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9. Die Rechtswidrigkeit

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Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit kommen in erster Linie die allgemeinen Rechtfertigungsgründe zum Tragen. Das Fehlen dieser Rechtfertigungsgründe reicht jedoch für die Annahme des Unrechts der Tat noch nicht aus. Hinzukommen muss noch die positive Feststellung der Rechtswidrigkeit auf der Grundlage der in § 253 Abs. 2 StGB normierten sog. „Verwerflichkeitsklausel“. Insoweit handelt es sich bei der Erpressung, wie schon bei der Nötigung, § 240 StGB, um einen sog. „offenen Tatbestand“.[269] Die Erfüllung des Tatbestandes indiziert die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ausnahmsweise nicht, vielmehr muss diese nach den Grundsätzen des § 253 Abs. 2 StGB (Verwerflichkeitsprüfung; Zweck-Mittel-Relation) konkret festgestellt werden. Hinsichtlich der systematischen Stellung dieser „Verwerflichkeitsfeststellung“ als Teil der Rechtswidrigkeit kann wiederum auf die Diskussion zu § 240 StGB verwiesen werden.[270] Die Verwerflichkeitsprüfung ist erst dann anzustellen, wenn festgestellt wurde, dass allgemeine Rechtfertigungsgründe nicht eingreifen. Es wäre nämlich auch im Rahmen der Erpressung unangebracht, ein Verhalten durch einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund zu rechtfertigen, wenn zuvor die Verwerflichkeit des Verhaltens nach § 253 Abs. 2 StGB festgestellt worden wäre. Andererseits wäre es auch nicht sinnvoll, die Frage des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes in die Verwerflichkeitsprüfung zu integrieren.

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Diese Verwerflichkeit (i.S. eines gesteigerten Unrechts) liegt nach § 253 Abs. 2 StGB dann vor, „wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist“. Dies zu bestimmen fällt bei der Erpressung allerdings wesentlich leichter als bei der Nötigung: Weil der Erpresser ein unerlaubtes Ziel (die rechtswidrige Bereicherung) verfolgt, liegt der mangelnde Konnex zwischen dem Zweck und dem Mittel meist auf der Hand. Die Fälle, auf die § 240 Abs. 2 StGB eigentlich gemünzt ist (Verwerflichkeit trotz eines erlaubten Zwecks infolge des Einsatzes eines inadäquaten Mittels), treten bei § 253 Abs. 2 StGB trotz wörtlicher Übereinstimmung letztlich nicht auf. Die Rechtswidrigkeit des Zwecks indiziert somit die Verwerflichkeit.[271]

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Im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung[272] scheidet § 253 StGB im Rahmen eines regulären Arbeitskampfes allerdings aus. Insoweit ist eine „Verwerflichkeit“ nach § 253 Abs. 2 StGB regelmäßig ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber durch den Hinweis auf eine mögliche Arbeitsniederlegung zu einer Lohnerhöhung genötigt werden soll.[273] Eine strafbare Erpressung scheidet auch dann aus, wenn ein Dieb durch die Drohung mit einer Strafanzeige dazu gebracht werden soll, die gestohlene Sache zurückzugeben (hier wird es aber regelmäßig bereits an einem Vermögensschaden fehlen) sowie eine „Bearbeitungsgebühr“ zu bezahlen. Problematisch wird es aber dann, wenn der Dieb durch die Drohung mit der Stellung eines Strafantrages dazu gebracht werden soll, einer gemeinnützigen Einrichtung eine „Spende“ zukommen zu lassen. Auch die Ankündigung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner, zur Eintreibung einer fälligen Forderung ein Inkassounternehmen einzuschalten oder eine gerichtliche Klage zu erheben, stellt sich als zulässiges und insoweit nicht verwerfliches Verhalten dar.[274] Die Beurteilung kann sich hier aber ändern, wenn es sich um eine offensichtlich unberechtigte Forderung[275] oder eine offensichtlich rechtswidrige Abmahnung[276] handelt. Auch darf zur Durchsetzung einer an sich berechtigten Forderung nicht mit einem völlig inkonnexen Mittel gedroht werden. Dies ist z.B. dann gegeben, wenn eine willkürliche und sachlich unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigte Verknüpfung von Mittel und Zweck vorliegt.[277] Insgesamt hat allerdings dann, wenn mit einem an sich rechtmäßigen Nachteil gedroht wird, eine besonders sorgfältige Prüfung der Verwerflichkeitsklausel zu erfolgen.[278]

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Wer sich im Rahmen der Einschätzung der Verwerflichkeit des eigenen Handelns im Hinblick auf die Bewertung des Verhältnisses von Mittel und Zweck irrt, unterliegt regelmäßig (nur) einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB.[279] Ein Erlaubnistatbestandsirrtum, § 16 StGB analog, liegt hingegen vor, wenn der Täter über tatsächliche Umstände irrt, die als Grundlage für die Verwerflichkeitsbeurteilung anzusehen sind.[280]

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