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Kinder der Geister
ОглавлениеHerrscher Yi schlenderte durch die große Eingangshalle seiner Festung und inspizierte jede Kleinigkeit, Sauberkeit, Dekoration, ob die Anwesenden wie erwünscht dem Gebrauch entsprechend angezogen waren. Er würde nichts dulden, aber es gab keinen Anlass etwas zu bemängeln. Alle wussten mehr als genau was von ihnen erwartet wurde. Die Eingangshalle war mit feinstem Granit und Marmor ausgelegt, an den weißen Marmorwänden hingen, von unsichtbaren Leuchten bestrahlt, die Werke der Meister vergangener Epochen. Originale. Die Decke war seitlich mit Spiegeln umrahmt, was dem Raum zusätzliche Höhe und Eleganz verliehen. Entlang der Wände waren unzählige Menschen versammelt, Männer und Frauen, Greise und Kinder, teilweise in Dreierreihen. Die Älteren saßen vorne auf den Stühlen, die Jüngeren standen daneben oder dahinter. Mütter hielten ihre Kleinkinder in den Armen, ältere Kinder waren neben ihren Eltern und versuchten die Aufregung zu verdrängen. Die Atmosphäre war zwar allgemein angespannt, aber nicht unangenehm. Die Gespräche der Menschen klangen in der großen Halle wie das Rauschen eines Bachs, einzelne Wörter waren nicht zu verstehen. Auffallend war, dass alle Anwesenden, sogar Herr Yi, alte und abgetragene Kleidung trugen. Herr Yi schaute sich nach allen Seiten um, nickte merklich zufrieden. »Hi, hi«, als Wiedergabe seiner Zufriedenheit war nur in unmittelbarer Nähe deutlich zu verstehen. Bis auf wenige entschuldigte Ausnahmen, die gesamte Familie Yi war versammelt. Über 300 Personen reihten sich in ihren eigenen kleineren familiären Verbänden ein, um die Ehre zu erweisen.
An der Tür zum Treppenhaus und zum wohnungseigenen Aufzug hielten Männer in schwarzen Anzügen und Sportbekleidung die Wache. Sie versuchten unschuldig auszusehen, unter ihren Jacken sah man deutliche Umrisse nicht gerade kleiner Waffen. Einer dieser Männer neben dem Aufzug kam auf den Herrn Yi zu und sagte leise:
»Großvater, er ist da, fährt gerade hoch.« Der nicht gerade junge Mann drehte sich um und lief zum Aufzug auf seinen Posten zurück.
Herr Yi klatschte in die Hände, worauf jegliche Unterhaltung abbrach. Die Anwesenden nahmen ihre Plätze ein und starrten erwartungsvoll zum Aufzug. Nach etwa einer Minute öffnete sich langsam die Aufzugstür und ein Mann betrat mit leichtem Schritt die Halle. Er war etwa eins achtzig groß, von mittlerer Statur, mit unauffälligem Gesicht, trug einen leichten dunkelgrauen Anzug, weißes Hemd mit Krawatte, glänzende schwarze Schnürschuhe. Abgesehen von den grauen Haaren, könnte er als etwa fünfzig Jahre alt geschätzt werden. Herr Yi rannte auf den Mann zu, blieb anderthalb Meter vor ihm stehen und beugte sich fast bis zum Umfallen dem Gast entgegen. Die Anwesenden in der Halle beugten sich, wie eben Herr Yi, ehrfürchtig vor ihrem Gast.
»Herr Yi, bitte nicht«, sagte der Gast, ging auf Herrn Yi zu, legte ihm die Hände auf die Schulter und hob ihn hoch.
Beide Männer klopften sich freundlich auf die Unterarme und Schultern des Anderen. Von den bisher stummen Anwesenden hörte man ein freudiges Rauschen.
»Es ist lange her, viel zu lange«, sagte Herr Yi.
»Ja. Ich freue mich Sie so gesund zu sehen, ehrenwerter Herr Yi«, erwiderte der Gast. Das war keine Floskel, die Freude stand ihm im Gesicht geschrieben.
Herr Yi nahm den Gast an den Unterarm und verkündete hastig und stolz:
»Kommen Sie, kommen Sie, ich möchte Ihnen meine neuen Urenkel vorstellen.«
Langsam schritten sie durch die Halle. Herr Yi blieb bei jeder anwesenden Person kurz stehen, jeder der vorgestellten Anwesenden sah dem Gast in die Augen, begrüßte ihn mit einem Danke und anschließender tiefer Verbeugung. Bei den Babys blieb Herr Yi etwas länger stehen und stellte die Neulinge der Familie dem Gast genauer vor. Das waren die neuen Mitglieder, welche der Gast noch nicht kannte. Zu jedem Kind äußerte der Gast seine Glückwünsche, legte den Babys seine Hand auf den Kopf und sprach kurze unverständliche Sätze, Gebete. Die Prozedur dauerte, denn die Familie Yi war zahlreich.
Am Ende der Halle gingen Herr Yi und sein Gast in einen kleineren Empfangsraum hinein, aus diesem Raum über eine breite Wendeltreppe eine Etage höher. Dicker Teppichboden verschlang deren Schritte. Sie durchquerten mehrere Arbeits- und Ruheräume, bis sie im Arbeitsraum von Herrn Yi ankamen. Dieser Raum war sehr gemütlich eingerichtet, fast wie ein Wohnzimmer. Die Möbel waren nicht unbedingt als modern zu bezeichnen, aber sie sahen sehr bequem aus. In der Mitte waren mehrere klassische Ledersessel mit Beistelltischen aufgestellt, die Wände waren voll mit Farbholzschnitten, sowie einigen Regalen mit Skulpturen. In einer Ecke wachte die lebensgroße Tonfigur eines Kriegers. Es war eine von nur zwei existierenden Figuren, welche sich außerhalb Chinas im Privatbesitz befanden. Die Figur war ein Geschenk des Gastes an die Familie Yi. Es war keine der bekannten Figuren aus der Ausgrabungsstätte des Königsgrabs des Ersten Erhabenen Kaisers, erklärte der Gast ausdrücklich als er damals die Figur mitbrachte. Der Krieger stammte aus dem Grab des Gelben Kaisers. Der Gast betonte, mehrere Geisterkrieger gingen mit dem Gelben Kaiser in die Ewigkeit ein, um ihre Nachkommen vor dem Bösen zu schützen. Sie waren bereits damals keine lebenden Krieger mehr, sondern auch nur deren Geister. Diese Tonkriegerfigur war einst von dem Geist besetzt, welcher der direkte Ahne der Familie Yi wäre. Der Geist war nun befreit und auf der Suche nach einem irdischen Körper. Seine alte Hülle wird ihn zu den Yi zurückführen, er wird in einem der Yi erneut geboren werden. Der Gast sagte nebenbei, diese Tonfigur wäre das einzige entsprechende Geschenk an die Familie Yi. Eine Wand des Arbeitsraumes vom Herrn Yi bestand nur aus Glas. Dem Besucher, welcher den Raum betrat, bot sich ein atemberaubender Anblick, fast ganz Hongkong lag unter seinen Füßen. Die Räume von Herrn Yi, er selbst nannte sie: die Festung, gingen über die letzten drei Etagen eines der Hochhäuser. Seines Hochhauses, er hatte es bauen lassen, er war der Eigentümer.
Die Männer setzten sich in die bequemen Ledersessel, eine junge Frau brachte ihnen Tee und süßen Reisgebäck mit Fruchtfüllung.
»Es ist schon so lange her, ich befürchtete bereits, wir sehen uns in diesem Leben nicht mehr wieder, mein Freund! Ich werde alt«, sagte Herr Yi und schnaufte laut auf.
»Was denn sonst?«, lächelte der Gast, »werde ich etwa jünger?«
»Manchmal scheint es mir so«, erwiderte ihm Herr Yi belustigt.
Herr Yi war weit über neunzig Jahre alt, trug den klassischen langen spitzen weißen Bart. Beim Anblick des Gastes überkamen ihn die Erinnerungen, daher zupfte er leicht am Bart. Er stand in seiner ewigen Schuld, die gesamte Familie Yi tat das. Und diese Schuld wird bestehen bleiben solange es die Familie Yi gibt. Seine Kinder, Enkelkinder, die gesamte Familie war der gleichen Überzeugung, das wusste er. Deswegen war er auf sein Blut stolz, wird daher in Ruhe sterben, wenn es so weit ist. Der Vorfahre des Gastes hat einst die Familie Yi gerettet, ohne seiner Hilfe und Unterstützung gebe es heute keinen Einzigen von ihnen. Niemanden! Herr Yi konnte sich mehr als deutlich an den Tag der Rettung erinnern, die Geschehnisse von damals durchlebte er noch immer in seinen Träumen. Die Erinnerungen wurden stärker, Herr Yi hielt inne. Früher vermied er es bewusst daran zu denken, aber je älter er wurde, umso öfter beschäftigte ihn die Angelegenheit. Tagesgedanken gingen, jedoch die Nachtträume waren besonders brutal. Dreißiger Jahre, die Besetzung von Shanghai, Schreie, Schüsse, wieder Schreie, noch mehr Schüsse, Abschlachten des Volkes … Rotes Wasser, feuchte rote Kleidung. Niemand konnte solche Träume verdrängen.
Die Besatzer hatten alle Kaufleute der Stadt gezielt gejagt und ihre Familien wie Vieh zusammengetrieben. Anschließend wurden sie gezwungen ihr Vermögen herauszugeben, Urkunden zu unterschreiben, Konten im Ausland zu offenbaren. Bei kleinstem Widerstand wurden die Familienmitglieder, nacheinander, vor den Augen aller Anwesenden bestialisch umgebracht, abgeschlachtet. Das ging so lange, bis die Kaufleute alles was ihnen vorgelegt wurde unterschrieben hatten, alles preisgaben was die fremden Männer wissen wollten. Trotzdem wurden anschließend, ohne Ausnahme, alle niedergemetzelt. Familie Yi hatte andere Bestimmung gehabt, sie wurde in einem Lagerhaus am Hafen eingesperrt. Viele fremde Männer mit Gewehren waren als Bewacher da, schlugen alle der Reihe nach, verschonten nicht einmal die Kinder. Der kleine Yi hat nichts verstanden, die Bewacher sprachen eine fremde Sprache. Auch die Chinesen, welche da waren, sprachen ein anderes Chinesisch. Er vernahm die Furcht und Angst seines Vaters, seiner Mutter, seiner Geschwister, aller Anwesenden. Mitte in der Halle lag Tante Liu in einem seltsamen roten Bach. Der kleine Yi hatte noch nie rotes Wasser gesehen. Dann fielen Schüsse. Der kleine Yi legte die Hände auf seine Ohren, die Geräusche waren unerträglich laut, tausendmal lauter als das Festfeuerwerk. Er sah wie schießende Männer in die Halle stürmten, weiße Männer, Geister. Alle bösen Bewacher lagen am Boden, noch mehr rotes Wasser. Einer der weißen Geister kam auf den kleinen Yi und seinen Vater zu, er sah furchtbar aus, hatte Haare im Gesicht. Der Geist zog ein riesiges Messer aus seinem Gürtel, der kleine Yi machte aus Angst die Augen zu und … in die Hose. Einige Sekunden später spürte er wie die Seile, mit denen seine Hände gebunden waren, durchtrennt wurden. Der kleine Yi öffnete die Augen. Sein Vater hatte das Messer des haarigen Geistes nun selbst in der Hand gehabt und schnitt den gefesselten Familienmitgliedern der Reihe nach die Seile an den Händen durch.
Plötzlich Schreie, Rufe, Schüsse. Durch die Tür kamen zwei Bewacher herein und schossen aus ihren Gewehren. Die anderen Männer erwiderten das Feuer. Einer der Bewacher zielte auf den kleinen Yi und seinen Vater. Der haarige Geist warf sich auf den kleinen Yi, beide fielen zu Boden. Der Geist schoss aus seiner Pistole. Der kleine Yi konnte danach auf seinem linken Ohr fast einen Monat lang nichts mehr hören, die Waffe war zu nah an seinem Kopf. Nach diesem Schuss herrschte Ruhe, gespenstische Ruhe. Der haarige Geist stand auf, aus seiner Schulter floss rotes Wasser. Der kleine Yi dachte, der farblose Geist wird sich jetzt auf dem Boden neben der Tante Liu legen müssen. Der Geist blutete für ihn und für seinen Vater. Er wird seine Träume nie vergessen können, wollte er auch nicht, gab sie dem Nachkommen als Erbe.
Familie Yi ging verließ mit den Begleitern des haarigen weißen Geistes die Lagerhalle und bestieg ein langes seltsames Boot, welches unmittelbar daneben angedockt war. Der kleine Yi erinnerte sich, die Fahrt hatte sehr lange gedauert. Wie lange, das wusste er nicht mehr, ob Tage, Wochen, Monate? Es schien ihm so, als ob die Fahrt länger als sein ganzes Leben angedauert hätte. Auf dem Boot, in der Zeit des Nichts, zeigte ihm der Geist wie das Messer in der Hand gehalten und die Pistole um zu treffen gehandhabt wird. Yi hatte Angst vom Geist, aber … er mochte ihn.
Sie waren nun in Singapur, alle außer Tante Liu. Am ersten Abend der Ankunft gab es eine Familienversammlung. Von den fremden Männern, welche sie befreit hatten, war nur der haarige Geist anwesend. Er saß mit seinem Vater in der Mitte der versammelten Familie. Beide Männer sprachen leise, der kleine Yi hatte nichts verstehen können. Dann stand sein Vater auf und verkündete laut, dass die Familie Yi in aller Ewigkeit in der Schuld des Mannes und seiner Nachfolger stand. Dass diese Schuld mit nichts auszugleichen sei, außer mit dem eigenen Leben. Diese Schuld wäre des Lebens wert und für die Ewigkeit … endgültig. Seit diesem Tag versammelte sich die gesamte Familie Yi einmal im Jahr am Tag der "Wiedergeburt". Es wurden die Geschichten der Rettung erzählt, und der haarige weiße Geist kam als Gast dazu. Wenn der weiße Geist kam, trugen alle Familienmitglieder ihre älteste und abgetragene Kleidung als Zeichen der Erinnerung und des Respekts. Während der Versammlung, welche Jahre später in eine Feier umgewandelt wurde, alsbald sie den Gast begrüßten, zogen alle neue Kleider an. Dieser Akt symbolisierte die Wiedergeburt der Familie. Das war der Tag, der heilige Tag der Yi.
Kleiner Yi war größer geworden, es kam ein anderer Geist als Gast. Yi dachte damals, dieser Mann müsse der Sohn des haarigen Geistes sein. Als Vater Yi Jahrzehnte später verstarb, übernahm der nun erwachsene kleine Yi die Familienobhut. Er war nicht überrascht als er feststellte, dass das gesamte Familienvermögen aus den dreißiger Jahren Dank des Geistes gerettet wurde. Familie Yi hatte Handelsgeschäfte mit dem Geist gemacht, noch mehr Vermögen angehäuft. Herr Yi, als nächstes Oberhaupt der Familie, wurde am Sterbebett seines Vaters in die letzten Geheimnisse eingeweiht, erfuhr wer der Gast war, was er war.
Nun wurde Herr Yi das Oberhaupt der ältesten Triaden- Familie, nach der Flucht aus Shanghai unbenannt in: Kinder der Geister. Der neue Name sollte die Geschichte der Familie wiedergeben. Seine Familie war in den Kreisen der Triaden nicht gerne gesehen. Yi lehnten jegliche Geschäfte mit dem Rauschgift, Menschenhandel oder der Gewalt ab. Das lag in der Familientradition. Sie machte ihre Geschäfte mit Schmuggel, später mit Raubkopien, mit dem Verkauf von Wirtschaftsdaten und Informationen. Letzteres wurde man als Spionage bezeichnen. Yi war die mächtigste aller Triaden, vielleicht eben deshalb, weil sie sich aus dem Rauschgifthandel und den begleitenden Geschäftskriegen heraushielt. Sie ließen jeden in Ruhe, taten keinem Unschuldigen oder Unbeteiligten etwas an, scheuten aber keinerlei Antwort auf Provokationen und Angriffe. Yi schreckten von nichts zurück, um Ihre Interessen zu schützen. Sie war eindeutig die einflussreichste, gefürchtetste und gefährlichste Triade, hatte die schlagkräftigste Armee. Yi wussten was sie dem weißen haarigen Geist und seinen Nachfolgern schuldeten: Alles was sie hatten, inklusive ihrer Leben, und führten diese alte Tradition aus tiefster Überzeugung fort.
Anstelle des haarigen Geistes und seines Nachfolgers kam seit Jahren nun dieser Mann, Herr Moureu. Es schien so, als ob jedes Familienoberhaupt seinen eigenen Geist hatte. Herr Yi und seine Familie wickelten mit dem Herrn Moureu Geschäfte ab, ehrbare Geschäfte. Herr Moureu war einer der größten Kunsthändler weltweit, er handelte nicht mit Masse, sondern mit Klasse. Wenige, gute und ausgesuchte Stücke brachten unvorstellbares Vermögen ein. Herr Yi wusste genau, was Herr Moureu versilbern konnte und was seine Kunden wünschten, daher sammelten und kauften die Leute von Herrn Yi diesbezüglich alles auf woran sie kamen. Herr Moureu suchte dann die für ihn interessanteste Stücke aus und nahm sie mit. Es wurde nie darüber gesprochen was das eine oder andere Teil kostete, einbringen könnte, oder was es erzielen sollte. Herr Moureu nahm es einfach mit, später kam auf eines der Schweizer Konten vom Herrn Yi die Überweisung. Die Bezahlung war unvorstellbar, fürstlich. Am Anfang dachte Herr Yi, Herr Moureu wird in kürzester Zeit pleite sein. Dem war aber nicht so, Millionen und Abermillionen flossen.
Er wusste Bescheid, wer dieser Herr war. Herr Moureu hatte ausgezeichnete Verbindungen nach China. Familie Yi hatte noch nie irgendwelche Probleme mit der Volksrepublik China gehabt, unterhielten dort viele Fabriken, Unternehmen, behandelten ihre Leute gut, zahlten Steuern, Gebühren, das übliche Schmiergeld. Alle waren zufrieden. Sogar die chinesische Regierung war mit den Geschäften und den Vorteilen für das Land zufrieden. Was aber Herr Yi nicht wusste, ein Teil der Antiquitäten wurde von Moureu nach China zurückgeschickt. Es waren die Stücke, welche aus den Museen und der Grabstätten bereits vorher entwendet wurden, oder unbekannte Stücke, welche nach Jahrhunderten und Jahrtausenden auf einmal und plötzlich auftauchten. Alle Kostbarkeiten, welche Moureu nach China zurück schickte, wurden den offiziellen Stellen übergeben. Es waren Gegenstände von nationalem Interesse, das Kulturgut des Landes, die Essenz des Daseins. Moureu schickte die Antiquitäten nach China als Geschenk, er hatte von der Regierung nie etwas verlangt oder erwartet. Er war ein Teil des Landes, hatte im Land der Väter eine besondere Stellung: Er und seinesgleichen müssten nicht verlangen, fragen oder bitten, sie bekamen es. Moureu gehörte der Regierung an.
Herr Yi dachte an seine Jugendjahre, als die Familie aus Singapur nach Hongkong kam. Zuerst lebten sie auf mehreren Booten. Kurz nach dem Tod seines Großvaters zog die Familie aufs Festland. Eine Woche, nachdem der Vater starb, bezog Herr Yi das fertige Hochhaus. Der Vater hatte das leider nicht mehr erlebt. Eine einzige Woche, das Schicksal war unerbittlich, gönnte es dem Vater ebenso wenig wie dem Großvater. Herr Yi hatte die letzten drei Etagen extra für die Familie entworfen und nach eigener Vorstellung bauen lassen. Über eintausend Quadratmeter pro Etage. Der Eingang in die Festung war in der untersten Etage, nur von dort kam man weiter, entweder über der Treppe, oder mit einem der drei internen Aufzüge. Im untersten Bereich waren die Empfangsräume und die Küche, in der mittleren Etage die Arbeitsräume. Die oberste Etage war das private Reich des Herrn Yi und seiner Nächsten. Auf dem Dach protzte ein verglaster Swimmingpool, Terrasse mit Hubschrauberlandeplatz und dazugehöriger Halle. In der Stadt war der Hubschrauberflug seit Jahren eingeschränkt, es gab keine Genehmigungen für Landeplätze, die vorhandenen wurden zum größten Teil stillgelegt. Das galt aber nicht für den Herrn Yi. Es gab noch andere Fluchtwege, zwei geheime Aufzüge bis in die Tiefgarage, aus welcher ein Gang in die Tunnels der Versorgungsschächte der Stadt führte.
Er fragte sich, als er noch jung und kein Oberhaupt war, was dahinter steckte, hinter der Macht von Moureu und der Geister der Familie. Von seinem sterbenden Vater erfuhr er die Wahrheit, sie übertraf alle seine Vorstellungen. Herr Yi wurde, ohne mit der Wimper zu zucken, für den Herrn Moureu sterben. Sofort … an Ort und Stelle.
Herr Moureu und Herr Yi unterhielten sich eine Weile, sprachen über die Familie, Kinder, Geschäfte, tranken Tee. Wenn sie alleine waren, sprachen sie sich per du an, aber sobald jemand in der Nähe war, waren sie wieder per Sie. Nach außen sollten der Abstand und der Respekt gewahrt bleiben.