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4. Die Vermögensverfügung
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Wie oben herausgearbeitet,[158] bedarf es – im Gegensatz zur Ansicht der Rechtsprechung – zur sinnvollen Abgrenzung von Raub, § 249 StGB, und (räuberischer) Erpressung, §§ 253, 255 StGB, einer Vermögensverfügung des Genötigten. Diese ist abzugrenzen von der Wegnahme, die zu einer Strafbarkeit wegen Raubes, § 249 StGB, führt. Diese Abgrenzung wird von der Rechtsprechung derart vorgenommen, dass allein auf das äußere Erscheinungsbild abgestellt wird. Gibt das Opfer dem Täter die Sache, liegt eine (räuberische) Erpressung vor, nimmt sich der Täter hingegen die Sache, ist hierin eine Wegnahme zu sehen und ein Raub scheidet aus.[159] Diese Abgrenzung hat den Vorteil der Klarheit, basiert aber auf der Grundannahme der Rechtsprechung, die Erpressung sei als Grundtatbestand des Raubes anzusehen, womit ein „lückenloser“ Strafrechtsschutz gewährleistet sei.[160] Denn folgt man dieser Grundannahme, hat die Zuordnung eines Verhaltens als Raub oder (räuberische) Erpressung letztlich keine Konsequenzen, da stets ein vergleichbarer Tatbestand verwirklicht ist und die gleiche Strafe verhängt werden kann. Mehr Mühe auf die Abgrenzung muss man hingegen verwenden, wenn man, wie hier vorgeschlagen, für die (räuberische) Erpressung eine Vermögensverfügung fordert. Hier ist eine wertende Abgrenzung der Merkmale „Wegnahme“ und „Vermögensverfügung“ unter dem Aspekt der (bewussten) Selbstschädigung erforderlich, wie sie auch bei der Abgrenzung von Trickdiebstahl und Betrug[161] erfolgt. Insoweit entspricht die Vermögensverfügung bei § 253 StGB derjenigen des § 263 StGB.[162]
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Die konkreten Anforderungen, die an eine Wegnahme bzw. eine Vermögensverfügung zu stellen sind, sind dabei umstritten. Im Ergebnis ist eine Wegnahme dann anzunehmen, wenn es in der Zwangslage subjektiv für den Genötigten gleichgültig ist, wie er sich verhält, da die Sache unabhängig von seiner Mitwirkung dem Zugriff des Täters preisgegeben ist, eine Gewahrsamsübertragung also nicht zwingend seiner Mitwirkung bedarf.[163] Denn bleibt dem Opfer letztlich keine Wahl, bzw. kann er den Verlust des Gegenstandes ohnehin nicht verhindern, kann von einer (bewussten) Selbstschädigung, wie sie der Betrug oder die Erpressung nach der hier vertretenen Ansicht voraussetzen, nicht gesprochen werden. Eine Vermögensverfügung liegt hingegen vor, wenn das Opfer davon ausgeht, dass seine Mitwirkung zwingend erforderlich ist und durch die Inkaufnahme der angedrohten Repressalien der Vermögensnachteil abgewendet werden könnte. Insoweit liegt auch bei der Hingabe einer Sache eine Wegnahme (und keine Vermögensverfügung) vor, wenn es in der Zwangslage subjektiv für den Genötigten gleichgültig ist, wie er sich verhält, d.h. dass die Sache unabhängig von seiner Mitwirkung dem Zugriff des Täters preisgegeben ist. Andere stellen hingegen für die Annahme einer Erpressung darauf ab, ob das Opfer willentlich, d.h. mit seinem faktischen Einverständnis den Gewahrsam überträgt.[164] Dies ist aber problematisch, denn die Konstruktion eines wenn auch nur „faktischen“ Einverständnisses wirkt unnatürlich, da kaum einmal ein Opfer mit dem Vermögensverlust „einverstanden“ sein wird. Insoweit ist also für eine Vermögensverfügung darauf abzustellen, dass das Opfer den betreffenden Gegenstand in dem Wissen überträgt, dass es auf seine Mitwirkung gerade ankommt, das Opfer also eine Wahlmöglichkeit hat: Entweder es gibt dem Druck des Erpressers nach und verliert dadurch den Vermögensgegenstand oder es hält dem Druck des Erpressers stand, erträgt das angedrohte Übel und kann dadurch aber den Vermögensgegenstand behalten.
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Wenn in diesem Zusammenhang oft von einer „freiwilligen“ Vermögensverfügung des Opfers gesprochen wird, ist die „Freiwilligkeit“ im gerade genannten Sinne zu verstehen. Treffender wäre es freilich, hier von einer „willentlichen“ Vermögensverfügung zu sprechen,[165] denn der Begriff der „Freiwilligkeit“ scheidet in anderen Bereichen der Rechtsordnung, insbesondere bei der rechtfertigenden Einwilligung, gerade auch in denjenigen Fällen aus, in denen der Betreffende unter Drohung oder Zwang handelt.
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Die Abgrenzung soll an einem Beispiel verdeutlicht werden:[166] Wenn der Täter seinem Opfer eine Waffe an die Schläfe hält und damit droht, es umzubringen, wenn er von ihm kein Geld erhalte, so liegt stets ein Raub vor, wenn der Täter den Erhalt des sich in der Manteltasche des Opfers befindenden Geldbeutels erstrebt. Hier kann nämlich das Opfer den Verlust des Geldbeutels letztlich nicht verhindern, denn wird der Geldbeutel nicht herausgegeben, ist es für den Täter problemlos möglich, sich den Geldbeutel selbst herauszunehmen. Insoweit liegt also auch bei einer Herausgabe, d.h. einem „Geben“, keine „freiwillige“, d.h. willentliche Vermögensverfügung vor. Die Rechtsprechung würde hier, da sie nur auf den Akt des Gebens oder Nehmens abstellt, bei einer unter Zwang bewirkten Herausgabe zu einer räuberischen Erpressung gelangen. Anders liegt hingegen der Fall, wenn der Täter vom Opfer verlangt, den Safe zu öffnen und ihm das darin befindliche Geld in eine Tasche zu packen. Denn hier kann sich das Opfer entscheiden, ob es der Forderung des Täters nachkommt oder nicht. Geht das Opfer hier auf die Forderungen des Täters nicht ein und hält der Drohung bzw. der Gewalt stand, hat dieser nämlich keine Möglichkeit, an das im Safe lagernde Geld zu kommen. Insoweit läge, erfüllt das Opfer die Forderung des Täters, eine „freiwillige“, d.h. willentliche Vermögensverfügung und damit eine räuberische Erpressung vor, da es sich hier aus der Sicht des Opfers um einen unerlässlichen Mitwirkungsakt handelt.[167]
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Umstritten sind in diesem Zusammenhang aber diejenigen Fälle, in denen sich der Täter nach der erzwungenen Preisgabe der Safekombination (bzw. der erzwungenen Preisgabe des Verstecks des Geldes) das Geld oder die Wertgegenstände selbst nimmt. Zwar liegt in der Preisgabe der Safekombination bereits eine Vermögensgefährdung, der endgültige Vermögensschaden wird allerdings erst durch die Wegnahme des Geldes erreicht, weshalb es bei der bloßen Preisgabe der Kombination an der Unmittelbarkeit von Vermögensverfügung und Vermögensschaden fehlt. Insoweit liegt in diesen Fällen keine räuberische Erpressung durch Abnötigen der Safekombination, sondern ein Raub durch spätere Wegnahme des Geldes oder der Wertgegenstände vor, sofern die Gewalt oder Drohung zu diesem Zeitpunkt noch fortwirkt.[168] Andere hingegen gehen in einer solchen Situation allerdings davon aus, dass in der Eröffnung der faktischen Zugriffsmöglichkeit auf das Geld bereits eine schadensgleiche Vermögensgefährdung zu sehen ist, mithin die Vermögensverfügung bereits zu einem Schaden führe und eine spätere Entnahme des Geldes keine Wegnahme mehr darstelle (insoweit läge nur eine räuberische Erpressung, §§ 253, 255 StGB, vor).[169] Schließlich wäre eine Lösung auf Konkurrenzebene in der Weise möglich, dass sowohl eine räuberische Erpressung als auch ein nachfolgender Raub angenommen wird, wobei die räuberische Erpressung bei Vollendung des Raubes (d.h. bei einer späteren tatsächlichen Wegnahme) als mitbestrafte Vortat zurücktritt. Nach dieser Konkurrenzlösung würde es also auch dann zu einer Bestrafung (wegen vollendeter räuberischer Erpressung) kommen, wenn es nach Erlangung der Safekombination durch den Täter nicht zu einer Wegnahme kommt, sei es, dass der Täter freiwillig die spätere Wegnahme unterlässt (da die räuberische Erpressung bereits vollendet ist, läge hier kein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch, § 24 StGB, sondern nur eine strafrechtlich irrelevante tätige Reue vor, die nur auf Strafzumessungsebene zu berücksichtigen wäre), sei es, dass der Täter zuvor von der Polizei gestellt wird.
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Probleme ergeben sich nach der hier vorgeschlagenen Lösung allerdings in manchen Fällen des Irrtums. Wenn der Täter glaubt, das Opfer habe eine Geldbörse in der Manteltasche und er das Opfer auffordert, ihm „das Geld“ zu geben, erstrebt er eine unfreiwillige Herausgabe und insofern einen Raub, § 249 StGB. Wenn das Opfer unter dem Eindruck der Drohung daraufhin überraschend zum Schreibtisch geht und das Geheimfach öffnet, in welchem sich das Geld befindet, so liegt objektiv eine freiwillige (im Sinne einer „willentlichen“) Vermögensverfügung und daher eine räuberische Erpressung, §§ 253, 255 StGB, vor (denn der Täter hätte sich das Geld in Unkenntnis des Verstecks nicht nehmen können). Konsequenterweise ist in diesen Fällen nur eine Bestrafung wegen eines versuchten Raubes, §§ 249, 22 StGB, möglich.
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Auf eine weitere Besonderheit ist allerdings an dieser Stelle noch hinzuweisen: Zieht man bei der Abgrenzung von Raub (als Fremdschädigungsdelikt) und räuberischer Erpressung (als Selbstschädigungsdelikt) eine Parallele zur Abgrenzung von Diebstahl und Betrug und verlangt man insoweit sowohl für den Betrug als auch für die (räuberische) Erpressung eine (bewusste) Selbstschädigung, so ist es fraglich, ob dies nur für Sachen oder auch für Forderungen gilt, da für einen Forderungsbetrug (im Gegensatz zum Sachbetrug) gerade kein Verfügungsbewusstsein verlangt wird. Daher wollen manche bei der Forderungserpressung auf eine Vermögensverfügung verzichten,[170] während andere die bei § 263 StGB entwickelten Grundzüge über die unbewusste Selbstschädigung bei § 253 StGB für unanwendbar erklären.[171] Die Rechtsprechung geht hingegen davon aus, dass auch der erzwungene Verzicht auf die Geltendmachung einer Forderung, sofern diese tatsächlich besteht und werthaltig ist, eine Erpressung darstellen kann,[172] wobei in diesem Zusammenhang umstritten ist, ob eine Forderung bereits wegen einer Vermögenslosigkeit des Schuldners von vorne herein wertlos sein kann.[173]