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Alltag

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Er lief langsam und bedacht, atmete gleichmäßig tief ein- und aus durch die Nase und den leicht geöffneten Mund. Konzentriert schaute er vor sich hin, berechnete im Voraus jeden Schritt, wo er seine Füße setzen wird. Obwohl der Weg erst vor vier Jahren asphaltiert worden war, gab es überall Löcher, glitschigen Matsch und Erdklumpen. Die Gärtner waren extrem fleißig, beim Bearbeiten der Felder fuhren sie über den Weg und brachten auf diesen mit den Rädern ihrer Landmaschinen viele Steine und feuchte Erde. Ständige Flickerei des Asphalts kam gegen die Witterung nicht an, stellte Zoran fest, die Löcher waren noch größer als letztes Jahr. Das bremste ihn nicht, im Gegenteil. Die Anstrengung der Joggerfallen zu entgehen erhöhte seinen Ansporn um so mehr.

Die Felder um Zoran herum waren leer, Gärtner waren keine zu sehen, sogar die Vögel hielten sich versteckt. Es war Mitte September, nach Zorans Empfindlichkeit gemessen war es für die Jahreszeit recht kühl. Andere würden sagen, es war bereits recht warm. Die ganze Nacht hatte es geregnet, die Luft war feucht, roch nach Erde und Basilikum. Zoran atmete genüsslich die schweren und süßen Düfte der Natur ein. Das nächste Feld neben dem Weg war mit Schnittlauch bestellt, welcher einen Tag vorher geschnitten worden war. Die morgendliche Luft wurde durch die Ausdünstungen des Schnittlauchs schärfer. Das Schnittlauchfeld schien in Zorans Augen nie zu enden. Er mochte den Geruch vom Schnittlauch nicht, atmete nun nur durch den Mund, um den beißenden Geruch nicht mehr wahrnehmen zu müssen. Zoran befand sich in den Kräuterfeldern von Oberrad, bekannt für seine grüne Soße und deren sieben Kräuter. Oder, besser gesagt, das war es einmal. Zoran schmunzelte leicht, die Gärtner behaupteten noch immer felsenfest, alles käme von hier, alle sieben benötigten Kräuter für ihre bekannte Grüne Soße. Zoran wusste es besser. Es war ein offenes Geheimnis, dass die meisten Kräuter heute aus Marokko und Rumänien angekarrt und hier nur zusammengebündelt wurden. Bis auf Schnittlauch und Basilikum kam alles von irgendwo anders, nur nicht aus Oberrad.

Der Himmel war noch leicht bewölkt, es wurde nur schleppend heller, was Zoran nicht im Geringsten störte. In der Ferne sah er den ersten Radfahrer an diesem Morgen. Mancher fuhr morgens, als Abkürzung nach Frankfurt oder Offenbach, mit dem Fahrrad durch die Felder. Die ganze Nacht hat es geregnet, andere Radfahrer werden diese Feldwege wegen des Matschs meiden. Es dürfte jetzt kurz vor sechs Uhr sein, stellte Zoran fest. Das ist der Italiener, identifizierte er die Gestalt. Der Italiener arbeitete in der Kleinmarkthalle, Zoran hat ihn da öfters gesehen. Kurz dachte er über die Arbeit des Italieners in der Kleinmarkthalle nach. Schwere Arbeit, den ganzen Tag auf den Beinen, Kisten hin-, und her schleppen. Zoran nickte mit Respekt dem Mann zu, obwohl ihn dieser nicht einmal hätte wahrnehmen können, er war viel zu weit weg und fuhr schnell auf seinem Fahrrad. Unweit von Zoran, vielleicht nur sechs Meter entfernt, flog wie immer in rasendem Tempo ein ICE vorbei. Der Luftzug erfasste ihn seitlich, er genoss es, was ihm deutlich anzusehen war. Zoran joggte langsamer, ließ sich von der Windböe des Zuges leiten, gleiten lassen. So fühlt sich ein Vogel, ging ihm durch den Kopf. Oberräder Felder waren etwas Besonderes, mitten in der Stadt, näher am Stadtzentrum als manche anderen Stadtviertel, welche sogar zum Stadtzentrum gehörten. Aber, Oberrad war doch das pure Land.

Plötzlich blieb er stehen. In der Ferne sah er einen Jogger auf demselben Weg auf sich zukommen. Der Jogger war noch weit entfernt, mindestens einhundert Meter. Zoran blickte sich kurz um, auf dem Weg hinter ihm war niemand. Misstrauisch musterte er den Störenfried, schaute sich im Hintergrund des Joggers die Skyline von Frankfurt an. Die heiligen Türme der neuen Macht ragten über den Baumkronen. Alles war noch verschwommen, der Morgendunst verhinderte den klaren Blick auf das Machtzentrum und seine Symbole. Die Gestalt kam aus den Tiefen der Morgendämmerung wie ein Geist auf ihn zu, ein Gespenstbote aus dem Herzen der Weltherrscher. Nicht gut, dachte er, ein schlechtes Omen. Zoran lief nun etwas langsamer, konnte dem ihm entgegenkommenden Jogger nicht mehr ausweichen, hatte ihn leider viel zu spät bemerkt, war zu sehr in seine Gedanken vertieft und vom morgendlichen Duft betäubt. Zoran überlegte, ob er nicht zurücklaufen sollte, einen kleinen Umweg macht, oder sich der Gestallt nun doch stellt. Schließlich entschied er sich weiter zu laufen. Jogger gab es immer, stellte Zoran verbittert fest, sogar um diese Uhrzeit. Wenn es ginge, mied er sie, er mied alle: Jogger, Radfahrer, Spaziergänger, ob bekannte oder unbekannte. Zoran lief weiter. Der Jogger war sehr auffällig angezogen, das merkte er sogar aus der Ferne. Seine Bekleidung war ganz neu. So läuft keiner hier, dachte Zoran. Jetzt betrachtete er den Mann, welcher auf ihn zukam, genauer. Dabei schaute er ihn nicht direkt an, sondern mit einem weiten Blick, nahm alles um den Jogger herum wahr. Er war groß, kräftig gebaut, sein Laufrhythmus war schnell. Ein Profi, das passte nicht in die Gegend, stellte Zoran besorgt fest. Hier waren alle nur Hobbyläufer, Hausfrauen, Rentner. Dieser Mann passt nicht hierher, sein Haarschnitt war kurz, typische Erscheinung eines Soldaten, wie aus dem Kino.

Zoran ließ den Jogger nicht mehr aus den Augen, betrachtete dessen Hände, Arme, seine Körperbewegung. In etwa zwanzig Meter Entfernung änderte Zoran seinen Blick, so als ob er schielen würde, sah durch den Jogger durch, nahm jede Einzelheit noch intensiver in sich auf. So zu schauen, das wurde ihm einst beigebracht. Obwohl der Jogger recht schnell lief, wirkte er entspannt, seinem Körper fehlte die Aura der Gefahr. Keine Gefahr, dachte Zoran beruhigt, aber er hatte trotzdem ein ungutes Gefühl bei diesem Läufer. Während des ganzen Laufs fühlte er sich unwohl, beobachtet, fast bedroht, obwohl weit und breit niemand zu sehen war. Heute stimmt etwas nicht, stellte Zoran fest, etwas ist anders. Gut, dass er heute keinen Salat und Kräuter wie üblich von den Feldern mitgenommen hatte, so waren seine Hände frei. Er fasste sich mit der linken Hand an die rechte Seite des Bauchs, unter seiner dünnen Jacke spürte er den Griff des Messers. Wimpernschlag, mehr würde er nicht brauchen, um das Messer zu ziehen. Er nahm seine linke Hand vom Bauch und dem versteckten Messer weg, lief direkt auf den Jogger zu. Zoran war Rechtshänder, benutzte für das Messer jedoch seine schwächere, die linke Hand. Mit der Rechten würde er die Pistole aus dem Holster am Rücken ziehen, so wie er es tausendfach geübt hatte.

Der scharfe Geruch des Schnittlauchs wirkte wie ein Aufputschmittel auf ihn, seine Sinne und die Wahrnehmungen wurden intensiver. Er stufte die Menschen in zwei Kategorien ein, entweder Gefahr oder keine Gefahr. Das war schon immer so, warum, das wusste er selbst nicht, aber es war nun mal so. Dieser Jogger war keine Gefahr, nicht jetzt, aber trotzdem stimmte etwas mit ihm nicht. Auf einmal lief der Jogger grundlos schneller. Als er an Zoran vorbei lief, schaute er zum Boden, murmelte etwas vor sich hin, und war weg. Zoran sah das Gesicht des Joggers nur undeutlich. Da stimmt gar nix, das wusste er intuitiv, das Gesicht abzuwenden, das machte keiner, eher umgekehrt. Jeder der joggte, schaute direkt ins Gesicht, begrüßte offen seinen mitleidenden Kollegen. Dieser Läufer tat es nicht. Und welcher Verrückte läuft hier um diese Zeit rum, fragte sich Zoran weiter? Es war ihm egal, das Gesicht des Joggers nicht gesehen zu haben, denn er wurde ihn auch nach zwanzig Jahren, sogar von hinten erkennen. Gesicht, hin oder her. Zoran hatte die Gabe die Menschen nach Ihrem Körper, Bewegungen, oder ihrer Ausstrahlung zu erkennen, nicht nur nach dem Gesicht oder dem Namen. Die Namen konnte er sich sowieso nicht merken, wollte er auch nicht. Namen waren für ihn nicht wichtig, andere Sachen waren wichtiger. Wenn die Menschen um ihn herum nur wüssten, was in seinem Kopf vorging! Zoran hatte viele Gaben, und noch mehr Flüche, wie er selbst die ihm aufgedrückten Stempel bezeichnete.

Entspannt genoss er die letzten Meter und ließ sich von den vorangegangenen Gedanken nicht mehr stören. Als er zur Biegung zu seinem Haus ankam, welches direkt an den Feldern lag, verlangsamte er sein Tempo, holte die Hausschlüssel aus der Jogginghose und schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um. Vor einer halben Stunde merkte er sich jedes Fahrzeug, welches in der Sichtweite stand. Manchmal blieben die Fahrzeuge über Nacht auf dem Feldweg stehen. Das waren die Autos der Bewohner aus der Wasserhofstrasse, dort gab es nicht genügend Parkplätze, oder die Fahrzeuge der Besucher der Gerbermühle. Fahrer mit zu viel Alkohol im Blut ließen lieber ihre Fahrzeuge über Nacht hier stehen, statt betrunken nach Hause zu fahren. Ein neues Fahrzeug war jetzt da, stellte Zoran fest, ein Transporter. Laut Aufschrift auf dem Wagen gehörte es irgendwelchen Handwerkern. Jemand in der Nachbarschaft hat Probleme, stellte Zoran fest, überlegte wer es sein könnte. Er kannte fast alle Nachbarn, wenn auch nur vom Sehen. So früh? Kein Handwerker kommt um diese Uhrzeit. Sehr merkwürdig. Egal. Das Verlangen nach Geborgenheit besiegte seine Gedanken, Zoran vergaß den Transporter. Für die Post war es zu früh, daher ignorierte er den Briefkasten. Zoran schloss die massive Haustür auf, betrat den breiten Eingangsbereich der ehemaligen Bahnstation, schloss die Tür hinter sich ab und ging einige Stufen hoch.

Der Jogger, welcher vorher im Feld am Zoran vorbeilief, hatte eine Querfeldabkürzung genommen und kam zum Zorans Haus zurück. Hätte Zoran noch einmal aus der Tür geschaut, hätte er den Jogger sofort bemerkt. Der Jogger lief am abgestellten Handwerkertransporter vorbei, bog nach links ab und verschwand aus der Sicht des Hauses zehn Meter weiter hinter dem Gebüsch. In der Wasserhofstrasse stieg er in einen geparkten Kleintransporter ein.

Zoran kamen einige Verse auf, in letzter Zeit passierte ihm dies öfters. Er wiederholte sie in Gedanken:

»Es ist nicht ratsam, in meiner Nähe zu sein, hält euch fern, der Tod begleitet … feiert mich gern …«

Gene des Lichts

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