikow und eventuellen Tritten.
»Hören sie mir gut zu, ich werde es nicht wiederholen«, sagte Mohammad zum Arzt und fuhr fort, ohne auf eine Antwort zu warten.
»Sie sitzen hier in einer Falle. Falle für ihre Freunde, welche gerade anrücken. So bald ihre Leute hier sind wird das Dorf und die Kirche in die Luft gesprengt. Sie sollen alle umgebracht werden.« Mohammad hörte auf zu reden und drehte sein Gesicht zu den Menschen, welche am Boden der Kirche kauerten. »Sie sollen alle sterben.«
Der Arzt stand wie versteinert da. Mohammad war sich nicht sicher, ob der Mann seine Worte verstand, denn der Mann hatte nicht geantwortet. Mohammad schaute den Arzt an, die Augen des Mannes konnten es nicht verbergen, er hatte jedes Wort verstanden.
»Ich kann das nicht zulassen. Ich werde es nicht zulassen. Hören sie zu, draußen sind etwa zwanzig Mann. Wenn ich nur ein Wort gegen ihr Vorhaben sage, werden sie mich sofort umbringen. Ich soll die Kirche zu Sprengung vorbereiten. Ich werde es machen … aber … ich werde den Funkzünder unbrauchbar machen. Bleiben sie ruhig, es wird nichts explodieren. Wenn sie mir nicht glauben, dann schauen sie genau zu was ich mache, wenn ich es verlege. Sie werden sehen, ich sage ihnen jetzt die Wahrheit. Sie werden draußen viele Explosionen hören, aber ihnen wird nichts passieren, die Wände sind stark genug. Gehen sie aus der Kirche erst raus, wenn ihre Leute da sind und kein Kampf mehr zu hören ist. Ich werde versuchen draußen so viele Sprengfallen wie möglich zu deaktivieren.« Mohammad hörte auf und überlegte. »Wahrscheinlich werden zuerst ihre Bewacher abrücken, danach wir, das Sprengteam. Ich werde versuchen als Letzter zu bleiben, damit ihnen wirklich nichts passiert.«
Mohammad drehte sich um, schaute sich die Menschen in der Kirche wieder an, die Kopfschmerzen in seinem Kopf wurden stärker. Er selbst saß in einer solchen Falle, ihm half keiner, ihnen half keiner, niemand war für da!
Das Haus wurde in die Luft gesprengt. Mohammad überlebte schwer verletzt, aber nur, weil die Körper um ihn herum die Splitter und die Wucht der Explosionen auf sich nahmen. Er überlebte. Weil ihn sein Vater umarmte, sein Leben für ihn gab. Später wollte er dem Feind das Gleiche antun. Deswegen hat Mohammad die Explosionen gleichzeitig gemocht und gehasst. Er ging aber nie gegen Zivilisten vor, nur gegen die Bestien in Uniformen, oder deren Vorgesetzten in feinen Anzügen.
Mohammad reichte seine Hand verdeckt dem Arzt ein. Der Arzt zögerte, gab Mohammad ebenfalls die Hand. Mohammad drückte fest und sagte:
»Ich stehe zu meinem Wort.«
Der Arzt erwiderte den Druck und fragte:
»Wie ist ihr Name?«
»Mohammad.«
»Wie der Prophet?« Der Arzt wollte es genau wissen.
»Nein, wie der Krieger, welcher den Feind bekämpft, aber die Unschuldigen verschont. Tun sie einfach was ich gesagt habe, beruhigen sie ihre Leute, machen sie keine Schwierigkeiten, keine Panik. Dann wird alles gut«, antwortete Mohammad leise, lies die Hand des Arztes los, drehte sich um und verließ die Kirche.
Mohammad tat, was ihm befohlen wurde, er verlegte Mienen, Sprengfallen, am Ende die Pakete in der Kirche. Ein einheimischer Soldat war immer in seiner Nähe, um auf ihn aufzupassen. In der Kirche wurde er sogar von drei bewaffneten Einheimischen bewacht und beobachtet. Mohammad steckte den Fernzünder in die Spalten der Steine statt in die Pakete des Explosivs. Der Arzt sah das und nickte ihm mit dem Kopf zu. Mohammad versuchte die Sprengpakete sehr hoch anzubringen, weswegen er auf eine mitgebrachte Leiter stieg. Die Bewacher haben nichts bemerkt. Ausgenommen des Arztes, hat von unten niemand den Fehler bemerkt. Die schwachen Explosionen der Sprengkapseln werden niemandem etwas antun, sie werden keinen Schaden verursachen. Die Bewacher schreiten herum und drohten den Geiseln, schlugen mit den Gewehrkolben auf einige ein. Mohammad verstand kein Wort, das war ihm egal, das änderte nichts.
Als seine Gruppe die Kirche verließ, brachten die bewaffneten Einheimische mehrere Handgranaten sichtbar an die Fenster und die Türen der Kirche an, damit niemand auf die Idee kommt, die Kirche zu verlassen.
Die Schusssalven kamen näher, die Einheimischen verzogen sich sofort, die Gruppe von Mohammad verteilte sich im Dorf. Sie werden erst abziehen, wenn die Show beginnt. Mohammad blieb in der Nähe der Kirche. Als seine Leute aus der Sicht waren, rannte er zur Kirche und entfernte die Handgranaten. Dann machte er sich an die Mienen in der Nähe der Kirche dran. Er arbeitete sich hastig und ohne jede Vorsicht voran. Er hatte keine Zeit mehr, da er aber die Mienen selbst verlegte, wusste er, was er tat. Mohammad ging von Mine zur Mine, von Sprengfalle zu Sprengfalle, deaktivierte sie der Reihe nach.
Am Dorfrand explodierte die erste Miene, jemand war in die Falle gelaufen. Schüsse fielen, Mohammad hörte wieder eine Miene, noch eine Falle ging hoch. Er war am Rande des Dorfs, auf seiner Seite hatte er bereits alle Mienen deaktiviert und drehte sich jetzt um. In geduckter Haltung rannte er auf die Kirche zu. Hinter sich hörte er Schüsse, er rannte weiter, ohne sich umzudrehen. Wozu auch? Als er an der Kirche war, drehte er sich zum letzten Mal doch um.
Der Schuss traf ihn seitlich in die Brust. Mohammad drehte sich um und fiel im Flug mit dem Gesicht in den staubigen Boden hin. Es war vorbei, das wusste er, dies war nicht seine erste Schusswunde.
Es war ein guter Schuss, ging Mohammad durch den Kopf, schade, einige Zentimeter weiter und er wäre schon tot, jetzt wird er elendig verenden. Er hörte die Stimmen über sich. Jemand trat nach ihm, drehte ihn mit seinem Stiefel um. Mohammad sah über sich die Mittagssonne und mehrere Gesichter. Er verstand nicht, was die Männer sagten, erinnerte sich nur noch daran, wie sich der Arzt aus der Kirche über ihn gebeugt hatte und an einen anderen Mann mit unverkennbaren bunten Augen. Jemand hob ihn hoch. Der Arzt versuchte ihm zu helfen, danach spürte er nichts mehr. Er erinnerte sich noch, wie der Mann mit den seltsamen Augen sich über ihn beugte, etwas erzählte. Mohammad konnte sich nur an einige seiner Worte erinnern. Der Mann sagte zu ihm, er hätte unschuldige gerettet, er wäre ein Heiliger und hätte eine reine Seele.
Mohammad wachte im Krankenhaus in Sarajevo auf und stellte erschrocken fest, dass er auf dem Territorium seiner Auftraggeber war. Die Geschichte mit der Kirche wird bald bekannt werden, seine alten Freunde könnten ihn jede Minute abholen.
Es lief ganz anders. Ein Arzt, begleitet von mehreren zwielichtigen Gestalten, holte ihn heimlich aus dem Krankenhaus heraus und brachte zu einem alten Mann. Bei diesem alten Mann blieb er vier Monate lang versteckt, bis seine Wunde geheilt war. Außerdem, die Stadt wurde belagert, er konnte sowieso nirgendwo hin. Der Arzt aus dem Krankenhaus kam öfters vorbei und versorgte seine Verwundung. Er meinte, er wäre ein Freund des Arztes aus der Kirche, außerdem, ein Freund des Mannes, welcher ihn angeschossen hatte. Seine Aufgabe war, Mohammad aus dem Krankenhaus zu retten und ihm so weit wie möglich zu helfen. Namen sind nie gefallen.
Der alte Mann erklärte beiläufig, der Arzt aus der Kirche und der Mann welcher ihn angeschossen hatte, wären Brüder. Er selbst wäre ein sehr alter Freund der Familie, sogar mehr als das. Mohammad führte lange Gespräche mit dem alten Mann. Außer den Vornamen hatte er nie erfahren wer, oder was der alte Mann war, nur dass er ein Gelehrter wäre. Es stand jedenfalls fest, in seinem Land, in Libanon, da hätten die Menschen diesen alten Mann als einen Erleuchteten, als einen wahren Propheten bezeichnet, als einen heiligen Mann.
Eines Tages, als er die Zeitung las, da wurde der alte Mann sehr nachdenklich. Auf Mohammads Frage, was los wäre, übersetzte der alte Mann den Zeitungsbericht.
In einem Wald unweit der slowenischen Grenze wurden Leichen mehrerer hingerichteten Männer gefunden. Hätte Mohammad es nicht bereits gewusst, dass sein Retter und seine Leuten bereits das Land sicher verlassen haben, dann hätte er auf sie als Opfer getippt. Im Zeitungsbericht stand weiter, dass niemand wisse, wie die getöteten Männer dort hinkamen. Sie hatten in der Feindesgegend nichts zu suchen. Alle wurden mit jeweils einem einzigen Genickschuss hingerichtet. Mehrere der Toten wurden bereits identifiziert. Diese Männer waren im Volk bestens bekannt, sie waren Mörder und Folterer, Helden und Freiheitskämpfer. Eine Zeitung schrie und stachelte nach der Rache, die andere verkündete ihre Genugtuung wegen der Hinrichtung. Die Zeitungen stellten übereinstimmend fest, dass die hinterlassene Nachricht des Täters, das Wort Drakon, eine tiefere Bedeutung hätte. Eine der Zeitungen schrieb, das Wort wurde in einigen Sprachen der Drache bedeuten, die Schrift wäre in roter Farbe, also ginge es um einen roten Drachen. Die andere Zeitung widersprach, sie war eher der Überzeugung, dass sich der Rächer auf den Drakon und auf seine Straffart beruft.
Das war die Fluchtstrecke von den Leuten, welche in das Dorf kamen, kombinierte Mohammad. Der Zeitfenster passt. Ohne weitere Indizien wollte er sich keine falschen Gedanken mehr machen. Die Leute waren weg, und das war gut so, sie waren nicht die Opfer.
In der Zeit, welche Mohammad bei dem alten Mann verbrachte, tauchten weitere Berichte über den Drakon. In verschiedenen Landesteilen wurden hingerichtete Verbrecher gefunden. Allen war eine Nachricht beigefügt worden, ob auf Papier, an irgendeiner Wand, oder sogar direkt an den Körpern. Die Nachricht war immer gleich und einfach, das Wort Drakon in roter Schrift. Es gab bereits Nachahmer, außer dem wahren Drakon war sonst niemandem das bewusst. Manchmal fragte sich Mohammad, ob der Mann mit den seltsamen Augen auf dieser Weise sein Krieg führte, verwarf jedes Mal den Gedanken, denn dieser war vollkommen absurd.
Der alte Mann erklärte ihm die Weltgeschehnisse aus einem ganz anderen Geschichts- und Betrachtungswinkel. Die Erklärungen dauerten fast zwei Monate an. Der alte Mann erzählte ihm ein Märchen. Nur … ein Märchen.
Am Ende dieser, für Mohammad der wunderbarsten Zeit seines bisherigen Lebens, sagte Mohammad ein schlichtes: »Ja.« Er hatte es verstanden, endlich verstanden.
Mohammad bekam neue Papiere und Geld, viel Geld. Das Geld kam von dem Mann, der ihn angeschossen hatte, sagte der alte Mann abwesend. Er gab Mohammad die Namen und Adressen der Verbindungsmänner, welche ihn außerhalb des Landes herausbringen werden, gab ihm den Tipp nach Kreta zu verschwinden, bereitete diesbezüglich alles für ihn vor. Beim Abschied erwähnte der alte Mann beiläufig, einst war er selbst ein Krieger gewesen, stand sogar dem letzten Jäger zur Seite. Er wünschte sich, Mohammed wäre nun erwachsen geworden und würde selbst seinem Jäger beistehen, dass er endlich ein erwachsener Mensch wird und kein Spinner mehr. Er solle seinem Schicksal folgen.
Mohammad fragte nach, was er mit der Bezeichnung Jäger meinte. Der alte Mann antwortete zuerst nicht, sagte schließlich, er solle es lieber nicht wissen wollen, sonst wird sein Leben noch beschwerlicher werden, als es schon sei. Vielleicht wird Mohammad eines Tages den Ruf hören und Seite an Seite kämpfen. Dann sollte sich Mohammad an ihn erinnern und für ihn, in seinem Namen, mitkämpfen. Sein Geist und seine Kraft werden ihn begleiten, seine Seele wird ihm beistehen, denn er möge ihn. Der große Jäger hätte ihn gemocht.
»Vergiss es nie, Blut ist stärker als Wasser, so sagt man es bei uns. Oder, Apfel fällt nicht weit vom Baum. Das ist dasselbe. Der letzte Jäger ist tot.« Der alte Mann machte die Augen zu und tauchte in seine Erinnerungen und Gedanken ein. »Aber er lebt, das weiß ich, und er ist stärker denn je zuvor. Stärker, als er es zu denken vermag! Nur, er weiß es nicht. Das haben wir gut gemacht … hat geklappt. Ich habe alles getan, um was er mich gebeten hatte. Schade, ich bin zu alt. Ich würde ihm gerne zur Seite stehen, dem neuen Geist. Verdammt, warum bin ich nur so alt, wer wird ihm jetzt beistehen? Er hat sich seinen Weg selbst ausgesucht. Wer wird ihn jetzt begleiten? Verdammt! Er ist allein, sieht die Tausende um ihn herum nicht.«
Der Alte schaute den Mohammad an, ging zum Fenster und lehnte sich auf die Fensterbank. Mohammad ließ ihn in Ruhe, stellte keine Fragen. Natürlich hat er die Worte des alten Mannes nicht verstanden.
Mohammad bekam das Handy. Er tat das, was der alte Mann vorgeschlagen hatte, er verschwand. Seit dem Tag wartete er sehnsüchtig auf den Anruf. Er wollte unbedingt seine Pflicht erfüllen und Kämpfen, diesmal gegen den richtigen Feind antreten, das tun, was der alte Mann ihm vererbte. Seit Sarajevo war er auf den Kampf bereit und dachte ständig an den alten Mann. Er wird dem Alten folgen. So wie dieser alte Mann wäre sein Vater geworden, wäre er damals nicht … für ihn gestorben.
Mohammad hatte, außer seiner Erinnerungen, nichts mehr zu verlieren. Gar nichts. Alle aus seinen Erinnerungen und Gedanken waren tot. Sein Vater und der alte Mann waren tot, er selbst war schon lange tot. Diesmal wird er den Krieg des Alten führen und das machen, was der Alte einst sagte. Der Tag wird kommen … und er wird dabei sein.