Читать книгу Gene des Lichts - Day An - Страница 13
Löwenkäfig
ОглавлениеNur langsam und widerwillig wachte er auf, bereits halbbewusst versuchte er sich nicht zu bewegen. Jede, auch nur so winzige Bewegung, brachte unvorstellbare Schmerzen mit sich. Zuerst hob er die Knie hoch, senkte sie gleich wieder. Das wiederholte er mehrere Male, bis er die Schmerzen endlich im Griff hatte. Der Versuch sich aufzurichten scheiterte, er legte sich an die Seite. Das half auch nichts, die Schmerzen in den Hüften wurden dadurch noch schlimmer. Zoran war mittlerweile wach, vor Schmerzen und Anstrengungen vollkommen durchgeschwitzt. Gut, ging im durch den Kopf, dann eben auf die harte Tour, wie üblich. Er atmete tief ein, atmete etwa die Hälfte der Luft aus und spannte den ganzen Körper an, gleichzeitig jeden einzelnen Muskel. Die Kontraktion dauerte so lange an, wie er den Atem anhalten konnte. Jetzt hatte er die Schmerzen im Griff. Sie waren nicht weg, aber in seiner Gewalt. Er konnte sie ignorieren, beherrschen, war der Herr seiner Schmerzen.
Zoran sprang auf, drückte auf den Knopf der Rollladensteuerung und legte sich sofort wieder hin. Dreißig Zentimeter von seinem Gesicht entfernt stand das Foto, welches er vor dem Einschlafen aufgestellt hatte. Sein Wunsch war einfach liegen zu bleiben, für immer. Er schaute sich das Gesicht auf dem Foto an. Ich vermisse dich … Plötzlich viel ihm ein, jemand könnte eindringen! Diesbezüglich sollte er sich keine Gedanken machen, lag doch in Sicherheit, in seinem Haus, die Alarmanlage war an. Ich vermisse dich, ich erinnere mich an alles … was du mir je gesagt hast. Verdammt! Ich erinnere mich! Egal! Vorsichtig nahm er die störende Zahnspange aus seinem Mund heraus.
Das Haus hat er sehr gerne gehabt, liebte es eigentlich. Jahrelang hat er nach etwas Passendem gesucht, dann zufällig dieses Gebäude gefunden. Einst war es eine alte Bahnstation, einsam und verlassen. Das war es noch immer, einsam und verlassen. Als die neue unterirdische S-Bahn Strecke gebaut wurde, legte man die Station still. Für die Bahngesellschaft war es günstiger das riesige Haus für einen Apfel und ein Ei herzugeben, statt es abzureisen. Abgesehen davon, sogar das Grundstück wollte damals keiner haben, nicht einmal geschenkt. Es lag zu nah an der Bahnstrecke. Das Haus stand da wie eine einsame Oase in der Wüste. Für Zoran war das der Hauptgrund es zu kaufen. Der Luftschutzbunker mit den alten Katakomben unter dem Haus kamen hinzu, freute sich Zoran später, das war ein Bonus für ihn. Die unterirdischen Räume hat er im Nachhinein selbst entdeckt, als er das Haus renovierte. Niemand wusste darüber beschied, nichts war in den Grundbüchern verzeichnet, es gab keine Pläne, keine einzige Spur der Existenz der Anlage. Mit eigenen Händen hat er das Haus umgebaut, fast alles ausgerissen, die alten Leitungen und die Röhre, teilweise sogar die Wände. Nach seiner exzentrischen Vorstellung hat er alles komplett saniert, aber nur von innen. Von außen war dem Haus, bis auf die neuen Fenster und dem Dach, nichts anzumerken. Es sah weiterhin so aus, wie es tatsächlich war: sehr alt. Das Haus interessierte niemanden, höchstens Nostalgiker, welche auf alte Bahnstationen standen. In Oberrad gab es solche Leute nicht, daher hat er seine Ruhe gehabt. Mehrmals versuchten die Einbrecher sich den Zutritt zu verschaffen, müssten schließlich unverrichteter Dinge abziehen. Er ließ sie laufen, die Polizei war das Letzte, was er brauchte. Zoran erinnerte sich, wie er neue Elektroleitungen mit unzähligen Steckdosen verlegte, elektrische Rollläden einbaute. Dabei verstärkte er die Rollläden, sie waren absolut einbruchsicher. Und dem schusssicheren Glas sah man diese Eigenschaft nicht an. Gleichzeitig mit dem Strom installierte er die Alarmanlage. Sie war sein ganzer Stolz. Obwohl die Anlage nun über zehn Jahre alt war, war sie unüberwindbar. Spätestens alle zwei Jahre tauschte er die Module aus, nicht mit den Handelsüblichen, sondern Prototypen. Zusätzlich zu den selbst erdachten Sensoren baute er die Radarsensoren ein, welche sich hinter den Türen und Fenstern befanden, in den Wänden unsichtbar eingebaut und verputzt waren. Schon auf größerer Entfernung, wenn sich jemand vor dem Fenster, der Tür oder hinter den Wänden befand, reagierte die Anlage entsprechend der Programmierung. Die Alarmanlage lief mit eigener Stromversorgung und war seiner Meinung nach unüberwindbar. Sogar Selbstschutz war mitinstalliert. Im Selbstverteidigungszustand wäre das Haus in ausreichendem Radius gesichert. Man konnte außerhalb des Hauses versteckte Reizgaspatronen einsetzen, die Gitter an den Fenstern und auf dem Dach stunden unter Strom. Tretmienen, Sprengfallen und mehrere Selbstschussanlagen wären aktiviert. Im-, und um das Haus waren weitere Vernebelungsanlagen, Reiz- und Pfefferspray, Stromfallen, Selbstschussanlagen und mechanische Fallen verteilt. Nur die Person mit einem Transponder bei sich konnte sich grundsätzlich im Haus frei bewegen. Sonst, würden die Verteidigungsgeräte ihre gefährliche Aufgabe umgehend ausführen. So etwas überhaupt zu bauen und zu installieren betrachtete er heute als Wahnsinn. Jetzt alles auszubauen, darauf hatte er keine Lust mehr, es wäre zu viel Arbeit, zu viel Zeit. Zeit, die er nicht mehr hatte.
»Die Zeit läuft dir ab«, erklang in Zorans Kopf.
Das Haus hatte Hochparterre, zwei Etagen, war voll unterkellert, pro Ebene etwa einhundertfünfzig Quadratmeter. Der zweite Stock war, bedingt durch die Dachschräge, etwas kleiner. Wegen des unvergleichlichen Tageslichts richtete er dort sein Arbeitsbüro, kleine Übungsfläche, den Bücherraum und ein Bad. Im ersten Stock war große Küche, Bad, Wohnzimmer, sein Schlafzimmer, Ankleideraum, ein sehr kleines Gästezimmer, Gästetoilette. In dem Hochparterre waren alle Fenster, bis auf einen kleinen Lichtspalt im oberen Teil der Rundbogen, vollkommen zugemauert. So konnte niemand in das Haus hineinschauen oder eindringen. Hier war seine Werkstatt, ein pro forma eingerichtetes Wohnzimmer, welches er für unbekannte Besucher als Empfangsraum benutzte, kleine Küche, zwei kleine Gästezimmer, Abstellkammer.
Den Keller hat er auch umgebaut. In den ersten zwei Räumen war Gerümpel, der Zugang zu den anderen Räumen war hinter einem Regal versteckt. Auf einen Knopfdruck schob sich die getarnte Tür nach vorne und gab den Gang frei. Diese Räume waren bis an die Decke mit wertvollen Antiquitäten gefüllt. Der Keller hatte es weiter an sich. Beim Verlegen der neuen Stromleitungen kam die Überraschung. Zoran fand den Bunker und die Katakomben. Als er die Schellen für die Stromkabel anbringen wollte, kam er mit dem Hammer durch eine Wand durch. Hinter der Wand war ein sehr schmaler Gang zu sehen. Zoran legte die Öffnung frei, eine pro forma zugemauerte Tür. Der Gang ging mehrere Meter bis zu einer breiten Wendeltreppe. Am Ende der Wendeltreppe lag der Luftschutzbunker, Zoran befand sich jetzt tief unter seinem eigentlichen Keller.
Der Bunker war sehr groß, ein riesiger Raum mit vielen kleineren Räumen nach allen Seiten. Der Hauptraum war nicht so niedrig, wie die Bunker üblich gebaut wurden, er hatte eine Höhe von mehr als drei Meter. Ringsherum an den Wänden stand eine Empore auf Metallgerüst, wessen Verwendung ihm nie klar wurde. Die Katakomben entdeckte er erst später. Aus dem Bunker führte ein Gang. Zorans Schätzung nach dürfte er noch aus dem Mittelalter stammen. Der Gang verlief duzende Meter, gabelte sich, dann weiter, wieder eine Abzweigung, und noch eine. Anhand der Bauweise fand er später heraus, was hier los war. Die Katakomben und der riesige Raum entstanden wohl im Mittelalter, hatten Zugang zum Fluss und sonst wohin. Die Bahnstation wurde ca. 1850 erbaut, um den Zugang zur Unterwelt zu verdecken, sowie den ungehinderten und verschleierten Verkehr zu ermöglichen. Er skizzierte die Gänge die er kannte, kam dabei auf über achthundert Meter. In den Gängen waren viele Türen, alle zugemauert. Zoran rechnete in etwa aus, dass eine der Türen Richtung Main führen müsste, eine andere endete unterhalb der Gerbermühle. Die Gänge waren so tief, dass sie sogar unter dem später gebauten S-Bahn Tunnel verliefen. An der Decke eines der Gänge direkt neben seinem Haus entdeckte er einen Spalt. Hinter diesem Spalt war der Versorgungskanal mit Wasserleitungen und dem Strom der Stadt Frankfurt. Da hat er den Strom für sein Haus angezapft. Er wird für das, was er damals nach der Entdeckung des Bunkers und des Labyrinths vorhatte, viel Strom brauchen. Mit den Gängen konnte er vorerst nichts anfangen, sie waren sowieso fast ständig unter Wasser. Im ersten Gang des Labyrinths zum Bunker zog er mehrere Wände hoch und baute eine zusätzliche Stahltür ein. Irgendwann wollte er die Katakomben genauer erkunden, die alten zugemauerten Gänge freilegen, aber das hatte er bis heute nicht gemacht. Jedenfalls, durch einen der Gänge gab es die Fluchtmöglichkeit nach draußen. Kein Ein- und Ausgang, es könnte nur einmal benutzt werden. Die Öffnung musste gesprengt werden, dann wäre er im S-Bahn Tunnel. Das wäre sein letzter Fluchtweg.
Alles wurde gereinigt, Strom, Wasserleitungen und die Fußbodenheizung verlegt, Wände verputzt, mit Granitboden veredelt, Wände waren zum Teil mit Marmor, die Decke mit Spiegeln verkleidet. Natürlich hat er nicht alles selbst gemacht, er konnte zwar sehr viel, hatte aber nur vier Hände und sechsunddreißig Stunden am Tag. Als Hilfe holte er sich zwei alte Bauarbeiter, Polen, Schwarzarbeiter. Er hat sie damals in der Sonnemannstraße, vor der Großmarkthalle, ausgesucht, dem damaligen Treffpunkt solcher Leute. Die zwei alten Männer blieben vier Monate lang bei Zoran und verließen nie das Haus. Sie wussten nicht einmal, ob sie noch in Frankfurt waren. Er erinnerte sich gerne an die Männer, sie waren wirklich nett. Als sie fertig waren, brachte er sie in der Nacht fort, fuhr sie im verdunkelten Wagen durch die Gegend. Irgendwann war er wieder in Frankfurt. Sie würden das Haus nie finden, nicht einmal die Gegend beschreiben können. Das würden sie sowieso nicht tun. Er hat ihnen so viel bezahlt, dass sie anschließend nie mehr arbeiten müssten, konnten endlich in den verdienten Ruhestand gehen.
In einer Ecke des Bunkers hat er in diversen Vitrinen und Regalen ein Teil seiner Waffensammlung aufgestellt, der Rest befand sich im Nebenraum. In der anderen Ecke war Küchenzeile, Wohn- und Schlafbereich sowie die Sicherheitsanlage. Ein Pult, das Herz des Hauses, mit Überwachungsmonitoren, Computern, sonstigen elektronischen Geräten und Funksender. An der Decke über der Küchenzeile waren Klimaanlagen und Belüftungsgeräte für die frische Luft angebracht. Der Bunker hatte bereits einige Luftschächte, eins davon war als Kamin des Hauses getarnt. Hier konnte er die Anlagen für die Luftzufuhr unsichtbar anschließen. Vorsichtshalber versiegelte er alle anderen Luftschächte. Die Mitte des Raumes war mit Trainingsmatten ausgelegt. Es gab noch den Swimmingpool. Die ungewöhnliche Vertiefung des Bunkers verwandelte er in einen Swimmingpool, zehn auf fünf Meter, fast zwei Meter tief. Dafür hat er den Strom gebraucht, für den Bunker, die Klimaanlagen, den Swimmingpool, seine Schaltzentrale, das Haus über ihm. Das Wasser für den Swimmingpool holte er aus eigenem Brunnen in den Katakomben, es wurde ständig gefiltert, aufgefüllt und auf achtundzwanzig Grad konstant gehalten. Das Abwasser pumpte er in den städtischen Abfluss ab. In einem der Seitenräume baute er Dusche und Toilette ein, in anderem Raum standen Tresore für die Wertsachen. Seine Lieblingsantiquitäten verteilte er überall.
Bunker dieser Art waren in Deutschland nichts Besonderes, es gab Tausende davon, wesentlich größere und eindrucksvollere, standen sogar zum Verkauf. Aber, von diesem Bunker wusste niemand etwas, oder wurde je vermuten, was sich unter seinem Haus befand. Vor allem, was er damals in einem der Nebenräume des Bunkers noch fand.